Politik | 21. Juli 2016

Erneut 500-Millionen-Paket aus Brüssel

Von AgE
Das zweite Hilfspaket der Europäischen Union für die Landwirte steht. Mit 500 Millionen Euro hat es dieselbe Höhe wie das erste. Es enthält eine starke Komponente für freiwilligen Milch-Lieferverzicht. 58 Millionen Euro sollen auf Deutschland entfallen. Die Bundesregierung will noch etwas draufsatteln.
Im Gespräch ist ein Zuschuss von 14 Cent, der dem Milchbauern für jedes Kilogramm Milch gezahlt werden soll, das er im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahres weniger produziert.
Gemäß den Vorschlägen, die EU-Agrarkommissar Phil Hogan am Montag dieser Woche  in Brüssel den Ministern vorlegte, wird Brüssel insgesamt 500 Millionen Euro zur Entlastung der Milchbauern in der EU sowie zum Abbau des Überangebotes auf dem europäischen Milchmarkt bereitstellen. Davon sollen gemäß den Ankündigungen des Agrarkommissars 150 Millionen Euro für einen freiwilligen Verzicht auf Milchanlieferungen gewährt werden.
Damit solle ein Anstoß gegeben werden, die Milchproduktion bis Ende dieses Jahres „beträchtlich zu mindern”, sagte Hogan im Agrarrat. Das Programm soll auf europäischer Ebene vom Oktober bis Jahresende laufen und allen Milchbauern gleiche Zugangsbedingungen garantieren. Im Gespräch ist ein Zuschuss von 14 Cent, der dem Milchbauern für jedes Kilogramm Milch gezahlt werden soll, das er im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahres weniger produziert.
Prinzip: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst”
Das Drei-Monats-Programm werde nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst” laufen und solle von zwischengeschalteten Stellen in den Ländern, etwa den landwirtschaftlichen Organisationen, abgewickelt werden, erklärte Hogan im Anschluss an den Agrarrat gegenüber Journalisten. Das Hauptziel sei, die Einkommen der Landwirte durch höhere Preise zu verbessern. Dafür müssten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, einschließlich Anreizen zur freiwilligen Angebotsbeschränkung. Er hoffe, dass die dafür notwendige Gesetzgebung bis Mitte September in Kraft sei, so Hogan. Mit den weiteren insgesamt 350 Millionen Euro sollen die Länder größtmögliche Flexibilität erhalten, ihre Milchbauern sowie andere landwirtschaftliche Krisensektoren mit spezifischen Maßnahmen zu helfen.
Dazu zählt Hogan die Unterstützung von kleinen Betrieben, die Extensivierung von Produktionsmethoden, Maßnahmen zum Umweltschutz, Kooperationsvorhaben sowie Aus- und Fortbildungen im Umgang mit Finanzinstrumenten. Eine Verringerung oder ein Einfrieren der Produktion sei keine ausdrückliche Voraussetzung für diesen Teil des zweiten Hilfspakets, um in den Genuss der Gelder zu kommen. Aber selbstverständlich sollte damit auch keine Steigerung gefördert werden, stellte Hogan klar. Es sei den Ländern zudem freigestellt, die Mittel nicht nur für den Milchsektor, sondern bei Bedarf auch für andere Krisensektoren in der Landwirtschaft zu verwenden. Die betreffenden Maßnahmen müssten von den Mitgliedsländern in Brüssel angemeldet werden. In der EU-Kommission wird offensichtlich davon ausgegangen, dass die Krisen auf den europäischen Agrarmärkten in einigen Monaten überwunden sein werden und zumindest in der laufenden Finanzierungsperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bis zum Jahr 2020 keine weiteren Sonderprogramme für Europas Landwirte erforderlich werden. „Es gibt weder die Absicht noch verfügbare Haushaltsmittel, eine solche finanzielle Kraftanstrengung zu wiederholen”, betonte der Kommissar im Agrarrat.
Schmidt will Länder einbeziehen
Aus dem 350 Millionen Euro umfassenden Programmteil, der den EU-Ländern branchenspezifische Förderprogramme erlauben soll, sollen nach Deutschland knapp 58 Millionen Euro fließen. Die zweithöchste Summe erhält Frankreich mit 49,9 Millionen  Euro, gefolgt von Großbritannien mit 30,2  Millionen Euro. Unter Aussetzung des grundsätzlichen Beihilfenverbots stellt die Kommission es den Ländern frei, diese EU-Mittel um bis zu 100 Prozent mit nationalen Mitteln aufzustocken. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt kündigte am Montag an, er werde noch in dieser Woche mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über eine beträchtliche, im „zweistelligen Millionenbereich” liegende nationale Aufstockung der für Deutschland vorgesehenen Mittel beraten und diese dann zu einem Paket zusammenführen, an dem sich – so offenbar der Wunsch des Bundesministers – auch die deutschen Bundesländer mit geeigneten Maßnahmen beteiligen könnten. Hogans Hilfsangebot sieht außerdem die Ausweitung der Interventionsankäufe von Magermilchpulver über den 30. September hinaus vor. Diese Maßnahme soll bis Ende Februar 2017 weiterlaufen. Bis Ende Februar 2017 verlängert werden sollen auch die noch bis Ende September laufenden Standard- und erweiterten Programme zur privaten Lagerhaltung von Magermilchpulver.
Hogans Paket erlaubt den EU-Ländern auch, einen Großteil der Direktzahlungen sowie Mittel zur ländlichen Entwicklung vorzeitig und ohne den Abschluss der Vor-Ort-Kontrollen auszuzahlen. Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt erklärte gegenüber Journalisten in Brüssel allerdings bereits, dass Deutschland von dieser Möglichkeit auch in diesem Jahr keinen Gebrauch machen werde.
Keine Stützung mehr im Schweinebereich
Der EU-Agrarkommissar betonte außerdem, dass er auch die Sorgen der Obst- und Gemüsebauern weiter sehe, weshalb die bereits den Produzentenorganisationen gewährten Hilfen für die Marktentnahme durch rechtliche Anpassungen fortgesetzt würden.  Für den Schweinefleischmarkt erachtet die Brüsseler Behörde indes keine weiteren Hilfen mehr für erforderlich. Zuletzt haben sich die Schweinepreise in der EU zudem deutlich erholt.
Länderminister fahren ergebnislos aus Brüssel heim
Die Absicht der Agrarminister von Bund und Ländern, sich in Brüssel im Vorfeld zum Agrarrat mit einer gemeinsamen Position zur Milchkrise zu präsentieren, ist gescheitert. Bei der Sonder-Agrarministerkonferenz (AMK) am 15. Juli in der belgischen Hauptstadt konnten sich die Länderminister nicht auf eine einheitliche Linie bei der Bekämpfung der Krise im Milchsektor einigen. „Wir haben das Einstimmigkeitsprinzip, und der Beschluss ist am Veto des Landes Rheinland-Pfalz gescheitert, das im Falle von schweren Marktstörungen einer zeitlich befristeten und entschädigungslosen Mengenregelung nicht zustimmen wollte”, bedauerte der derzeitige AMK-Vorsitzende und Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus.
Alle anderen Länder hätten die Schaffung der rechtlichen Grundlagen dafür durch die EU-Kommission zumindest für angezeigt gehalten, berichtete Backhaus.
Der rheinland-pfälzische Landwirtschaftsminister  Volker Wissing verteidigte seine ablehnende Haltung. Der in dem Beschlussentwurf der Sonder-Agrarministerkonferenz vorgesehene Passus der „zeitlich befristeten entschädigungslosen obligatorischen Mengenbegrenzung” bedeute nichts Geringeres als die schleichende Rückkehr zur Milchquote. Das Modell biete keinerlei kurzfristige Hilfe und führe die Milchwirtschaft in noch tiefere Krisen, weil sie die Liquidität weiter schwäche, erklärte der FDP-Politiker.
Dennoch stehe die AMK nicht mit leeren Händen da, betonte deren Vorsitzender Backhaus. Man habe sich klar  für ein weiteres EU-Hilfspaket ausgesprochen, das deutlich über dem ersten liegen müsse. Frisches Geld – auch darüber habe Einigkeit geherrscht – sollten künftig aber nur diejenigen erhalten, die weniger Milch produzierten.
Mit Blick auf die langfristige Stabilisierung des Marktes bekräftigte die AMK gegenüber EU-Agrarkommissar Phil Hogan die Forderung nach „fairen” Lieferverträgen durch eine Änderung der Gemeinsamen Europäischen Marktordnung (GMO). Ziel müsse es sein, das „Monopol der Molkereien aufzubrechen” und die Verhandlungsposition der Landwirte EU-weit zu stärken, sagte Backhaus.
Die Milchkrise sei noch längst nicht überwunden. Bis Ende des Jahres würden die Verluste in der Landwirtschaft auf etwa fünf Milliarden Euro anwachsen. Es müsse gelingen, die Milchmenge zu reduzieren. Dafür seien verbindliche Regelungen in ganz Europa erforderlich.
EU-Agrarkommissar Phil Hogan  räumte auf der Sonder-Agrarministerkonferenz ein, dass Europa es mit einem schweren Marktungleichgewicht zu tun habe. Von ihrem alleinigen Initiativrecht für eine zeitlich befristete, obligatorische Mengenreduzierung werde die EU-Kommission aber derzeit keinen Gebrauch machen, stellte der Ire nach Angaben von Konferenzteilnehmern klar. Dafür seien in der EU keine Mehrheit und auch keine Rechtsgrundlage gegeben.
Die Länderagrarminister begrüßten Hogans Mitteilung, dass eine Prüfung zur Anpassung des Vertragsrechts, insbesondere von Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung, bereits laufe. „Bauern müssen wieder mehr Verhandlungsspielraum bekommen. In den Direktverträgen mit den Molkereien müssen Preise, Laufzeiten, Kündigungsfristen und Qualitätsparameter künftig klar geregelt werden. Sie geben den Bauern Planungssicherheit”, so Backhaus.
Streit um Hogans Greening-Pläne
Im Unterschied zum Hilfspaket wurden Hogans Vorschläge zur Vereinfachung der Greening-Maßnahmen sehr kritisch aufgenommen. Besonders zwei „Vereinfachungs”-Vorschläge wurden nicht nur von Bundesminister Schmidt, sondern auch von einer Reihe seiner Amtskollegen im Rat heftig kritisiert: die geplanten Verschärfungen bei den ökologischen Vorrangflächen sowie das Verbot des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln beim Anbau von Eiweißpflanzen auf diesen.
Die Kommission will, dass Brachflächen künftig im jeweiligen Kalenderjahr mindestens neun Monate stillgelegt werden. Damit wäre aber nach Aussagen von Branchenexperten zum Beispiel auch für das Folgejahr keine Bestellung mit Winterraps möglich.
Bezüglich des Planes, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf den Vorrangflächen zu verbieten, warnte Schmidt, dass dann der Leguminosenanbau im Greening komplett ausgebremst zu werden drohe. Der CSU-Politiker sprach von einer „teilweisen Verschlimmbesserung”. Die slowakische Agrarratspräsident Gabriela Matecná teilte  mit, dass die auf dem Ratstreffen artikulierten Kritikpunkte der Kommission noch vor der Sommerpause in einem Schreiben mitgeteilt würden.
DBV: „Schnell und effizient umsetzen”
„Es ist dringend notwendig, dass die EU-Kommission die aktiven europäischen Milchbauern angesichts der  Krise mit 500 Millionen Euro unterstützt. Jetzt kommt es darauf an, dass diese Maßnahmen schnell und effizient umgesetzt werden und bei den Milchbauern zeitnah ankommen”, erklärte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, zu den Beschlüssen des Agrarrates in Brüssel am 18. Juli.
Kritisch wertete der DBV-Präsident die Kopplung eines Teils der Mittel an eine geplante Mengenreduzierung. „Dies führt zu Mitnahmeeffekten und Marktverzerrungen sowie zu steigenden bürokratischen Kosten”, so der Bauernpräsident.
Nach Ansicht des DBV muss jetzt eine möglichst praktikable Umsetzung im Vordergrund stehen.  Wichtig sei, dass die Mittel national deutlich aufgestockt würden und dass der jeweilige Mitgliedstaat in eigener Verantwortung über die Verwendung der Mittel entscheiden könne.
 
Hauk: „Richtige Richtung”
„Das Hilfspaket der EU geht in die richtige Richtung”, sagte Landwirtschaftsminister Peter Hauk am Montag  in Stuttgart. Jetzt gelte es, die Details des Hilfspakets zügig auszuarbeiten, damit die angekündigten Programme sowohl auf EU- wie auf nationaler Ebene möglichst schnell umgesetzt werden könnten.
Hauk forderte den Bundesminister auf, jetzt schnellstmöglich alle erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten.  Über die Details will Hauk so schnell wie möglich mit dem Bund und den Ländern beraten, sobald die Rahmenbedingungen seitens der EU bekannt sind.
„Die Ankündigung eines von der EU direkt angebotenen Anreizsystems für freiwillige Maßnahmen zur Milchmengenreduzierung ist grundsätzlich positiv. Denn damit ist sichergestellt, dass alle Landwirte in der EU gleichermaßen Zugang zu dem Angebot haben”, betonte Hauk. Vor einer abschließenden Bewertung aus der Sicht Baden-Württembergs müssten allerdings erst die Einzelheiten bekannt sein.