Politik | 14. Januar 2021

Gewerkschaft greift Landwirte an

Von AgE/Nicole Spieß/Michael Nödl
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hat die Bundesregierung dazu aufgefordert, Missstände bei Saisonarbeitern nicht nur in der Fleischwirtschaft, sondern auch in der Landwirtschaft durch gesetzliche Regeln abzustellen.
Laut der IG Bau arbeitet ein großer Teil der Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft zu prekären Bedingungen.
„Auch ein großer Teil der rund 350000 Saisonbeschäftigten in der Landwirtschaft arbeitet zu prekären Bedingungen”, so der stellvertretende IG-BAU-Bundesvorsitzende Harald Schaum am 4. Januar in Frankfurt. Insbesondere osteuropäische Beschäftigte, die in der Spargel-, Erdbeer- oder Gurkenernte arbeiteten, litten teils unter „unhaltbaren Zuständen”. Die Betroffenen müssten die Kosten für Anreise, Verpflegung und Unterkunft oft selbst bezahlen – bis hin zum Jobvermittler im Heimatland. „In Deutschland erwartet sie dann meist nicht das versprochene große Geld, sondern 13-Stunden-Tage, karge Bezahlung und ein Zimmer, das sie mit mehreren Kollegen teilen müssen”, monierte Schaum.
Nach Informationen der Gewerkschaft erhielten Saisonbeschäftigte zudem häufig keinen Zugang zur Krankenversicherung. Die Probleme beträfen neben der Landwirtschaft auch die Forstbranche und den Gartenbau. Die IG BAU ruft die Bundesregierung deshalb dazu auf, in diesem Jahr bessere Regeln zum Schutz ausländischer Arbeitnehmer auf den Weg zu bringen. „Hierbei muss es insbesondere um Standards bei den Unterkünften und einen vollen Krankversicherungsschutz gehen”, betonte Schaum. Zudem dürften die Beschäftigten nicht auf den teils horrenden Kosten für die Anreise nach Deutschland sitzen bleiben. „Arbeitsschutz darf kein Privileg sein. Alle Menschen, die in Deutschland arbeiten, haben ein Recht auf menschenwürdige Schlafgelegenheiten und auf Schutz bei Krankheit oder Unfall”, hob der Gewerkschaftsvize hervor.
Grüne fordern „faire” Arbeitsbedingungen
Bei der Diskussion um das mittlerweile verabschiedete Arbeitsschutzkontrollgesetz für die Fleischwirtschaft hatten die Grünen im Bundestag in einem Antrag ebenfalls faire Arbeitsbedingungen und angemessenen Gesundheitsschutz für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft gefordert. Auch diese Saisonarbeiter würden häufig über Subunternehmen angestellt, und in dieser Branche gebe es ebenfalls Probleme bei der Unterbringung, die sich nur unwesentlich von den Zuständen in der Fleischbranche unterschieden, hieß es in dem Antrag. In beiden Branchen müssten die Arbeitsbedingungen ganz grundsätzlich verbessert werden, „damit die Versorgung in Deutschland nicht mehr auf der Ausbeutung von Beschäftigten beruhen kann”.
Dazu seien gesetzliche Maßnahmen notwendig, da freiwillige Vereinbarungen der Branche nicht greifen würden. Die Grünen sprechen sich deshalb unter anderem dafür aus, dass Werkverträge für Kernbereiche der unternehmerischen Tätigkeit auch für die Saisonarbeit in der Landwirtschaft verboten werden.
Arbeitgeberverband: „Vorwürfe entbehren jeder Grundlage”
Die Vorwürfe der IG BAU über „erhebliche Missstände” bei einem großen Teil der rund 350000 Saisonbeschäftigten in der Landwirtschaft entbehren jeder Grundlage, urteilt der Landwirtschaftliche Arbeitgeberverband für Südbaden. Gemeinsam mit dem Gesamtverband der deutschen Land- und Fortwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA)  führt er folgende Gegenargumente zu den Vorwürfen ins Feld:
Unterkünfte und Beschäftigungsbedingungen
Eine im Mai 2020 erfolgte Überprüfung von 250 landwirtschaftlichen Betrieben mit Unterkünften von 5800 Saisonkräften durch die nordrhein-westfälischen Arbeitsschutzbehörden ergab – anders als bei den ebenfalls überprüften Unterkünften von in der Fleischwirtschaft tätigen Saisonkräften – nur geringfügige Beanstandungen. Auch bei einer bundesweit angelegten Kontrolle der Finanzkontrolle Schwarzarbeit im Juni 2020 wurden keine gravierenden Missstände festgestellt.
Wer hier von erheblichen Missständen spricht, kennt die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Es zeigt nur wieder einmal mehr, wie fern die IG BAU von den tatsächlichen Verhältnissen in der Landwirtschaft ist oder mit hetzerischen Behauptungen um Aufmerksamkeit buhlt.
„Karge Entlohnung”
Alle Saisonkräfte erhalten mindestens den gesetzlichen Mindestlohn von aktuell 9,50 Euro, wie ihn auch viele inländische Beschäftigte bei Aushilfstätigkeiten in anderen Brachen erhalten. Zum Teil, insbesondere wenn im Akkord gearbeitet wird, erzielen Saisonkräfte in der Landwirtschaft sogar weit höhere Stundenlöhne.
Kostenfreie Unterkunft und Verpflegung
Nicht nachvollziehbar ist, weshalb Saisonkräfte, wie von der Gewerkschaft gefordert, Unterkunft und Verpflegung kostenfrei erhalten sollen (auch wenn das in vielen Betriebe so gehandhabt wird), während sich inländische Arbeitnehmer branchenunabhängig meist selbst verköstigen und für die Kosten ihrer Wohnung aufkommen müssen.
Fehlender Zugang zur Krankenversicherung
Auch dieser Vorwurf trägt in der Praxis nicht. Sofern Saisonkräfte nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, schließen die Betriebe für diese regelmäßig eine private Erntehelferversicherung ab. Diese bietet den Saisonkräften einen Schutz bei Krankheit und oft auch bei privaten Unfällen. Bei Arbeitsunfällen sind sie, wie alle Arbeitnehmer, über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert
Vergleich mit Saisonkräften in der Fleischwirtschaft
Der immer wieder gezogene Vergleich mit Saisonkräften in der Fleischwirtschaft trägt nicht. Zum einen sind die Saisonkräfte in der Landwirtschaft – anders als in der Fleischwirtschaft – regelmäßig nicht als Werkvertragsarbeitnehmer oder Leiharbeiter tätig, sondern unmittelbar beim landwirtschaftlichen Betrieb angestellt. Die überwiegend als Familienbetriebe geführten landwirtschaftlichen Betrieben kennen ihre Mitarbeiter, die oft über viele Jahre oder Jahrzehnte immer wieder in die gleichen Betriebe zurückkehren, und zu denen oft eine freundschaftliche Verbundenheit besteht.