Politik | 04. Januar 2023

EU-Minister wollen Folgenabschätzung

Von AgE
Wie erwartet haben die Landwirtschaftsminister der EU-Mitgliedstaaten die Europäische Kommission aufgefordert, eine zusätzliche Folgenabschätzung für ihre Pläne zur Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes vorzulegen.
Über die Pläne der EU-Kommission zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) wird in den europäischen Institutionen heftig diksutiert.
Der  Beschluss wurde am 19. Dezember über einen informellen Mechanismus  ohne weitere Aussprache verabschiedet. Die Kommission wird aufgefordert, innerhalb von sechs Monaten eine ergänzende Studie anzufertigen, die insbesondere die quantitativen Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion in der EU unter die Lupe nehmen soll. Neben der Versorgungssicherheit mit Nahrungs- und Futtermitteln sollen außerdem die Preisentwicklung und die zu erwartenden bürokratischen Belastungen für kleine und mittlere Betriebe einbezogen werden.
Zusätzlichen Informationsbedarf sieht der Rat außerdem wegen der Auswirkungen eines Totalverbots in sensiblen Gebieten und bei Auflagen für den Einsatz im Forst sowie hinsichtlich alternativer Pflanzenschutzmittel.
Wie der Rat ferner erklärt, soll die Arbeit an „verschiedenen technischen Aspekten” des Kommissionsvorschlags von der zusätzlichen Folgenabschätzung nicht unnötig verzögert werden. Nach Einschätzung der Minister ist eine ergänzende Analyse aber notwendig, da der ursprüngliche Vorschlag die langfristigen Folgen auf die Ernährungssicherheit in der EU nicht berücksichtigt und vor dem Krieg in der Ukraine und den Krisen der Energie-, Nahrungs- und Düngemittelpreise erstellt wurde.
Die zusätzliche Folgenabschätzung wird von Kritikern vielfach als Versuch verstanden, das Gesetzgebungsverfahren zu verzögern und den Abschluss in der laufenden Legislaturperiode zu verhindern. „Hier entsteht einmal mehr der Eindruck, dass die Folgenabschätzung allein aus taktischen Gründen gefordert wird, um unliebsame gesetzliche Festlegungen zur Reduzierung von Pestiziden zu verhindern”, erklärte beispielsweise der Koordinator für Agrarpolitik des World Wide Fund for Nature (WWF), Johann Rathke.
Kommission ist nicht verpflichtet
Deutschland, Frankreich und Spanien hatten die Forderung nach einer zusätzlichen Folgenabschätzung nicht unterstützt und vor Verzögerungen gewarnt. Verwiesen wurde unter anderem auf Planungssicherheit für die Landwirte. Getragen wird der Beschluss vor allem von ost- und mitteleuropäischen Mitgliedstaaten. Die Kommission ist nicht verpflichtet, der Forderung der Mitgliedstaaten nachzukommen; gleichzeitig ist die Brüsseler Behörde aber auf die Zusammenarbeit mit dem Rat angewiesen. Eine maßgebliche Rolle dürfte der nächsten Ratspräsidentschaft zukommen, die zum Jahreswechsel an Schweden überging. Die Regierung in Stockholm hatte sich der Forderung nach einer zusätzlichen Folgenabschätzung dem Vernehmen nach nicht angeschlossen.
Sarah Wiener plädiert bei SUR für schnelle Kost
Die grüne Europaparlamentarierin Sarah Wiener tritt dafür ein, dass der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) schnell in Kraft tritt. Wiener ist Berichterstatterin im EU-Parlament für SUR. Die Forderung der Mehrheit der Mitgliedsstaaten nach einer erweiterten Folgenabschätzung hält die zuvor als Gastronomin und Fernsehköchin bekannte Abgeordnete für Verzögerungstaktik.
Der Verordnungsvorschlag zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) sollte möglichst zeitnah in Kraft treten. Dies sei auch „im Interesse der Planungssicherheit für konventionelle Bauern”, betont Sarah Wiener im Interview mit dem Fachpressedienst Agra-Europe. Im Übrigen bestehe die politische Pflicht, den eigenen Berufsstand, aber auch die Gesellschaft zu schützen. „Von den Auswirkungen auf die Umwelt ganz zu schweigen”, so die österreichische Europaabgeordnete. Scharf ins Gericht geht Wiener mit dem Beschluss der Mitgliedstaaten, die Kommission zu einer erweiterten Folgenabschätzung zur SUR aufzufordern: „Für mich ist das ganz klar der Versuch, die Umsetzung der Kommissionspläne hinauszuzögern, und nichts anderes.” Die größten Leidtragenden seien dabei die Bauern und die Gärtner.
Im Kontext der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln stellt die Grünen-Politikerin einen Zusammenhang zwischen einer Verdopplung der Parkinson-Erkrankten im Vergleich zu 1990 und einem Anstieg bestimmter Krebsformen und deren Anerkennung als Berufskrankheiten in der Landwirtschaft her. Die von der Kommission angedachte Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes bis 2030 verteidigt die Berichterstatterin. Damit dies erfolgreich gelingen könne, brauche man „eine echte Transformation hin zu agrarökologischen Maßnahmen”.
Eine Abnahme des Ertragspotenzials durch einen Anstieg der ökologischen Landwirtschaft sieht die vormalige Fernsehköchin derweil nicht. Die Ökolandwirtschaft habe eine riesige Bandbreite an Möglichkeiten, die der konventionellen Erzeugung vielfach deutlich überlegen seien. Dies gelte für den Schutz der Biodiversität, aber auch für die Möglichkeiten der Erzeugung einer großen Vielfalt von Lebensmitteln.
Was die Landwirtschaft nach Auffassung der EU-Abgeordneten hingegen nicht braucht, sind extrem teure chemisch-synthetische Pestizide und Düngemittel. „Diese liegen vielfach in den Händen weniger Großkonzerne und werden der Bauernschaft zu vergleichsweise teuren Preisen auf einem oligopolistischen Markt zur
Verfügung gestellt”, beklagt die Österreicherin. Die Weigerung des Umweltausschusses, dem Landwirtschaftsausschuss das gleichberechtigte Mitspracherecht einzuräumen, begrüßt Wiener. „Man kann nicht einer Sparteninteressengruppe die Gesetzgebung überlassen, wenn es um unser aller Gesundheit, die Gesundheit von Umwelt und Natur und den Schutz unserer Lebensgrundlagen Erde, Wasser, Luft geht. Das wäre ja so, als wenn man einem Süchtigen sage, er solle die Dosis selbst bestimmen und reduzieren.”