Tierhaltung | 30. Mai 2018

Für Sichtkontakt zur Herde sorgen

Von Dr. Michael Götz, Eggersriet/Schweiz
Was braucht die Kuh, damit sie artgerecht abkalben kann? Christian Manser, Berater und Kuhsignaltrainer am Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen (LZSG) in der Schweiz, gibt dazu ein einfaches Rezept: „Versuche immer, die Umgebung durch die Augen einer Kuh zu sehen.”
Die Abkalbebucht befindet sich in Sichtweite der Herde. Die Kuh kann mit ihren Kolleginnen an der Futterachse fressen.
Eine Kuh sollte vor dem Abkalben  nicht angebunden sein, sondern sich frei bewegen können. Vor dem Abkalben steht sie öfter auf als sonst. Die Bewegung hilft ihr, sich zu entspannen und sich auf die Geburt vorzubereiten. Zudem kann sie mit dem Aufstehen und Abliegen eine Falschlage des Kalbes korrigieren. Eine feste Unterlage, häufig eine Gummimatte, bietet der Kuh wenig Halt beim Aufstehen und Abliegen. „Sie liegt hier eher fest”, sagt Manser. Das Beste sei eine  „topgriffige” Strohmatratze, die der  Kuh Halt gibt. Auch liegt die Kuh weich und das frisch geborene Kalb „landet” bei einer Geburt im Stehen auf einer weichen, trockenen Unterlage. „Ansonsten kann der Abkalbebereich etwas ganz Einfaches sein”, betont Manser. Es sind keine teuren Einrichtungen notwendig. Stroh, frisches Wasser und gute Luft hingegen sind für das Abkalben keine Nebensache.
Am besten als Zweiraumlaufstall
Die Abkalbebucht lieber unter dem Vordach oder in einem einfachen Anbau platzieren als in einer dunklen, schlecht durchlüfteten Stallecke.
Wichtig ist, dass die Abkalbebucht in der Nähe der Herde ist, so dass die Kuh Sichtkontakt zu ihr hat. Denn auch eine Kuh vor dem Kalben  möchte nicht alleine sein. Die Wände der Abkalbebucht sollten möglichst offen sein, zum Beispiel aus Rundholzstangen oder Metallrohren. So kann die Kuh sehen, was vor sich geht, und die Luft kann
 zirkulieren. Teure Betonwände sind nicht nur überflüssig, sondern behindern Sicht und Luftaustausch. In einer Abkalbebucht darf eine Tränke nicht fehlen. Sie sollte allerdings abseits der Tiefstreu oder Strohmatratze platziert werden, damit der Liegebereich nicht morastig wird. An einer Trogtränke  können Kühe schnell und viel trinken.
 Am besten ist es, wenn die Abkalbebucht als Zweiraumbucht gestaltet ist, nämlich mit einem befestigten Fressplatz und einer eingestreuten Liegefläche. Es ist von doppeltem Vorteil, wenn der Fressplatz an der Futterachse liegt. Der Landwirt muss nicht zusätzlich an einem anderen Ort füttern, die Kuh frisst bei der Herde und sie wird angeregt, sich zu bewegen.
„Man muss sich in die Kuh hineinversetzen”, sagt Manser. Hochträchtige Kühe produzieren viel Wärme und leiden leicht unter einem Hitzestau. Der Hitzestress beginnt nicht erst beim Abkalben, sondern schon vorher in der Trockenstehzeit. Eine amerikanische Studie aus Florida zeigt, dass das Kolostrum hitzegestresster Kühe weniger Immunglobuline enthält. Sowohl im Trockenstehstall als auch in der Abkalbebucht sollte es nicht zu warm werden. Ventilatoren sind kein Luxus. Kühles Tränkewasser hilft der Kuh ebenfalls, sich abzukühlen. Gibt es wenig Raum im Stall, dann lässt sich eine Abkalbebucht auch unter dem Vordach des Stalles oder in einem einfachen Anbau unterbringen.
 Mit Vorteil plant man sie so groß, dass mehrere Kühe darin Platz finden. Man kann die Abkalbebucht auch als Krankenbucht nutzen. Raumteiler, zum Beispiel mittels schwenkbarer Wände, machen es möglich, den Raum zu unterteilen. Eine Separation der Kuh vor dem Kalben ist aber üblicherweise nicht notwendig; denn die anderen Kühe stören die kalbende Kuh in der Regel nicht. Es ist kein Luxus, Fixiermöglichkeiten anzubringen, um eine Kuh in der Abkalbe- bzw. Krankenbucht behandeln zu können. Es genügt, ein Flügeltor so an der Wand anzubringen, dass man damit eine Kuh einsperren kann. Ein Anschluss an die Vakuumleitung sollte in der Abkalbebucht nicht fehlen, um eine Kuh, die festliegt, melken zu können.
Mutter und Kalb stimulieren sich
Die Starterkiste ermöglicht es der Kuh, zu fressen und das Kalb zu schlecken.
Bei der Geburt ist es grundsätzlich am besten, die Kuh selber machen zu lassen. „Wir haben keine Geduld mehr”, mahnt Manser. Benötigt sie Hilfe, muss man ihr helfen, aber richtig. Oftmals sind es kleine Dinge, auf die es ankommt, zum Beispiel, dass die Geräte zur Geburtshilfe wie Zugkette, Seife, Desinfektionsmittel, Gleitgel, Handschuhe und Eimer an ihrem Platz sind und nicht erst lange gesucht werden müssen.
 Nach der Geburt ist die Mutter meistens durstig, deswegen sollte man ihr in einem großrahmigen Eimer möglichst lauwarmes Wasser anbieten. Sie sollte auch ein paar Stunden Kontakt zum Kalb haben, denn Mutter und Kalb stimulieren sich gegenseitig. Die Mutter steht auf, um das Kalb abzuschlecken. Das regt beim Kalb den Kreislauf an und macht es munter. Eine gute Idee findet Manser die sogenannte Starterbox, eine Holz- oder Kunststoffkiste, in welche das frisch geborene Kalb hineingelegt wird. Die Kiste wird vor das Fressgitter gebracht und dort mit Heu gefüllt. Da die Kuh nach der Geburt meistens nicht nur Durst, sondern auch Hunger hat, frisst sie aus der Kiste und schleckt dabei immer wieder das Kalb ab. 
Auf einen Schlag trockenstellen
Das Abkalben fängt für Manser schon beim Trockenstellen an. Nur eine Kuh, die in der Trockenstehzeit richtig gehalten und ernährt wird, ist gut auf das Abkalben vorbereitet. Das Futter sollte energie- und kalziumarm, aber rohfaserreich, qualitativ einwandfrei und schmackhaft sein. Energiearmes Futter bedeutet nicht, dass die trocken stehende Kuh hungern muss. „Nie hinunterhungern”, betont Manser. Der Fettabbau fördert die Ketose. „Trockensteher müssen einen gefüllten Bauch haben”, führt der Kuhsignaltrainer aus. Der Landwirt kann zum Beispiel die  TMR der Milchkühe mit Stroh oder Ökoheu „strecken”. Das macht das Futter voluminös. Wichtig ist, dass Trockensteher genügend Fressplätze zur Verfügung haben und das Futter am Fressgitter gleichmäßig verteilt ist.
 Auch die Art und Weise, wie man Kühe trockenstellt, ist für deren Wohlbefinden und spätere Leistungsbereitschaft wichtig. „Auf einen Schlag trockenstellen”, ist Mansers Devise. „Dabei aber nie das Wasser abstellen”, fügt er hinzu. Der Euterdruck stellt die Milchproduktion ab. Die Kuh darf kein Kraftfutter erhalten, sondern soll strukturreiches Futter fressen. „Gras ist Gift für Trockensteher”, mahnt er.
 Eine weiche und saubere Liegefläche, genügend Platz sowie Frischluft machen den Kühen die Trockenstehzeit zu einem richtigen „Schwangerschaftsurlaub”. Wie bei der Abkalbebucht lässt sich auch im Trockenstehstall vieles ohne große Investitionen erreichen.