Dankbarkeit - Verantwortung - Heil
Die jüngste Entwicklung stimmt zuversichtlich und gibt mir die Möglichkeit, diesen Erntedankbrief mit etwas Positivem zu beginnen. „Positiv denken” ist für uns Bauern nicht nur eine Floskel, sondern eine Grundlage dafür, dass wir stets aufs Neue mit Freude und Elan unserem Tagwerk nachgehen können. Egal, ob wir das im Vollerwerb, Zuerwerb oder Nebenerwerb tun. Denn leider haben es die Natur und die Märkte 2016 erneut nicht gut mit uns gemeint. Und das ist eigentlich noch zu gelinde ausgedrückt. Es war ein extremes Jahr, wie es gestandene Kollegen mit vielen Jahren Berufserfahrung, einschließlich mir, noch nicht erlebt haben. Die fortdauernden starken Regenfälle haben im Frühjahr und Frühsommer bei vielen Kulturen zu Nässeschäden und einem enormen Krankheitsdruck geführt. So trat in den Reben der Falsche Mehltau so heftig auf wie selten zuvor. Beim Pflanzenschutz ging es um Stunden, nicht um Tage, um Schlimmes abzuwenden.
Wir Landwirte sind es zwar gewohnt, mehr als zehn oder zwölf Stunden auf dem Feld oder im Stall zu verbringen, aber die extremen Bedingungen forderten von uns in diesem Jahr so viel Arbeit und Kraft wie lange nicht mehr. Nach einem harten Arbeitstag wünschen wir uns eigentlich Ruhe und ein paar Stunden gemeinsame Zeit mit unseren Familien. Aber die Bürokratie zwingt uns, seien es Abrechnungen oder der Gemeinsame Antrag, bis in die späten Nachtstunden an den Bürotisch. Das Übermaß an Arbeit, welche kaum noch gerecht entlohnt wird, fehlende Freizeit und schwindende Zuversicht auf eine bessere Zukunft belasten die bäuerlichen Familien zunehmend.
Alle sind wir Teil von Gottes Schöpfung und leben dank der Grundlage, welche er uns beschert hat. Dafür danken wir dem Herrn. Aber auch untereinander sollten wir wieder mehr Dankbarkeit zeigen. Auch gegenüber den Bäuerinnen und Bauern, welche sich nach einem gerechten Lohn für ihre tägliche Arbeit sehnen. Ihr Lohn bemisst sich nicht nur in Euro pro Dezitonne Getreide oder pro Kilogramm Milch, er bemisst sich auch in der Wertschätzung durch die Gesellschaft. Ohne Dank seiner Mitmenschen, das weiß jeder von uns, verliert man die Lust und die Leidenschaft an seinem Beruf. Jeder, der sich gegenüber den Landwirten dankbar zeigt, gibt ihnen ein Stück Zuversicht und Kraft.
An Erntedank möchte ich unserem Schöpfer dafür danken, dass er uns Bäuerinnen und Bauern mit der Kraft gesegnet hat, die notwendig ist, um auch in schwierigen Jahren eine auskömmliche Ernte vom Feld fahren zu kön-
nen.
Von der Politik schreibe ich jetzt an dieser Stelle nicht. Doch wie Sie selbst wissen, gibt es genügend Anknüpfungspunkte, die Bauern zu monieren haben, weil sie ihnen unnötige Einschränkungen und bürokratischen Aufwand verursachen.
Wir Bauern wissen um die Unwägbarkeiten, die uns übers Jahr unterkommen können. Über gute Ernten und Ergebnisse für unsere Betriebe freuen wir uns, weniger gute ertragen wir und denken dabei daran, dass wieder andere Zeiten kommen. Erntedank feiern wir immer.
Das Jahr war eine Herausforderung: aufgrund der widrigen Wetterverhältnisse – und damit der Sorge um die Ernte – aber auch aufgrund der teils schwierigen Marktsituation, wie zum Beipiel bei Milch. Die anhaltend niedrigen Erzeugerpreise bei fast allen landwirtschaftlichen Erzeugnissen haben uns veranlasst, bei unserer Verbandsversammlung im Sommer ein Positionspapier zu verabschieden: „Erhalt unserer bäuerlichen Landwirtschaft – jeder Betrieb zählt!”
Wir fordern darin Politik und Lebensmittelhandel auf, mehr Verantwortung für eine nachhaltige Landwirtschaft zu übernehmen, und ermuntern Verbraucher, Markenprodukte aus der Region zu kaufen. Wir heben hervor, wie viele Bäuerinnen erfolgreich Erwerbsstandbeine aufgebaut haben, die wir mit Schulungen wie „Mein Hofladen: einzigartig und erfolgreich” oder „Facebook für Selbständige und Unternehmerinnen” unterstützen.
Eine aktuelle Studie in Nordrhein-Westfalen hat ergeben, dass Frauen in der Landwirtschaft ein Drittel des Betriebseinkommens erwirtschaften. Das ist beachtlich. Dennoch ist in Zeiten schwieriger Märkte Diversifizierung kein Allheilmittel für alle Betriebe. Wir brauchen auch gut funktionierende Genossenschaften, die in zunehmend konzentrierten Nachfragemärkten Erzeugerinteressen bündeln.
Nach wie vor ist Boden die Basis für Landwirtschaft und Ernährungssicherung. Dennoch werden in Deutschland täglich 73 Hektar Flächen versiegelt. Nicht hinnehmbar ist, dass für den Naturschutzausgleich zusätzlich wertvollste Ackerflächen entzogen werden, da diese angeblich am minderwertigsten sind.
Berechtigte politische Interessen zu vertreten und in den gesellschaftlichen Dialog zu treten, ist eine wichtige Aufgabe und auch Thema bei unserem Delegiertentag im November. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ermunterte im Juli beim Deutschen Landfrauentag in Erfurt die 5000 anwesenden Landfrauen: „Formulieren Sie Ihre Forderungen scharf, sonst hört keiner hin.”
Erntedank bietet Gelegenheit, Bewusstsein zu schaffen für die Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern. Vielerorts sind es gerade Landfrauen, die sehr kreativ und mit viel Hingabe mit unzähligen Aktionen über Zusammenhänge von gesunder Ernährung, regionaler Landwirtschaft und Schönheit unserer Landschaft aufklären. Projekte wie Lernort Bauernhof, Frühstück regional oder gelungene Aktionstage, wie ich kürzlich im Bezirk Lörrach eindrucksvoll erleben durfte, sind hervorragende Beispiele dafür. Dafür sage ich herzlich Danke.
Ich wünsche uns allen ein gesegnetes Erntedankfest.
Wir kennen alle dieses Lebensgefühl, aber wir wissen alle auch, dass es uns nicht weiterhilft. Was tun? Ein Ratschlag der Organisationsberatung lautet: Wenn du es eilig hast, halte an. Wie jede Woche der Sonntag eine Unterbrechung des alltäglichen Hamsterrades bereitstellt, kennt das landwirtschaftliche Jahr den Erntedank als heilsame Rast. Das ist anhalten, unterbrechen und zurückschauen. Natürlich ist nicht alles gelungen oder gut gegangen; es gibt Rückschlag, vergebliche Pläne und echte Hindernisse. Trotzdem lohnt es sich, nach dem zu suchen, das den Dank wert ist. Diese Suche lässt zunächst in den Spiegel des eigenen Lebens und seiner Möglichkeiten blicken. Es ist unsere eigene Kraft, die uns arbeiten und wirken, sähen und ernten lässt. Und in dieser Kraft können wir auch immer wieder das Geschenk des eigenen Lebens und seiner Vielfalt entdecken, das wir nicht machen, wohl aber empfangen können. Was aber für unser eigenes Leben gilt, das gilt letztlich auch für die Gaben der Ernte aus Acker und Feld, Weinberg und Wald, Stall und Hof. Wer also auf das schaut, das den Dank wert ist, der entdeckt in sich und seinem Werk immer auch den, der den Dank wert ist. Die Erntegaben lassen uns letztlich immer den erahnen, der hinter allen Gaben sich als Liebhaber und Herr des Lebens erkennen lässt.
Erntedank weitet die Perspektive – Vielleicht ist das die tiefste und wichtigste Bedeutung des Erntedankfestes. In unserem Anhalten, das oft genug ein kurzfristiges Aussteigen aus dem Hamsterrad ist, weitet sich die Perspektive. Wir können dankbar das annehmen, das den Dank lohnt. Wir können aber auch Kraft schöpfen, um für das einzutreten, das unseren Einsatz und unsere Bitte lohnt. Zwischen Ernte und Ernte wohnt die Chance zu einer neuen Perspektive. Paulus fasst das mit einer schlichten Frage zusammen: „Und was hast du, das du nicht empfangen hättest?” (1 Kor 4,7). Man darf den Eindruck haben, als wolle er hier nicht vom Gott und Schöpfer reden, sondern seine Gemeinde warnen. Gerade im Erfolg – und eine Ernte ist doch immer auch ein Erfolg – laufen Menschen Gefahr, sich zu verlieren. Dafür gibt es Filme, Romane und die Tagesschau!
Wer im Anhalten die enge Perspektive seines Tagesgeschäftes verlässt, der schützt sich vor dieser Gefahr. Indem Menschen danken, dass sie tun konnten, was sie tun mussten, oder dass sie ernten konnten, was sie ernten durften, weiten sie ihren Blick über das unmittelbar vor den Augen Liegende hinaus. Sie entdecken die anderen, die mit ihnen unterwegs waren und deshalb ein Dankeschön wert sind. Und sie erahnen den schenkenden Gott, selbst wenn der in manchem Geschehen auch Zumutungen versteckt, die uns einerseits herausfordern, aber andererseits auch wachsen lassen.
Solange die Erde besteht ... Ein biblisches Bild für den Erntedank findet sich an überraschender Stelle. Nach der Sintflut strandet die Arche und Noah baut einen Altar. Unmittelbar nach der Katastrophe sagt Gott Noah und seiner großen Familie zu: „Solange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Tag und Nacht.” (Gen 8,22) Man könnte auf den ersten Blick vermuten, als sollte hier das am Anfang dieses Beitrags geschilderte Hamsterrad dargestellt werden. Aber dem ist nicht so. Gott will ein Zeichen seiner Treue zur Schöpfung und seiner Sorge für den Menschen setzen. In allem, was geschieht, will er gegenwärtig sein und sich dem Menschen schenkend zuwenden. Nicht umsonst schreibt der Text weiter: „Dann segnete Gott Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert die Erde!” (Gen 9,1) Der fortdauernde Wechsel der Jahreszeiten mit ihren verschiedenen Aufgaben ist getragen von der Treue Gottes zu den Menschen. Ob wir das sehen oder nicht, diese Treue gilt.
Im Fortgang der Noahgeschichte schildert der Text einen Regenbogen, der aus Sonne und Regen hervorgegangen Himmel und Erde verbindet. „Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde.” (Gen 9,12f.) Die wahre Kontinuität unseres Lebens ist nicht das Hamsterrad, sondern jene Lebendigkeit, die wir in uns spüren und die ein Geschenk des lebendigen Gottes ist. Erntedank ist jene Unterbrechung, die uns an diese Lebendigkeit erinnern will und kann.
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern der BBZ ein gesegnetes Erntedankfest.