Land und Leute | 17. Mai 2018

Ein Stall, der in die Landschaft passt

Von Michael Götz
Der Schweizer Kanton Appenzell-Innerrhoden legt bei landwirtschaftlichen Gebäuden Wert darauf, dass sie zur traditionellen Baukultur passen. An einem konkreten Beispiel sieht man, was das in der Praxis bedeutet.
 „Wir wollten keinen Stall, der auf vier Seiten geschlossen ist”, erzählen Emil und Luzia Inauen-Dörig aus  Appenzell. Sie wollten für ihre 35 Braunvieh-Kühe nicht nur einen  mit Melkroboter, sondern auch einen Offenstall mit viel Licht und Luft bauen. Das Bau- und Umweltdepartement des Kantons Appenzell-Innerrhoden beurteilte den Bau aus Sicht des Landschaftsschutzes jedoch „eher als kritisch”.
 Die Behörden hatten zwar Verständnis dafür, dass der Stall viel Fläche beansprucht. Auch bei der Wahl des Standortes konnte sich die Familie mit den Behörden schnell einigen. Der vorgesehene Standort liegt zwar erhöht mit einem weiten Blick über das Dorf Appenzell, aber ist nicht exponiert. „Wichtig war uns, dass der Stall unser schönes altes Bauernhaus nicht verdeckt”, sagt Luzia Inauen.
Schwieriger war es  bei der Außengestaltung.   „Wir haben lange über die Fassaden diskutiert. Da brauchte es Kompromisse”, blickt der Bauherr zurück. Gemäß dem Handbuch „Appenzeller Modellvorhaben” (siehe Kasten) sollten die Fassaden wie bei den Stallbauten in traditionellem Stil aus Holz bestehen und sie sollten möglichst quadratische Fenster haben.
Für den Offenstall waren jedoch die zwei Längsseiten als große, offene Flächen vorgesehen. Um diesen das Aussehen von „schwarzen Löchern” zu nehmen, mussten sie strukturiert werden. Dies gelang einerseits durch waagrechte Balken mit Schlitzen,  andererseits durch ein Vordach.  Diese Strukturen lassen die große, offene Wandfläche kleiner erscheinen und behindern weder das Sonnenlicht noch die frische Zuluft. Um Durchzug zu vermeiden, einigten sich Planer und Behörde auf Curtains an der Nordseite. Sie fallen dort nicht auf, da diese Fassade durch andere Ökonomiegebäude verdeckt ist. Das Dach selbst durfte als Blechdach aus braunen Sandwichplatten ausgeführt werden.
Breite Schlitze
Die beiden Firstseiten bestehen ganz oder zum Teil aus Schlitzwänden, allerdings nicht wie das übliche Spaceboard mit schmalen Schlitzen, um den Wind zu brechen, sondern mit sieben Zentimeter breiten Schlitzen, die mehr Licht in den Stall hineinlassen. Um den durch die breiten Schlitze ziehenden Wind abzuhalten, sind hinter den Latten robuste PET-Folien befestigt. Während die Wand auf der Giebelseite in Richtung Dorf aus Holz besteht, sind auf der gegenüberliegenden Seite im unteren Bereich drei Rolltore angebracht.   „Das ist ein Kompromiss”, sagt Emil Inauen. Die praktischen, aber nicht stilgerechten Tore sind talwärts nicht einsehbar und stören das Landschaftsbild nicht.
 Da  das Futter im alten Heustock gelagert wird, benötigten sie im neuen Stall kein Futterlager und hätten ihn lieber nicht so hoch gebaut. Dann wären allerdings die Dächer flacher geworden und der Stall hätte gegenüber den traditionellen Ställen plump gewirkt.   Das wollten die Vertreter des Landschaftsschutzes vermeiden.
  Vor allem das Vordach führte zu Mehrkosten, die aber  im Rahmen lagen.  Spaziergänger bezeichneten den neuen Stall als „filigranes” Gebäude, erzählt die Bäuerin nicht ohne Stolz. 
Kanton mit Gestaltungshandbuch
Damit Neu- und Umbauten zum Landschaftsbild passen, hat der Kanton  2012 das Handbuch „Einpassung und Gestaltung landwirtschaftlicher Ökonomiebauten” herausgegeben. Man spricht auch  vom „Appenzeller Modellstall”. Dieser übernimmt Elemente der traditionellen Bauweise wie  das Satteldach, den hölzernen Leisten- oder Bretterschirm der Fassaden oder den Verzicht auf Dachvorsprünge. Die Gebäude sollen kompakt und klar geschnitten sein. Hochsilos müssen im Stall selbst untergebracht werden.
Zeitgemäße Ställe haben größere Dimensionen als früher,  aber sie sollen  laut Handbuch   die „Typologie des Vertrauten” übernehmen. „Bei der Abrechnung des Prototyps des Appenzeller Modellstalles wurden keine Mehrkosten zu  konventionellen Ställen festgestellt”, sagt Albert Elmiger vom Meliorationsamt des Kantons. „Bauernhäuser und Ställe bilden das Etikett der Landwirtschaft”, sagt Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz.  Häufig werde heute zu sehr von innen her geplant und zu wenig auf die Einpassung  in die Landschaft hin.  Die Bewilligungsverfahren seien  oft kompliziert, aber die Geduld und die Zusammenarbeit mit den Behörden lohnten sich in der Regel. Nicht immer sei die Einpassung in die Landschaft mit Mehrkosten verbunden, so Rodewald.