Auf mindestens 30 Prozent veranschlagt die Bundesregierung die Ausdehnung der nitratbelasteten
Gebiete in Deutschland, sollte die EU-Kommission dem deutschen Vorschlag einer Ausweisung dieser „Roten Gebiete” auf der Grundlage realer Messwerte folgen.
Basis für eine genaue und differenzierte Gebietsabgrenzung muss dem DBV zufolge ein breites Messstellennetz sein.
Derzeit sind bundesweit rund zwei Millionen Hektar als Rote Gebiete ausgewiesen. Die Ausweitung ergibt sich aus den geplanten Änderungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Gebietsabgrenzung (AVV GeA), die das federführende Bundesumweltministerium am 18. Februar zusammen mit der auf dieser Grundlage zu erwartenden Auswirkungen auf die Flächenkulisse in den Bundesländern nach Brüssel übermittelt hat.
Ziel der Bundesregierung sei es, den Ansprüchen der EU-Kommission „unter Berücksichtigung der berechtigten Anliegen der Länder” gerecht zu werden, „damit das laufende Vertragsverletzungsverfahren möglichst bald beigelegt und Deutschland so vor hohen Strafzahlungen geschützt wird”, erklärten die zuständigen Bundesminister Steffi Lemke und Cem Özdemir in einem Schreiben an die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP.
Nordrhein-Westfalens Agrarstaatssekretär Heinrich Bottermann widersprach der Aussage, dass das neue Verfahren zur Gebietsausweisung mit den Ländern abgestimmt sei. Nordrhein-Westfalen lehne die vorgelegten Pläne für die Roten Gebiete ab und fordere weitere Verhandlungen mit der Kommission, so Bottermann in einem Schreiben an die beiden Bundesressorts.
Scharfe Kritik vom DBV
Mit scharfer Kritik reagierte der Deutsche
Bauernverband (DBV). Die vorgesehene abermalige Änderung der
Gebietsabgrenzung sei „das Gegenteil von Klarheit” und führe zu massivem
Unmut bei den Bauern, sagte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. „Für
die Ausweisung riesiger Roter Gebiete nur auf der Basis von
statistischen oder mathematischen Verfahren und vor allem ohne
Berücksichtigung des Verursacherprinzips haben wir kein Verständnis”,
stellte Krüsken klar. Solche weitreichenden Einschränkungen ohne
Berücksichtigung wasserwirtschaftlicher Zusammenhänge seien nicht
verhältnismäßig und würden vermutlich noch die Gerichte beschäftigen.
Enge Abgrenzung von Grundwasserkörpern
Basis für eine genaue und
differenzierte Gebietsabgrenzung muss dem DBV-Generalsekretär zufolge
ein breites Messstellennetz sein. „Wenn mit der neuen Gebietsabgrenzung
Landwirte ungerechtfertigt in großen pauschalen Gebieten mit
zusätzlichen Auflagen überzogen werden, ist dies die Verantwortung der
Länder, zu wenige Messstellen für eine genaue Binnendifferenzierung
eingerichtet zu haben”, so Krüsken. Eine enge räumliche Abgrenzung von
Grundwasserkörpern sei wasserwirtschaftlich geboten, vermeide
Übermaßregelungen und werde auch von der EU-Kommission ausdrücklich
unterstützt. Die Kritik der Brüsseler Administration war erstmals im
Sommer letzten Jahres bekannt geworden, als Umweltkommissar Virginijus
Sinkevicius in einem Mahnschreiben an die Bundesregierung seine Bedenken
gegen das Verfahren zur Ausweisung der Roten Gebiete zum Ausdruck
gebracht hatte. Seither hatte es wiederholt Gespräche zwischen beiden
Seiten gegeben, ohne dass dabei Einvernehmen erzielt werden konnte.
Zuletzt hatte die Kommission mit einer Wiederaufnahme des
Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen Nichteinhaltung
der EU-Nitratrichtlinie sowie der Verhängung von Strafzahlungen in einer
Größenordnung von mehr als 800000 Euro am Tag für den Fall gedroht,
dass Deutschland bis zum 18. Februar keine zufriedenstellende Antwort
auf die vorgebrachte Kritik liefert.
Anlass des Brüsseler Unmuts ist die Halbierung des Umfangs der Roten
Gebiete infolge der Ausweisung auf der Grundlage der im vorigen Jahr vom
Bundesrat beschlossenen AVV-Gebietsausweisung. Die Kritik der
Kommission bezieht sich auf die sogenannte „Emissionsmodellierung” bei
der Gebietsausweisung, die sie als nicht vereinbar mit der
EU-Nitratrichtlinie ablehnt. Bund und Länder hatten sich auf die
Modellierung als Grundlage für die Binnendifferenzierung der Roten
Gebiete verständigt, um dem Verursacherprinzip bei der Nitratbelastung
Rechnung zu tragen. Unter anderem spielen dabei die jeweils eingesetzten
Düngermengen eine Rolle. Künftig soll die Binnendifferenzierung der
Roten Gebiete auf der Grundlage der Nitratkonzentration in den
Grundwassermessstellen erfolgen.
Lemke und Özdemir machen in ihrem Schreiben an die
Koalitionsabgeordneten darauf aufmerksam, dass die unterschiedliche
Umsetzung der AVV in den Landesdüngeverordnungen im Fokus der
EU-Kommission stehe, nicht jedoch die Düngeverordnung des Bundes.
Die AVV sei aus Brüsseler Sicht im Hinblick auf die reale
Nitratbelastung nicht angemessen und insgesamt nicht wirkungsvoll genug,
um eine signifikante Reduzierung von Nitrateinträgen zu erreichen. Die
von Bund und Ländern in der letzten Legislaturperiode erarbeiteten
Modelle zur Bestimmung nitratbelasteter Gebiete würden zum Teil nicht
akzeptiert. Deshalb gehe es jetzt darum, die Allgemeine
Verwaltungsvorschrift so zu verändern, „dass sie der Kritik der
Europäischen Kommission Rechnung trägt”. Die beiden Minister räumen ein,
dass eine erneute Ausweisung der belasteten Gebiete für die
Landwirtschaft „in einigen Regionen wieder mit Änderungen der
Düngepraxis” verbunden sein werde. Nach Auffassung der Grünen-Politiker
hätte dies durch konsequenteres Handeln in der Vergangenheit verhindert
werden können.
Auswirkung auf Nitratgebiete im Land noch unklar
Derzeit ist noch offen, welche Änderungen bei den Nitratgebieten konkret kommen werden. Es gibt noch keine verbindliche neue Karte. Die Wasserschützer der EU-Kommission werden jetzt die unter hohem Druck geänderte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV) kritisch prüfen.
Nimmt die EU-Kommission den vom Bundesumweltministerium eingereichten Vorschlag an, wird das Land eine neue Abgrenzung auf Grundlage der neuen AVV vornehmen und das Ergebnis auf Karten darstellen. Auch wenn Baden-Württemberg über ein relativ dichtes Netz mit knapp 4000 Messstellen verfügt und den Emissionsansatz nur untergeordnet angewendet hat, würde die neue AVV zu Veränderungen bei den Nitratgebieten führen. Der BLHV befürchtet, dass die von der EU verlangte Berücksichtigung reduzierender Messstellen zu einer Zunahme von Nitratgebieten insbesondere in der Oberrheinebene führen könnte.
Wenn Nitratgebiete auf Basis neuer Regeln abgegrenzt werden, sei andererseits auch ein teilweiser Wegfall von Nitratgebieten denkbar. Bis dahin gelten die bestehenden Nitratgebiete und die dortigen Auflagen weiter.