Pflanzenbau | 19. Mai 2022

Eine Kaskade von Preissteigerungen

Von Heinrich von Kobylinski
Wenige Tage bevor Außenministerin Annalena Baerbock vom „Getreidekrieg” sprach, verwies der deutsche Industrieverband Agrar (IVA) auf einen wachsenden Zielkonflikt zwischen Ökologie und konkreten Lebensmittelengpässen, die sich in immer mehr Ländern abzeichnen.
Die Welternährung ist auch von Mineraldünger abhängig.
Sollten die Getreidelieferungen aus Russland und der Ukraine noch für längere Zeit ausbleiben, könnte sich das auch auf die Farm-to-Fork-Ziele der EU-Agrarpolitik auswirken.    
Ökonomie und Ökologie
IVA-Präsident Michael Wagner forderte bei der digital übertragenen Jahrestagung am 10. Mai in Frankfurt einen grundlegenden Transformationsprozess für die Landwirtschaft. Er mahnte Verbesserungen in der Ökologie bei gleichzeitiger Steigerung der Produktivität bei der Nahrungsmittelerzeugung an. „Eine zentrale Bedeutung hat die Nährstoffversorgung der Böden”, so der Präsident. Laut IVA hängen 50 Prozent der Welternährung von der mineralischen Düngung ab. Er sprach auch die ökologischen Farm-to-Fork-Ziele der EU an und stellte fest: „Wenn die Nährstoffverluste bis 2030 um die Hälfte zurückgehen sollen und dabei die Bodenfruchtbarkeit erhalten bleiben soll, dann geht das nur über eine Erhöhung der Nährstoffeffizienz.”
Mit modernen Technologien und neuen Bewirtschaftungsmethoden ist das machbar, so der IVA. Die verschiedenen Arten von Mineraldüngern werden jedoch weiter ein elementarer Bestandteil eines leistungsfähigen Pflanzenbaus sein.
Laut IVA bewegt sich die EU-Agrarpolitik mit ihren Farm-to-Fork-Zielen dennoch auf einem schmalen Grat: Deutschland beispielsweise ist Nettoimporteur von Lebensmitteln. 2017 erforderte der Inlandsverbrauch eine Anbaufläche von 19 Millionen Hektar. Tatsächlich aber umfasst die gesamte Anbaufläche bei uns nur 16,7 Millionen Hektar.
Spätestens seit dem 24. Februar 2022 – dem Beginn des Ukraine-Krieges – sieht der IVA das Inland und die EU in der Pflicht, einen Beitrag zur globalen Versorgung zu leisten. Laut Marco Fleischmann, Vorsitzender des IVA-Fachbereichs Pflanzenernährung, sind die Effizienzsteigerungen bei der Düngung insbesondere durch neue Ausbringtechniken und mit der Präzisionslandwirtschaft möglich. Im Pflanzenschutz könnte durch Teilflächenapplikation und durch Bandspritzung ein Viertel der Behandlungsmenge eingespart werden. Damit es dazu kommt, müsse der Staat aber finanzielle Förderungen und Bildungsangebote bereitstellen. In der Praxis wirke der Bedarf an Kapital und Fachwissen bisher oft abschreckend. Dennoch sank schon innerhalb der Phase von 2014 bis 2020 die Aufwandmenge an Pflanzenschutzmitteln um 37 Prozent. 2021 stieg die Einsatzmenge mit den Niederschlägen wieder leicht an, das galt auch für Mineraldünger.
Kostenexplosion bei Mineraldüngern
Im globalen Handel stieg auch die Nachfrage nach Gas und Transportraum in Schiffen. Zusammengenommen resultierte daraus ein Preisanstieg bei den landwirtschaftlichen Betriebsmitteln. Seit dem 24. Februar 2022 kommt es hier zu einer weiteren Zuspitzung: Der Ammoniakpreis hat sich bis Ende März von 600 auf über 1000 Dollar je Tonne verteuert und der Harnstoff von 1150 auf rund 1600 Dollar. Der Ukraine-Krieg verschärft die Gaspreissituation und lässt die Düngerpreise rasant steigen, wie in der Grafik zu erkennen ist. Das betrifft alle Stickstoffformen.
2021 belief sich in Deutschland der Absatz von Stickstoffdüngern auf 1,285 Millionen Tonnen. Das waren 25 Prozent weniger als 2017.
Jedoch blieb von Juli 2021 bis März 2022 der Absatz vergleichsweise stabil – trotz der rasanten Preissteigerungen. Bei Harnstoff verringerte sich die Verkaufsmenge um ein Prozent. AHL ging um sechs Prozent zurück und Kalkammonsalpeter um 13 Prozent. Bei Mehrnähr- stoffdüngern hingegen war der Rückgang deutlicher: Bei NPK um 31 Prozent und bei NP-Düngern um fünfzig Prozent.
Biostimulanzien sind im Kommen
In Ergänzung zu den übrigen IVA-Fachbereichen stellte Dr. Thomas Räder von Syngenta den bisher wenig beachteten Fachbereich der Biostimulanzien vor, in den bisher 18 Mitgliedsunternehmen eingebunden sind. Präparate dieser Gruppierung stehen vor einer neuen Absatzphase. Rechtlich gesehen gehören sie weder zu den Dünge- noch zu den Pflanzenschutzmitteln. Sie sind ein Stimulans für natürlich ablaufende Pflanzenreaktionen und können die Effizienz der Nährstoffverwertung in der Rhizosphäre und/ oder im Boden erhöhen. Sie können aus Mikroorganismen ebenso bestehen wie aus Humin- und Flavosäuren oder aus Aminosäuren und Algenpräparaten. Biostimulanzien wirken stressmindernd, zum Beispiel bei Hitze, oder verbessern Qualitätsmerkmale. Trotzdem sind sie nicht nach einer Dosis-Wirkungs-Beziehung definiert und liefern keine Nährstoffe. In der EU wurde dennoch für diese Warengruppe eine eigene Kategorie geschaffen: Sie wird als „Pflanzen-Biostimulans” in die Produktfunktionskategorie (PFC) 6 eingruppiert werden und künftig mit einem CE-Kennzeichen versehen sein, wie auch die EU-Düngeprodukte. Mit CE wird die Konformität mit den Vorgaben der Düngeprodukte-Verordnung (EU) 2019/ 1009 signalisiert. Biostimulanzien werden für ihre künftige CE-Kennzeichnung eine Konformitätsbewertung durchlaufen, bestehend aus Prüfung, Zertifizierung und Inspektion.
Laut IVA wird damit auf der Nachfrageseite weiteres Vertrauen geschaffen, sowohl bezüglich Qualität als auch hinsichtlich der Wirksamkeit der Erzeugnisse. Jetzt, vor dem Inkrafttreten der Verordnung am 16. Juli 2022, gibt es aber erst in Polen, den Niederlanden und in Ungarn je eine Bewertungsstelle für die Konformität. Der IVA forderte die unverzügliche Installierung weiterer entsprechender Einrichtungen – besonders auch für Deutschland. Thomas Räder kritisierte, dass „ein großer Zeitverzug die Markteinführung neuer und innovativer Produkte unnötig verzögert hat.”
Der Markt für Biostimulanzien werde wahrscheinlich weiter wachsen. Nach Schätzungen der IVA-Mitgliedsfirmen werde das Volumen im kommenden Jahr bei 25 Millionen Euro liegen. 2018 waren es erst fünf, 2021 bereits 12 Millionen Euro.