Politik | 24. Februar 2022

Es drohen deutlich mehr „Rote Gebiete”

Von AgE/Hubert God, BLHV
Auf mindestens 30 Prozent veranschlagt die Bundesregierung die Ausdehnung der nitratbelasteten Gebiete in Deutschland, sollte die EU-Kommission dem deutschen Vorschlag einer Ausweisung dieser „Roten Gebiete” auf der Grundlage realer Messwerte folgen.
Basis für eine genaue und differenzierte Gebietsabgrenzung muss dem DBV zufolge ein breites Messstellennetz sein.
Derzeit sind bundesweit rund zwei Millionen Hektar als Rote Gebiete ausgewiesen. Die Ausweitung ergibt sich aus den geplanten Änderungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Gebietsabgrenzung (AVV GeA), die das federführende Bundesumweltministerium am 18. Februar zusammen mit der auf dieser Grundlage zu erwartenden Auswirkungen auf die Flächenkulisse in den Bundesländern nach Brüssel übermittelt hat.
Ziel der Bundesregierung sei es, den Ansprüchen der EU-Kommission „unter Berücksichtigung der berechtigten Anliegen der Länder” gerecht zu werden, „damit das laufende Vertragsverletzungsverfahren möglichst bald beigelegt und Deutschland so vor hohen Strafzahlungen geschützt wird”, erklärten die zuständigen Bundesminister Steffi Lemke und Cem Özdemir in einem Schreiben an die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP.
Nordrhein-Westfalens Agrarstaatssekretär Heinrich Bottermann widersprach der Aussage, dass das neue Verfahren zur Gebietsausweisung mit den Ländern abgestimmt sei. Nordrhein-Westfalen lehne die vorgelegten Pläne für die Roten Gebiete ab und fordere weitere Verhandlungen mit der Kommission, so Bottermann in einem Schreiben an die beiden Bundesressorts.
Scharfe Kritik vom DBV
Mit scharfer Kritik reagierte der Deutsche Bauernverband (DBV). Die vorgesehene abermalige Änderung der Gebietsabgrenzung sei „das Gegenteil von Klarheit” und führe zu massivem Unmut bei den Bauern, sagte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. „Für die Ausweisung riesiger Roter Gebiete nur auf der Basis von statistischen oder mathematischen Verfahren und vor allem ohne Berücksichtigung des Verursacherprinzips haben wir kein Verständnis”, stellte Krüsken klar. Solche weitreichenden Einschränkungen ohne Berücksichtigung wasserwirtschaftlicher Zusammenhänge seien nicht verhältnismäßig und würden vermutlich noch die Gerichte beschäftigen.
Enge Abgrenzung von Grundwasserkörpern
Basis für eine genaue und differenzierte Gebietsabgrenzung muss dem DBV-Generalsekretär zufolge ein breites Messstellennetz sein. „Wenn mit der neuen Gebietsabgrenzung Landwirte ungerechtfertigt in großen pauschalen Gebieten mit zusätzlichen Auflagen überzogen werden, ist dies die Verantwortung der Länder, zu wenige Messstellen für eine genaue Binnendifferenzierung eingerichtet zu haben”, so Krüsken. Eine enge räumliche Abgrenzung von Grundwasserkörpern sei wasserwirtschaftlich geboten, vermeide Übermaßregelungen und werde auch von der EU-Kommission ausdrücklich unterstützt. Die Kritik der Brüsseler Administration war erstmals im Sommer letzten Jahres bekannt geworden, als Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius in einem Mahnschreiben an die Bundesregierung seine Bedenken gegen das Verfahren zur Ausweisung der Roten Gebiete zum Ausdruck gebracht hatte. Seither hatte es wiederholt Gespräche zwischen beiden Seiten  gegeben, ohne dass dabei Einvernehmen erzielt werden konnte. Zuletzt hatte die Kommission mit einer Wiederaufnahme des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen Nichteinhaltung der EU-Nitratrichtlinie sowie der Verhängung von Strafzahlungen in einer Größenordnung von mehr als 800000 Euro am Tag für den Fall gedroht, dass Deutschland bis zum 18. Februar keine zufriedenstellende Antwort auf die vorgebrachte Kritik liefert.
Anlass des Brüsseler Unmuts ist die Halbierung des Umfangs der Roten Gebiete infolge der Ausweisung auf der Grundlage der im vorigen Jahr vom Bundesrat beschlossenen AVV-Gebietsausweisung. Die Kritik der Kommission bezieht sich auf die sogenannte „Emissionsmodellierung” bei der Gebietsausweisung, die sie als nicht vereinbar mit der EU-Nitratrichtlinie ablehnt. Bund und Länder hatten sich auf die Modellierung als Grundlage für die Binnendifferenzierung der Roten Gebiete verständigt, um dem Verursacherprinzip bei der Nitratbelastung Rechnung zu tragen. Unter anderem spielen dabei die jeweils eingesetzten Düngermengen eine Rolle. Künftig soll die Binnendifferenzierung der Roten Gebiete auf der Grundlage der Nitratkonzentration in den Grundwassermessstellen erfolgen.
Lemke und Özdemir machen in ihrem Schreiben an die Koalitionsabgeordneten darauf aufmerksam, dass die unterschiedliche Umsetzung der AVV in den Landesdüngeverordnungen im Fokus der EU-Kommission stehe, nicht jedoch die Düngeverordnung des Bundes.
 Die AVV sei aus Brüsseler Sicht im Hinblick auf die reale Nitratbelastung nicht angemessen und insgesamt nicht wirkungsvoll genug, um eine signifikante Reduzierung von Nitrateinträgen zu erreichen. Die von Bund und Ländern in der letzten Legislaturperiode erarbeiteten Modelle zur Bestimmung nitratbelasteter Gebiete würden zum Teil nicht akzeptiert. Deshalb gehe es jetzt darum, die Allgemeine Verwaltungsvorschrift so zu verändern, „dass sie der Kritik der Europäischen Kommission Rechnung trägt”. Die beiden Minister räumen ein, dass eine erneute Ausweisung der belasteten Gebiete für die Landwirtschaft „in einigen Regionen wieder mit Änderungen der Düngepraxis” verbunden sein werde. Nach Auffassung der Grünen-Politiker hätte dies durch konsequenteres Handeln in der Vergangenheit verhindert werden können.
Auswirkung auf Nitratgebiete im Land noch unklar
Derzeit ist noch offen,  welche Änderungen bei den Nitratgebieten konkret kommen werden. Es gibt noch keine verbindliche neue Karte. Die Wasserschützer der EU-Kommission werden jetzt die unter hohem Druck geänderte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV) kritisch prüfen.
Nimmt die EU-Kommission den vom Bundesumweltministerium eingereichten Vorschlag an, wird das Land eine neue Abgrenzung auf Grundlage der neuen AVV vornehmen und das Ergebnis auf Karten darstellen. Auch wenn Baden-Württemberg über ein relativ dichtes Netz mit knapp 4000 Messstellen verfügt und den Emissionsansatz nur untergeordnet angewendet hat, würde die neue AVV zu Veränderungen bei den Nitratgebieten führen. Der BLHV befürchtet, dass die von der EU verlangte Berücksichtigung reduzierender Messstellen zu einer Zunahme von Nitratgebieten insbesondere in der Oberrheinebene führen könnte.
Wenn Nitratgebiete auf Basis neuer Regeln abgegrenzt werden, sei andererseits auch ein teilweiser Wegfall von Nitratgebieten denkbar. Bis dahin gelten die bestehenden Nitratgebiete und die dortigen Auflagen weiter.