Nach Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestehen aus wissenschaftlicher Sicht keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine erneute Zulassung des Herbizidwirkstoffs Glyphosat.
Die Diskussion um Glyphosat flammt nach der Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit wieder auf.
Bei der Risikobewertung der Auswirkungen von Glyphosat „auf die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf die Umwelt wurden keine kritischen Problembereiche festgestellt”, konstatiert die Behörde in ihrem Bericht zu dem politisch strittigen Pflanzenschutzmittel, den sie am 6. Juli vorgestellt hat. Ein Problem wird der EFSA zufolge als kritisch definiert, wenn es allen vorgeschlagenen Einsatzmöglichkeiten und somit einer Genehmigung oder deren Erneuerung entgegensteht.
Im Klartext bedeutet die Bewertung durch die Behörde in Parma, die hier federführend ist, dass bei fachgerechter Anwendung nichts gegen Glyphosat spricht. In das Ergebnis ist auch die Bewertung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) aus dem Vorjahr eingeflossen. Die EU-Agentur in Helsinki hatte festgestellt, dass die Kriterien für eine Einstufung als karzinogener, mutagener oder reproduktionstoxischer Stoff nicht erfüllt sind.
Die EFSA weist allerdings auf Datenlücken hin. Die Fachleute in Parma räumen ein, dass nicht alle Fragen abschließend hätten geklärt werden können. Hierzu gehörten Aspekte des ernährungsbedingten Risikos für die Verbraucher sowie die Bewertung der Risiken für Wasserpflanzen.
Fehlende Informationen zu Cocktail-Effekten
Zudem gesteht die EFSA ein,
dass Informationen über die Toxizität von „Cocktail-Effekten” – also
dem Zusammenspiel von Glyphosat und anderen Bestandteilen bei der
Mittelformulierung – fehlten. Bislang hätten jedoch keine Hinweise auf
eine akute Toxizität oder Genotoxizität vorgelegen, so die
Wissenschaftler.
In Bezug auf die Biodiversität stellten die Sachverständigen in Parma
fest, dass die Risiken im Zusammenhang mit den repräsentativen
Verwendungszwecken von Glyphosat komplex und von mehreren Faktoren
abhängig seien. Hierzu fehlten harmonisierte Methoden und spezifische
Schutzvorgaben. Die Behörde kommt zu dem Fazit, dass die verfügbaren
Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen über die
Risikobewertung die Biodiversität betreffend zulassen.
Kommission jetzt am Zug
Die EU-Kommission wird nun einen Vorschlag
erarbeiten, ob und wenn ja, über welchen Zeitraum die Zulassung für den
Pflanzenschutzmittelwirkstoff verlängert werden soll. Dann sind wieder
die Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere,
Lebensmittel und Futtermittel gefragt. Für eine Entscheidung für oder
gegen Glyphosat ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Sollte
diese in zwei Abstimmungen nicht zustande kommen, entscheidet die
Kommission über ihren eigenen Vorschlag. Zuletzt war der
Herbizidwirkstoff noch auf der Basis der Risikobewertung von 2017 um ein
weiteres Jahr bis zum 15. Dezember 2023 zugelassen worden.
Bundesministerium ablehnend
Wie zu erwarten, wird die von der EFSA zu Glyphosat vorgelegte
Risikobewertung von Teilen der Bundesregierung mehr als skeptisch
beurteilt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium sieht eine „Verlängerung
oder Erneuerung der Genehmigung auf EU-Ebene kritisch und als nicht
gerechtfertigt an, da die Auswirkungen auf die Artenvielfalt nicht
berücksichtigt werden”, erklärte eine Sprecherin des Hauses. Schließlich
sei die Artenvielfalt ein wichtiger Bestandteil von krisenfesten und
nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystemen.
Laut der Ministeriumssprecherin schädigt das „mit Abstand am meisten
eingesetzte Totalherbizid” unzweifelhaft die Biodiversität als Teil der
natürlichen Ressourcen. Diese seien allerdings wesentliche Grundlage
einer nachhaltigen und krisenfesten Landwirtschaft.
Deutschland bald ohne Glyphosat
Bekanntlich hat sich die Ampelkoalition darauf
verständigt, die Anwendung von Glyphosat in Deutschland zu beenden. Der
Ausstiegstermin ist laut dem Koalitionsvertrag der Ampel auf den 1.
Januar 2024 datiert. Dieser war bereits unter
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in der deutschen
Pflanzenschutzanwendungsverordnung verankert worden.
Indes sieht sich die Bayer AG durch die positive Stellungnahme der
EU-Agentur bestätigt. Deren wissenschaftliche Schlussfolgerung, dass
Glyphosat weder die Gesundheit von Mensch und Tier beeinträchtige noch
die Umwelt, lege den Grundstein für eine erfolgreiche Wiederzulassung des Wirkstoffs in der EU, erklärte ein Konzernsprecher in Monheim. Er
wies darauf hin, dass diese Schlussfolgerung im Einklang mit den
Bewertungen führender Gesundheitsbehörden aus der ganzen Welt seit fast
50 Jahren stehe. Es liege nun an der EU-Kommission und den
Mitgliedstaaten, unter gebührender Berücksichtigung der Bewertung der
EFSA, eine endgültige Entscheidung über die Wiederzulassung von
Glyphosat zu treffen und sicherzustellen, „dass Glyphosat den
europäischen Landwirten über das Jahr 2023 hinaus zur Verfügung steht”,
so der Sprecher.
Hocker für Wiederzulassung
Mit dieser Forderung rennt die Bayer AG zumindest bei den
Liberalen trotz des Koalitionsvertrages offene Türen ein. Für den
landwirtschaftspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero
Hocker, hat die EFSA mit ihrer Bewertung die letzten Steine für die
Wiederzulassung des Wirkstoffs aus dem Weg geräumt. Glyphosat sei eines
der am besten erforschten Pflanzenschutzmittel. Für die Landwirtschaft
habe es bei der konservierenden umweltschonenden Bodenbewirtschaftung
eine große Bedeutung, hob der Liberale hervor.
Sein Unverständnis über die Verlautbarung der Behörde in Parma äußerte
hingegen der Agrarsprecher der Grünen/EFA im Europaparlament, Martin
Häusling. Er warf der EFSA vor, bei ihrer Bewertung die Gesundheit der
Anwender und Konsumenten nicht ernst genug zu nehmen. Zudem wirke sie
fahrlässig in Bezug auf die Biodiversitätsstrategie.
Wenig überraschend teilt der Generalsekretär des Deutschen
Bauernverbandes (DBV), Bernhard Krüsken, diese Sicht auf Glyphosat
nicht. „Die Einschätzung der EFSA sollte der Anlass sein, in der
Diskussion um Pflanzenschutz und um die Bewertung von Wirkstoffen wieder
zu wissenschaftlichen Grundlagen zurückzukehren”, mahnte Krüsken.