Land und Leute | 24. Oktober 2019

Es gibt viele Arten, mit dem Tod umzugehen

Von Sylvia Pabst
Ein plätschernder Bergbach, eine blühende Bergwiese oder eisige Gletscher: Was für manche nach Urlaub klingt, ist für andere die letzte Ruhestätte – zumindest in der Schweiz. Dort gibt es Beisetzungsformen, die in Deutschland tabu sind. Und der Blick in weitere Länder zeigt, wie unterschiedlich weltweit der Umgang mit dem Tod ist.
Der klassischen Erdbestattung hat in Deutschland die Feuerbestattung den Rang abgelaufen – in beiden Fällen ist in Baden-Württemberg der Friedhof der Ort der Beisetzung, abgesehen von Ausnahmen wie Fried- oder Ruhewäldern, wo die Asche am Fuß eines Baums in die Erde eingebracht wird. Auch Seebeisetzungen im Meer sind in einer wasserlöslichen Urne möglich. In der Schweiz gibt es weitere Formen von Naturbeisetzungen. So kann die Asche etwa in einen Bergbach oder in den Wind gestreut oder auf einer Bergwiese, an Felsen oder Gletschern vergraben werden.
Glaube an Auferstehung
Aus christlicher Sicht war das Verbrennen Verstorbener lange tabu, widersprach es doch dem Glauben an die leibliche Auferstehung. Karl der Große verbot 785 Feuerbestattungen, er sah darin einen heidnischen Brauch. Die evangelische Kirche toleriert die Feuerbestattung
seit Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Erst seit den 1960er-Jahren ist auch seitens der katholischen Kirche in Deutschland eine Kremierung erlaubt.
Für andere Kulturen oder Religionen ist die Feuerbestattung zwingend: Nach buddhistischer Lehre, die vor allem in Asien verbreitet ist, löst sich der Geist durch das Verbrennen vom Leib und kann nach neuem Leben in neuer Gestalt suchen. Dies ist ein ewiger Kreislauf, bis die Seele durch vollkommenes ethisches Verhalten eines Tages hoffentlich erleuchtet und in völligem Gleichgewicht ist. Dieser Zustand wird Nirwana genannt. Dies berichtet Ulrike Neurath, Volkskundlerin im vermutlich weltweit einzigartigen Museum für Sepulkralkultur in Kassel.
Stirbt ein Mensch buddhistischen Glaubens, darf er in der ersten halben Stunde nach Eintritt des Todes nicht berührt werden. Denn in dieser Zeit, so die Vorstellung, verlässt der Geist Schritt für Schritt den Körper und darf dabei nicht gestört werden. Manche Menschen buddhistischen Glaubens streuen die Asche in einen Fluss, andere vergraben sie, zum Teil werden auch nicht verbrannte Knochen in Pagoden gelagert.
Asche wird Fluss übergeben
Im Hinduismus, der vorwiegend in Indien und Nepal verbreitet ist und viele unterschiedliche Strömungen hat, gehen die meisten Gläubigen ebenfalls von einer Reinkarnation aus. Sterbende Menschen werden mit dem Kopf in Richtung Süden gelegt, denn dort wird der Totengott Yama vermutet. Nach dem Tod wird durch die Feuerbestattung auch hier die körperliche Hülle vernichtet, um die Seele für das nächste Leben zu befreien. Doch Friedhöfe sind unbekannt, stattdessen wird die Asche in Flüssen versenkt. Entsprechend gibt es an vielen großen Gewässern Verbrennungsstätten. Auch Hospize, die Schwerkranke vor ihrem Tod zu erreichen hoffen, finden sich direkt an den Ufern.
Auf jüdischen Friedhöfen, wie hier in Freiburg, gilt ewiges Ruherecht für die Verstorbenen. Die Gräber auf dem Foto sind von 1884.
Im Islam  ist für strenggläubige Menschen ein Verbrennen der Toten undenkbar, eine Auferstehung nach dem Tod wäre so nicht möglich. Aus jüdischer Sicht spricht zudem die alttesttamentliche Vorstellung „Du sollst zu Erde werden” dagegen. Verstorbene werden in beiden Religionen nach der Totenwaschung in der Erde bestattet, Muslime auf der rechten Seite liegend in Leintüchern mit Blick in Richtung Mekka, wo der Prophet Mohammed geboren ist. Zudem lehnen Strenggläubige beider Religionen  Grabschmuck und Grabpflege ab, denn die Ruhe der Toten darf keinesfalls gestört werden, sie haben ewiges Ruherecht.
Ulrike Neurath berichtet von der sogenannten jüdischen Kiste. Dies ist ein schlichter Sarg, denn es soll deutlich gemacht werden, dass alle Menschen gleich sind und niemand hervorgehoben wird. Metall darf sich nach der reinen Lehre an solch einem Sarg nicht befinden, da dies ein Stoff der Waffenherstellung ist, ein Symbol für Krieg und Gewalt. 
Steine als Grußgeste
Häufig findet man auf jüdischen Gräbern kleinere Steine liegen, sie sind als Grußgeste zu verstehen. Für diesen Brauch gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Wie Ulrike Neurath erklärt, war es für ein Wüstenvolk wie Israel wohl naheliegend, ein Grab durch daraufgelegte Steine zu kennzeichnen. Im Internet finden sich noch weitere Erklärungen für diesen Brauch, der wohl nicht in den jüdischen Schriften zu finden ist. So heißt es unter anderem, dass einst bei der Flucht aus Ägypten durch die Wüste Angehörige auf dem Grab Steine aufschichteten. Damit sollte der Leichnam vor wilden Tieren geschützt werden. Für ein Begraben tief in der Erde dürfte der Boden zu hart gewesen sein.
 
Das Leben feiern
Ghana: Beerdigung eines Busfahrers im passend gestalteten Sarg.
Alles andere als schlicht sind Beerdigungen in Ghana. Sie ziehen sich über mehrere Tage. Neben Weinen und Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen wird das Leben des oder der Verstorbenen ausgiebig gefeiert: laute Musik, Tanzen, Singen und Lachen stehen dabei hoch im Kurs. Das Ende eines Lebens wird hier zum Fest. Zwar sind die meisten Menschen in dem afrikanischen Staat christlichen Glaubens, dennoch gibt es eine Vermischung mit Naturreligionen. Demnach stellen die Ahnen die Verbindung zwischen den Menschen und Gott dar und garantieren so ein gutes Leben und eine gelingende Gemeinschaft auf Erden.  Wird ein Mensch gebührend und mit viel Pomp beerdigt, hat er oder sie beste Chancen, den Anschluss an die Ahnen zu erreichen. Je höher das Ansehen der Person war, desto mehr kann er oder sie vermittelnd zwischen Menschen und Gott wirken. War der verstorbene Mensch gesellschaftlich angesehen und hatte viele Kinder, trägt auch dies zum Ansehen als verehrter Ahne bei.
Figürliche Särge
Weltweit eine Besonderheit dürfte die Sarggestaltung in Ghana sein. Ursprung sollen figürliche Sänften sein in Form eines Totems, also eines Stammeszeichens, wie etwa eines Löwen. In solchen Sänften ließen sich die Oberhäupter der Volksgruppe der Ga bei öffentlichen Prozessionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts tragen, wie es bei Wikipedia heißt. Später wurden die Särge quasi als Kopien der Sänften gebaut.
Erst in den 1960er-Jahren kam das Verwenden von figürlichen Särgen auch bei den christlichen Ga in Mode. Nun war aber nicht mehr das Totem für die Gestaltung ausschlaggebend, sondern seither sind es der Beruf, die „Leistung”  oder Vorlieben zu Lebzeiten des oder der Verstorbenen. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Eine kunstvoll gestaltete Languste wird so zur letzten Ruhestätte eines Fischers, eine Glucke steht für eine treusorgende Mutter mit vielen Kindern, eine Chilischote für einen Bauern, der diese kultivierte, oder ein Taxifahrer wird in einem als Auto gestalteten Sarg beerdigt. Einige dieser aus Holz gefertigten und bunt lackierten Kunstwerke waren zuletzt in einer Sonderausstellung im bereits erwähnten Kassler Museum zu bewundern. Darunter auch ein Flugzeug, gedacht für eine ältere Dame, die Zeit ihres Lebens so gerne einmal geflogen wäre. Übrigens: Da die Herstellung eines solchen Sargs individuell erfolgt und wie die Vorbereitung des großen Fests einiges an Zeit in Anspruch nimmt, kommt es durchaus vor, dass Verstorbene wochenlang in Kältekammern aufbewahrt werden, um die Zeit bis zur Beerdigung zu überbrücken.
 
Cola oder Chilischoten
In Mexiko wird alljährlich ein großes Familienfest zu Ehren der Verstorbenen gefeiert. Viele bleiben dafür die Nacht auf dem Friedhof, um die Seelen der Toten zu empfangen.
Einen besonderen Bezug zum Tod und zu Verstorbenen pflegen die Menschen in Mexiko. Sie waschen ihre Toten, kleiden sie ein und legen sie in den Sarg. Dessen Deckel ist zweigeteilt. So kann der Kopfteil extra geöffnet werden und damit ist der Oberkörper des verstorbenen Menschen  durch eine Glasplatte zu sehen. Der halbgeöffnete Sarg wird daheim in einem mit Blumen und Kerzen geschmückten Raum aufgebahrt. Wenn sich abends Angehörige und Bekannte verabschieden wollen, wird für diese Zeit nach Möglichkeit die Straße gesperrt, damit kein Autolärm stört.
Auf dem Friedhof ist es nach der Beerdigung üblich, dass Angehörige Dinge auf die Begräbnisstätte stellen, die der  verstorbene Mensch besonders gern gemocht hat. „Deswegen ist es nichts Besonderes, wenn auf einem mexikanischen Grab zum Beispiel zwei Flaschen Cola oder eine Dose Chilischoten stehen”, berichtet Simon Balzert in einem Internetblog.
Freudenfest
 Mit Blumenteppichen auf dem Friedhof und Kerzen auf den Gräbern wird ihnen ein feierlicher Empfang bereitet. Es gibt Picknicks an den Gräbern, es wird gegessen, erzählt, gelacht und getanzt. In den Straßen finden Umzüge statt, Bands spielen traditionelle Mariachi-Musik.  Die Feiernden verkleiden sich  als Skelett und bemalen ihre Gesichter, damit sie Schädeln ähneln. 
Süße Totenköpfe zeigen Zuneigung
Zuhause werden „ofrendas” hergerichtet, also Gabentische für die Verstorbenen, auf denen leckeres Essen zur Stärkung, aber auch vieles, was sie vermissen könnten, zu finden ist, wie Ulrike Neurath berichtet. Außerdem werden auf solch einem Altar die vier Elemente symbolisiert: Zum einen stehen dort Wasser und brennende Kerzen (Feuer), die Erde wird durch Früchte,  der Wind durch Scherenschnittbilder dargestellt.
Der Weg nach Hause wird mit gelben und orangefarbenen Blumen gewiesen, die die Seelen angeblich besonders gut erkennen können.
Auch jede Menge Süßes, wie beispielsweise kleine Totenköpfe aus Marzipan oder Zuckermasse, gehören zu dem Fest. Wer sie einem lieben Menschen schenkt, zeigt damit, dass die Zuneigung auch über den Tod hinaus halten wird. Darüber hinaus wird das „pan de muerto”, ein süßes Hefebrot, meist mit Anis, an diesem Fest des Lebens und der Auferstehung gereicht.
Der „día de los muertos”wurde 2008 von der UNESCO in die Liste der Meisterwerke des immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen. Er ist ein Mix aus Einflüssen von Azteken und Christen. Die katholische Kirche in Mexiko stemmt sich offenbar nicht gegen die Feiern und versteht sie als zu respektierende mexikanische Tradition, die aus Kirchensicht in erster Linie kulturell bedingt ist.
Skurriles
Äußerst skurril mutet aus europäischer Sicht ein Brauch in Taiwan an. Dort sollen seit den 80er-Jahren auf dem Land elektrische Blumenwagen bei Bestattungen vorfahren. Auf diesen Lastwagen bieten Tänzerinnen Stripteasevorführungen. Auch wenn dieser Brauch umstritten ist, zieht er wohl zahlreiche „Trauergäste” an – je größer ihre Zahl ist, desto mehr Glück bedeutet dies für ein Leben nach dem Tod.
Wer unbedingt hoch hinaus will, hat dafür auch nach seinem Tod eine  Chance: Denn seit 1997 wird auch in Deutschland die Weltraumbestattung angeboten. Dabei wird ein Teil der Kremationsasche in einer lippenstiftgroßen Kapsel in den Orbit befördert.
Im Jahr 2008 hat der Hamburger Sportverein (HSV) als erster Fußballclub Deutschlands einen Fanfriedhof eingeweiht. Er ist Teil des kommunalen Friedhofs Altona, in unmittelbarer Nähe zur Westtribüne der Arena am Volkspark. Ein entsprechender Sarg oder eine Urne (Bild) in den Vereinsfarben gehören auch dazu.