Pflanzenbau | 05. Januar 2021

Für Speierlinge braucht man einen langen Atem

Von Hubert Gemmer
In Merdingen und Ebringen haben zwei Winzer den in der Region selten gewordenen Speierlingbaum angepflanzt. Sein hartes Holz war früher sehr beliebt. Die Früchte ergeben besondere Produkte für die Direktvermarktung.
Die gefiederten Blätter des Speierlings verraten seine nahe Verwandtschaft zur Eberesche. Die Früchte allerdings lassen sich kaum verwechseln.
Wer im Herbst 2020 mit offenen Augen durch das Markgräflerland, den Kaiserstuhl oder über den Tuniberg spazieren gegangen ist, hat manchmal kleine, rotgelbe, ungewöhnliche, birnen- oder apfelförmige Früchte an Bäumen hängen sehen.
Hierbei handelt es sich um den Speierling, auch Zahme Eberesche, Sperberbaum oder Schmerbeere genannt. Er ist heutzutage sehr selten und galt bis vor wenigen Jahren sogar als vom Aussterben bedroht. Aber die Winzer Georg Kiefer aus Ebringen und Heinrich Gretzmeier aus Merdingen verhelfen dem Wildobst zu einer kleinen Renaissance.
Es dauert eine Generation, bis Speierlinge tragen. Vor rund 30 Jahren haben die beiden neue Bäume gezogen, um Spirituosen zu brennen sowie Liköre und Gelees herzustellen. „Außer meinen Bäumen in Ebringen und der Baumplantage von Heinrich Gretzmeier am Tuniberg stehen noch weitere Bäume am Baumlehrpfad beim Lilienhof am Kaiserstuhl und im Kurpark von Badenweiler. Sehr selten sind sie auch an Waldrändern in Sonnenlage zu sehen”, erzählt Kiefer. Bestimmt gibt es auch Einzelexemplare bei Privatpersonen im Garten oder auf Streuobstwiesen.
Gefragtes Holz, gefragte Früchte
„In der Vergangenheit war die Baumart in Bereichen sehr gefragt, bei denen extra hartes Holz oder die Fähigkeit der Früchte zur Klärung und Konservierung von Apfelmost benötigt wurden. Der Speierling ist das härteste Holz, das es in Deutschland gibt. Es wurde früher zum Beispiel für die Mittelachse in Weinpressen, für Holzzahnräder von Mühlen, als Räder für Fuhrwerke, für Blockflöten, Konstruktionsbauholz und als Spindeln eingesetzt”, berichtet er weiter.
„Das wertvolle, schöne Möbel- und gute Drechslerholz wird heutzutage als Furnier für edle Möbel und für Einlegearbeiten verwendet. Aufgrund des geringen Angebots und der langen Wachstumszeit wird ein Ster Speierlingholz derzeit mit rund 6000 Euro berechnet”, erklärt Kiefer.
Ein großer Vorteil der Baumart ist, dass sie große Hitze und längere Trockenheit verträgt – auch karge Böden machen der Pflanze nichts aus. Aus diesem Grund könnte sie für das heutige Klima in Südbaden eine Alternative werden. Der Speierling – Baum des Jahres 1993 – ist in Deutschland heute noch am meisten im Gebiet um Frankfurt vertreten, da er dort in der Vergangenheit zur Konservierung und Klärung des „Äppelwoi” – Apfelwein – eingesetzt wurde. Auch gegen Ruhr, Cholera und Schwächezustände kamen die Früchte früher zur Anwendung.
Speierlingbäume sind empfindlich, licht- und wärmebedürftig, langsam wachsend, konkurrenzschwach, und ihre Früchte werden von Wildtieren als Delikatesse geschätzt. Aus diesem Grund kalkt Gretzmeier den Stamm seiner jüngeren Bäume bis in die Krone. Damit verhindert er Frostrisse am Stamm, die durch Temperaturschwankungen im Lauf der kalten Jahreszeit entstehen können. Ebenso beugt dies dem Wildverbiss im Winter vor.
Heinrich Gretzmeier vermarktet die Speierlingprodukte über seinen Hofladen.
Die Früchte sind von Kellereien sehr gesucht. Bis 70 Euro pro Zentner und mehr werden bezahlt. Kiefer und Gretzmeier verarbeiten ihre Ware allerdings selbst. Bei Gretzmeiers ist der Mann für das Brennen eines Destillates zuständig und das Ansetzen eines Gins, bei dem unter anderem die Speierlingblüten Verwendung finden. Seine Frau Elvira kümmert sich um die Gelees. 
Ausgetüftelte Ernte
Da der Spirituosenbrenner das volle Aroma der Früchte einfangen will, muss er warten, bis die Früchte vollreif vom Baum fallen. Dann beginnt der Wettlauf mit den Wildtieren, denn für Wildschweine, Rehe, Hasen und Feldmäuse gehören die Früchte zu den Leibspeisen. Aus diesem Grund wird bei der Ernte durch Schütteln ein bisschen nachgeholfen. Die reifen Früchte fallen vom Baum in ausgelegte Netze, die unreifen bleiben hängen. Da die Bäume der Gretzmeiers heute über acht Meter hoch sind, haben sie sich vor einiger Zeit eine hydraulische Schüttelmaschine zugelegt.  Trotz technischer Erleichterung der Arbeit zieht sich das Auflesen meist über mehrere Wochen hin.
Georg Kiefer beim Brennen.
Vor dem Brennen reifen die Früchte in Kisten und Körben noch einige Zeit nach. „Wir lassen sie sehr weich werden. Erst dann haben sie genügend Zucker”, betont Gretzmeier. Im Schnitt werden für einen Liter Speierlingbrand rund zehn Kilogramm Früchte benötigt.
Seine Bäume haben dieses Jahr durchschnittlich rund 120 Kilogramm getragen, die ältesten sogar bis zu vier Zentner.  Die Speierlinge von Kiefer und Gretzmeier liefern zum Teil schon mehrere Jahre Früchte.