Politik | 02. April 2015

„Es ist nicht zu spät”

Von Walter Eberenz
Am Montag kamen bei der zweiten Großkundgebung von Sonderkulturbauern innerhalb weniger Wochen rund 1200 Anbauer von Obst, Wein und Gemüse mit 400 Traktoren in den Obstgroßmarkt Oberkirch, um gegen das Mindestlohngesetz zu protestieren.
Geladene Stimmung, gespanntes Warten: Die Halle des Obstgroßmarktes Mittelbaden von der Rednertribüne aus kurz vor Beginn der Kundgebung.
Das Knattern eines Polizeihubschraubers, der über die Anfahrt der Traktorenkonvois wachte, und das Geheul von Sirenen, die Bauern mitbrachten, mischten sich am Montag dieser Woche zu einem Klangmix, der größeren Demonstrationen eigen ist. Die Bauern kamen genauso zahlreich nach Oberkirch, wie sie schon am 2. März nach Meckenbeuren-Brochenzell fuhren, um gegen das Mindestlohngesetz mit seinen bürokratischen Fesseln zu demonstrieren. Und ebenso wie am Bodensee waren neben den Bauern aus der Umgebung Delegationen aus Nachbarregionen gekommen.
CDU im Visier
Die Präsenz von Politikern von der Bundes- und Landesbühne war in Oberkirch sogar stärker – allerdings nur die CDU und FDP betreffend. Vertreter von anderen Parteien fehlten. Vor allem die Abwesenheit der SPD, der Architektin des Mindestlohngesetzes in Person von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, wurde bei der Großkundgebung mehrfach heftig kritisiert, begleitet von den Pfiffen der Bauern. Aber auch die CDU bekam ihr „Fett” ab,  wegen mangelnden Einsatzes in Sachen Mindestlohn in der gesamten Gesetzgebungsphase, trotz klarer Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Union. Das konnten die Politiker schwarz auf weiß auf mehreren  Transparenten lesen und bekamen sie von Rednern der Bauern zu hören – von Beifall für die Redner und Buh-Rufen für die CDU begleitet.
Von den Gescholtenen waren  selbstkritische Töne zu hören. Fehler wurden eingeräumt. Man wolle sich dafür einsetzen, sie zu korrigieren. Sie machten mit Fingerzeig auf die abwesenden Vertreter anderer Parteien jedoch auch klar, dass sie sich der Diskussion vor Ort stellen. Was die  Bauernpräsidenten, die ans Mikrofon traten, auch zu würdigen wussten, bei aller Kritik. Die Situation für die Obstbauern ist prekär – die bürokratischen Auflagen sind extrem hoch und die Preise extrem niedrig, darauf machte Franz Josef Müller, Präsident des Landesverbandes Erwerbsobstbau, als erster Redner aufmerksam.
„Die Bürokratie muss weg”
„Lidl und Aldi zahlen uns nicht die Preise, um die Lohnsteigerungen auszugleichen”, betonte Müller und nannte zu Äpfeln Zahlen: Demnach bekommen die Obstbauern gerade mal 15 Cent je Kilo, bei  Produktionskosten von derzeit 26 bis 28 Cent. „Am Ende der Anpassungsphase zum Mindestlohn betragen die Produktionskosten 34 Cent”, so Müller. Neue Aufzeichnungspflichten für die Betriebe hält der LVEO-Präsident für gänzlich unnötig, da schon alles dokumentiert sei, beispielsweise für die Sozialversicherung und die Steuer. „Diese Bürokratie muss weg”, verlangte auch BLHV-Präsident Werner Räpple. Zu seinen Forderungen zählten: Wegfall der Aufzeichnungspflicht für kurzfristig beschäftigte Saisonarbeitskräfte, mitarbeitende Familienangehörige und Vollzeit-Arbeitskräfte, flexible Arbeitszeiten, die den Anforderungen der Landwirtschaft gerecht werden, Entlohnung am Ende des Einsatzzeitraumes, gemäß dem Wunsch der Saisonarbeitskräfte,  keine unangekündigten Kontrollen „nach Stasi-Methoden”.
„Nicht verdient”
„Die Saisonarbeitskräfte haben es nicht verdient, bei ihrer Arbeit in die Mündungen von Maschinenpistolen schauen zu müssen”, spann Kilian Schneider, Präsident des Badischen Weinbauverbandes, den kritischen Punkt der unangemeldeten Zollkontrollen weiter. In Richtung des nur einige Kilometer entfernt wohnenden Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, dem obersten Dienstherr der Zöllner, richtete Schneider die Frage: „Was tun wir denn Schreckliches, dass der Staat jetzt sein Gewaltmonopol so trotzig zur Schau stellen will?”
Den Anfang bei den Politiker-Reden machte Alois Gerig (CDU), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Er bekundete, als ehemaliger Maschinenring-Geschäftsführer auf der Seite der Bauern zu stehen („Ich bin einer von Ihnen”). „Es ist nicht zu spät”, rief er den 1200 Bauern in der Halle zu und machte dabei auf „intensive Spitzengespräche” nach Ostern aufmerksam (siehe auch nebenstehenden Text im Kasten). Gerig riet den Bauern, Resolutionen und andere Verlautbarungen allen Politikern zukommen zu lassen, und nicht nur den Agrarpolitikern. Seine Bundestagskollegin Kordula Kovac aus Wolfach pflichtete Gerig bei: „Ich bin für Sie zuständig und stehe hinter Ihnen.” Guido Wolf, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion und Spitzenkandidat der Partei für die kommende Landtagswahl, zeigte Verständnis für die Kritik der Bauern und bekannte, dass die Politik Fehler gemacht habe: „Diese Fehlentwicklungen müssen jetzt wieder beseitigt werden. So können die Folgen des Mindestlohngesetzes nicht bleiben.”
„Ein schlechtes Gesetz muss abgeschafft oder geändert werden”, betonte auch der FDP-Landespolitiker Friedrich Bullinger. Gegenüber den Bauern sprach er sich gegen weitere Bevormundungen und Verbote aus.
Für BLHV-Präsident Werner Räpple ist das Mindestlohngesetz auch eine Frage, wie die Politik mit dem Mittelstand umgeht, zu dem er die Landwirtschaft zählt. „Wer den Mittelstand kaputt macht, macht die Zukunft eines Landes kaputt”, betonte er in seinem Schlusswort.
Mit Kauder und Nahles in Berlin
Am 14. April wird eine Bauerndelegation aus dem Land zusammen mit BLHV-Präsident Werner Räpple,  Kilian Schneider, Präsident des Badischen Weinbauverbandes, und Franz Josef Müller, Präsident des Landesverbandes Erwerbsobstbau, in Berlin Spitzengespräche zur Umsetzung des Mindestlohns führen. Zunächst mit Volker Kauder, dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und danach mit Andrea Nahles, der Bundesministerin für Arbeit und Soziales (SPD). Wie Räpple in Oberkirch bekundete, hat sich Guido Wolf, der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, bei der Gesprächsvermittlung eingesetzt. Als Räpple den Berliner Gesprächstermin in Oberkirch verkündete, gab es den lautstarken Zwischenruf „Da gehen wir alle mit”. Daraufhin Räpple: „Wenn’s nichts wird, gehen wir alle nach Berlin.”
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