Waldwirtschaft | 03. Januar 2019

Erwünschte und unerwünschte Tiere im Wald

Von Gernot Raiser
Bei der Weihnachtspressefahrt, zu der der BLHV gemeinsam mit der Forstdirektion Freiburg eingeladen hatte, wurden die Wechselwirkungen zwischen dem Wald und einigen seiner tierischen Bewohner besprochen: Nützliche Rinder, bedrohte Auerhühner und gefährliche Borkenkäfer.
Die im Wald freilaufenden Rinder der Rasse Salers aus Frankreich verschmähen Sauergräser und die Rinde von verholzten Pflanzen nicht und sorgen so für einen lichten Waldbestand.
Startpunkt der Informationstour war in Kappel-Grafenhausen, auf dessen Gemarkung das Pilotprojekt Wilde Waldweiden angesiedelt ist.
Bürgermeister Jochen Paleit, der sich stark für die Realisierung eingesetzt hatte, zeigte sich begeistert von der einmaligen Chance, im engbesiedelten Rheintal eine wertvolle naturnahe Landschaft wiederherzustellen. Hauptakteure der Wilden Waldweiden sind eine Herde von etwa 40 Rindern der französischen Extensivrasse Salers. Die Tiere werden auf einem eingezäunten Areal von  70 ha Auenwald und 30 ha Offenland bewusst eingesetzt, um durch ihren Fraß auf dieser Fläche naturschutzfachlich wertvolle Biotope aufkommen zu lassen.
Landwirtschaft profitiert
Die Rinderherde im Wald wird gehalten und betreut vom ortsansässigen Landwirt Tilman Windecker (rechts). Bei der Pressefahrt schilderte er die Besonderheiten dieses Betriebszweiges.
Paleit lobte die im engen Rheintal so wichtige  große Flächeneffizienz des Naturschutzprojektes. Nach seinen Worten verlieren die Landwirte im Rheintal immer mehr Flächen durch Autobahn, Eisenbahn, Wohnungsbau und Gewerbegebiete. Aber auch naturschutzfachliche Ausgleichsmaßnahmen entziehen der Agrarproduktion Flächen.
„Wir wollen einen naturschutzfachlichen Ausgleich im Wald schaffen. Das geht über sogenannte Ökopunkte. Bei den Wilden Waldweiden wird ein nicht standortangepasster Forst mithilfe der Weidetiere umgewandelt in einen ökologisch wertvollen, lichten Laubbaumbestand.” Die rund 100 ha generieren Ökopunkte im siebenstelligen Bereich, die frei gehandelt werden können.  Letztendlich handelt es sich um ein Art Tauschhandel zum Beispiel für einen Landschaftsverbrauch andernorts.
Wertvoll für Naturschutz
 „Inzwischen haben sich in dieser Weidelandschaft vom Aussterben bedrohte oder immer seltener werdende Arten etabliert, wie Neuntöter, Gartenrotschwanz oder Wendehals”, freute sich der Bürgermeister über die ersten Erfolge. Unter den Pflanzen liegt beispielsweise ein besonderes Augenmerk auf seltenen Orchideen.
„Die Waldweide war bis 1830 eine typische Nutzungsform hier und anderswo”, ergänzte  Albrecht Franke. Er ist im Regierungspräsidium Freiburg zuständig für den Naturschutz im Wald und federführend beteiligt am Projekt Wilde Waldweiden. Früher stand für die Landbevölkerung die Ernährungssicherung im Vordergrund, wenn sie den Wald beweiden ließ. Jedoch richteten die Tiere im Forst solche Verwüstungen an, dass die Waldweide vor knapp 200 Jahren gesetzlich verboten wurde.
Landwirt Tilman Windecker, in dessen Obhut die Rinderherde steht, berichtet, dass die französische Extensivrasse gesund und robust ist. Klauenprobleme habe es bisher nicht gegeben und die weiblichen Tiere seien so leichtkalbig, dass der Mensch normalerweise bei Geburten nicht helfend eingreifen müsse. Die  Herde hält sich das ganze Jahr über im Freien auf. Sie ernähre sich fast ausschließlich vom vorhandenen Bewuchs im Wald und auf den angrenzenden Extensivweiden, erläuterte Windecker. Nur in Notzeiten, zum Beispiel, wenn Schnee liegt, wird zugefüttert. Außer Rindern gibt es noch eine Handvoll Pferde auf den Wilden Waldweiden,  weil sie die Vegetation deutlich tiefer abgrasen. Das ist wichtig, damit wieder Kahlstellen im Wald entstehen als Nahrungs- und Lebensraum für ökologisch wertvolle Pflanzen- und Tierarten. Das Gebiet ist eingepfercht, man kann es aber durch spezielle Tore betreten – es besteht ein freies Betretungsrecht – allerdings auf eigene Verantwortung und ohne Hunde.
Finanziert wird das Projekt hauptsächlich über die Landschaftspflegeprämie, die sich auf etwa 300 Euro je Hektar beläuft. Das Geld wird für die dazugehörigen  Weidefläche außerhalb des Waldes bezahl
Das Ziel: ein lichter Wald
Dieser relativ lichte Bestand innerhalb der Wilden Waldweiden entspricht den Naturschutzzielen: genügend Sonne kommt zum Boden.
Bernhard Ihle, ehemaliger Leiter des Forstbezirks Lahr und an der Konzeptionierung der Wilden Waldweiden beteiligt, erläuterte bei dem Vor-Ort-Termin die waldbaulichen Einzelheiten.
Der ursprüngliche, regelmäßig überschwemmte Auenwald sei nach den großen Korrekturen des Rheinbettes trockengefallen und durch menschliche Einflussnahme in einen Wirtschaftswald umgewandelt worden. Die hohen Bäume ließen nur noch wenig Sonnenlicht bis zum Boden kommen. Dieser Prozess soll jetzt rückgängig gemacht werden. Das Ziel ist ein lichter Mittelwald aus Ober- und Unterholz, wie er vor dem Zweiten Weltkrieg vor Ort üblich war und dann meist durch die Hochwaldwirtschaft abgelöst wurde.  Das Oberholz besteht hier aus Eichen, Hainbuchen, Eschen und einigen Pappeln.  Die noch vor wenigen Jahren vorhandenen 30 Prozent Eschen sind wegen des Eschentriebsterbens bereits entnommen worden. Das Unterholz setzt sich vor allem aus Haselnuss und Ahorn zusammen. Es wurde früher alle 20 bis 30 Jahre auf den Stock gesetzt und als Brennholz genutzt.
Meinrad Joos, Forstpräsident am Regierungspräsidium Freiburg, ergänzte: „Die Eiche ist in den Wilden Waldweiden aus naturschutzfachlichen Gründen  eine sehr erwünschte Baumart. Auf und von ihren oft sehr alten und knorrigen Ästen und Stämmen leben eine ganze Reihe von geschützten Tierarten. Um den Eichenanteil im Bestand zu erhöhen, muss jedoch der Mensch steuernd und schützend eingreifen. Im Wettbewerb um Sonne, Standraum, Wasser und Nährstoffe sind andere Baumarten deutlich kampfkräftiger. Wenn man die Eiche im Wald haben will, muss man eingreifen, zum Beispiel indem man kleine Kahlflächen anlegt für die sehr lichtbedürftigen jungen Eichenbäumchen.”
BLHV-Präsident Werner Räpple stellte klar, das die Wilden Waldweiden trotz naturschutzfachlicher und ästethischer Attraktivität keine Modell sein können für eine flächendeckende Forstwirtschaft. Viele Privatwaldwaldbesitzer, vor allem im Schwarzwald, seien auf die wirtschaftlichen Erträge ihrer Wälder existenziell angewiesen. „Unter diesen Bedingungen muss die Bewirtschaftung der Wälder ganz anders aussehen als hier in Kappel-Grafenhausen”, macht der Präsident deutlich.
Auerwild auf dem absteigenden Ast
Ein Sorgenkind des Waldnaturschutzes ist nach wie vor das Auerwild, obwohl die Landesforstverwaltung gemeinsam mit Naturschutz-, Tourismus- und Jagdverbänden  seit zehn Jahren gezielt einen Aktionsplan zum Schutz der bedrohten Tierart verfolgt.  „Der drastische Rückgang der Population hält an. Zu Beginn des Aktionsplanes hatten wir im Schwarzwald etwa 600 Stück Auerwild, aktuell dürften es nur noch knapp 400 Tiere sein”, bedauert Forstpräsident Meinrad Joos.
Alle bisherigen großen Anstrengungen und biotopverbessernden Maßnahmen konnten den Rückgang der Raufußhühner nicht stoppen. Deshalb sollen ab 2019 drei Jahre lang gezielt baumfreie Flächen von mindestens 0,2 Hektar im Wald geschaffen werden, um das Lebensraum- und Nahrungsangebot so zu vergrößern, dass der Nachzuchterfolg steigt. Diese neuesten Bemühungen der Forstverwaltung werden unter dem Schlagwort „Lücken für Küken” kommuniziert.  Denn die erwachsenen Hühner leben zwar im Wald in Hochlagen, brauchen aber für die Kükenaufzucht warme, lichtdurchflutete Freiflächen mit niedrigem Strauch- und Krautbewuchs, beispielsweise Heidelbeeren. Die Aktion „Lücken für Küken” ist für ForstBW zwar keine technische, aber eine gewaltige gesellschaftliche Herausforderung, denn das flächige Fällen von Bäumen stößt in der Bevölkerung auf wenig Verständnis.
Joos zog auch eine vorläufige Bilanz der Forstwirtschaft im Land. Das ablaufende Jahr sei geprägt gewesen von massiven Schäden durch Trockenheit und Borkenkäfer. Drei Millionen Kubikmeter Schadholz seien angefallen. Das entspreche schon rund 50 Prozent des jährlichen Nadelholzaufkommens im Land. Der Forstpräsident stellte eine wenig erfreuliche Prognose: „Wir gehen für die kommenden zwei bis drei Jahre von deutlichen Wuchsdepressionen im Wald infolge der negativen Einflüsse des Jahres 2018 aus.”