Politik | 12. Mai 2022

Ernährungsunsicherheit schon vor dem Krieg auf Höchsstand

Von AgE
Die Zahl der Menschen, die von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind und dringend lebensrettende Nahrungsmittelhilfe und Unterstützung zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigen, steigt unvermindert an.
Trendwende noch nicht geschafft: Die Ernährungslage auf der Welt verschlechtert sich weiter.
Das geht aus dem Bericht des GNAFC hervor, den das Globale Netzwerk gegen Ernährungskrisen (GNAFC) am 4. Mai  für das Jahr 2021 veröffentlicht hat. Er beschreibt also die Lage vor dem Ukraine-Krieg.  Dem Bericht nach ist es „dringender denn je”, die Ursachen der Ernährungskrisen zu bekämpfen und nicht erst zu reagieren, wenn diese bereits eingetreten sind.
Beim GNAFC handelt es sich um ein Bündnis aus Organisationen der Vereinten Nationen (UN) – wie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sowie dem Welternährungsprogramm (WFP) –, der Europäischen Union sowie verschiedener Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, die gemeinsam an der Bekämpfung von Ernährungskrisen arbeiten.
Konflikte sind die Hauptursache
Laut dem aktuellen Bericht waren im Jahr 2021 rund 193Millionen Menschen in 53Regionen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Das entsprach einem Anstieg um fast 40 Millionen Menschen im Vergleich zu den bereits „rekordverdächtigen” Zahlen von 2020. Mehr als eine halbe Million der Betroffenen lebte in Äthiopien, dem Süden Madagaskars, dem Südsudan und dem Jemen. Dem GNAFC-Report zufolge werden in diesen Regionen dringende Maßnahmen gebraucht, um den weitgehenden Zusammenbruch der Lebensgrundlagen sowie Hunger und Tod zu verhindern. Betrachtet man die 39 Regionen, die in allen Ausgaben des Berichts seit 2016 aufgeführt worden sind, so hat sich laut GNAFC die Zahl der Menschen, die sich in einer Hungerkrise oder einer noch schlimmeren Situation befinden, fast verdoppelt. Dabei hält der Anstieg seit 2018 jedes Jahr unvermindert an. Laut dem Bericht sind Konflikte mit großem Abstand nach wie vor die Hauptursache für Ernährungsunsicherheit. Obwohl die Analyse vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine durchgeführt wurde, werden dem GNAFC zufolge bereits die Verflechtungen und die Fragilität der globalen Nahrungsmittelsysteme offengelegt. Die Folgen für die globale Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit seien „schwerwiegend”. Länder, die bereits mit einem hohen Maß an akutem Hunger zu kämpfen gehabt hätten, seien besonders anfällig für die Risiken, die der Krieg in Osteuropa mit sich bringe. Dies gelte insbesondere aufgrund einer hohen Abhängigkeit von Lebensmittel- und Agrarimporten und der Anfälligkeit für globale Lebensmittelpreisschocks.
Wetterextreme und wirtschaftliche Schocks
Politische Konflikte waren 2021 gemäß dem Bericht für die akute Ernährungsunsicherheit von insgesamt 139 Millionen Menschen in 24 Ländern beziehungsweise Gebieten unmittelbar verantwortlich; im Vorjahr waren es noch etwa 40 Millionen Menschen weniger. Auf Wetterextreme war die Ernährungsunsicherheit von mehr als 23 Millionen Personen aus acht Ländern oder Gebieten zurückzuführen; 2020 waren in dieser Kategorie 15,7Millionen Menschen registriert worden. Wirtschaftliche Schocks wie zuletzt die Corona-Krise waren 2021 laut GNAFC für die unzureichende Versorgung von mehr als 30 Millionen Menschen aus 21 Ländern oder Gebieten verantwortlich.
Bundesregierung sieht Versorgung gesichert
Die Versorgung mit Agrarprodukten in Deutschland ist trotz der Marktentwicklungen wegen des Ukraine-Krieges stabil und gesichert. Das hat die Bundesregierung am 29.April in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion bekräftigt. Zwar sei die Ukraine für eine Reihe von Agrarrohstoffen bisher eine wichtige Exportnation gewesen, heißt es darin. Gleichwohl seien Deutschlands Importmengen von Mais, Rapssaat und Pflanzenölen aus der Ukraine im Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2021 rückläufig gewesen.
Nach Angaben der Bundesregierung bezog Deutschland 2021 nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes  Agrarprodukte und Lebensmittel aus der Ukraine im Wert von insgesamt rund 793Millionen Euro. Die mengenmäßig wichtigsten Produkte waren gemäß der Antwort Rapssaat und -schrot mit insgesamt 702000t, gefolgt von Mais mit 190000t sowie Pflanzenölen mit 97000t, wovon 90000t auf Sonnenblumen-, Saflor- und Baumwollsaatöl entfielen. Die Importanteile von ukrainischer Ware beliefen sich im Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2021 bei Mais auf etwa 20 Prozent, bei Rapssaat und Schrot auf insgesamt 15 Prozent und bei Pflanzenölen auf vier Prozent. Sonnenblumen-, Saflor- und Baumwollsaatöl kamen auf insgesamt gut 22 Prozent.
Wie die Bundesregierung weiter ausführte, können für die ausfallenden Exporte aus der Ukraine Ersatzlieferungen aus anderen Ländern bezogen werden. Darüber hinaus gebe es viele Substitutionsmöglichkeiten.
Beispielsweise lasse sich Mais durch andere Futtergetreidearten ersetzen, während Raps durch andere Ölsaaten substituierbar sei. Ähnliches gelte für Sonnenblumenöl. Auch eine eingeschränkte Verwendung als Futtermittel oder Kraftstoff könne die Verfügbarkeit in anderen Verwendungsbereichen erhöhen. Von den stark gestiegenen Betriebsmittelausgaben erwartet die Bundesregierung keine gravierenden Auswirkungen auf die diesjährigen Erntemengen und die Versorgung mit Marktfrüchten. Hier dürfte die Witterung in den kommenden Monaten ausschlaggebender sein als die schwierige Situation auf den Vorleistungsmärkten.
Wie aus der Antwort weiter hervorgeht, haben sich die Risiken an den internationalen Agrarmärkten durch die Unterbrechungen der Nahrungsmittelexporte aus Russland und der Ukraine erhöht; das betreffe die Verknappung und Teuerung von Lebensmitteln. Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Ukraine eine Reihe von nationalen Maßnahmen für den Agrarsektor eingeleitet. Angaben aus Kiew zufolge liege der Fokus auf der Sicherstellung der Frühjahrsaussaat und der Wiederherstellung des Exports in größerem Umfang.