Tierhaltung | 07. Oktober 2020

„Drusefreiheit ist ein lohnendes Ziel”

Von Ulrike Amler
Die Journalistin Ulrike Amler hat mit dem Leiter der Pferdeklinik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Prof. Lutz S. Göhring, über die jüngste Drusewelle und die veterinärmedizinischen Möglichkeiten zur Eindämmung der Seuche gesprochen.
Massiver Druseabszess
BBZ: Es scheint, als würden die Infektionsfälle von Druse zuletzt zunehmen. Ist das ein subjektiver Eindruck, weil auch die Pferdewelt durch Social Media stärker vernetzt ist?

Göhring: Seit 2015 beobachten wir eine deutliche Zunahme der Drusefälle in Europa. Das kam wie eine große Welle. Wir nehmen an, dass die Populationsimmunität der Pferde gegen den Erreger  abgenommen hat. Vermutlich konnte die Erkrankung in der Vergangenheit durch antibiotische Behandlungen von Jungpferden mit Fieber und Nasenausfluss eingeschränkt werden. Die betroffenen Tiere konnten dadurch allerdings nur eine geringe Immunität aufbauen. Hotspots der Erkrankung gab es allerdings schon vor 2015. Wahrscheinlich wurden fiebrige Erkrankungen mit Nasenausfluss bei mehreren Pferden im selben Zeitraum nicht immer als Druse erkannt.
 
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Werden Infektionen mit Streptococcus equi spp. equi heute leichter identifiziert?

Wir haben mittlerweile eine wesentlich verbesserte Diagnostik und können durch die Polymerase-Kettenreaktion (PCR-Diagnostik) auch geringe Mengen des Erregers nachweisen. Das war früher mit der Anzüchtung aus eitrigem Nasenausfluss auf Nährmedien deutlich schwieriger. Meist überwucherte der kleine Bruder des Druse-Erregers, Streptococcus equi spp. zooepidemicus, und Strep. equi spp equi wurde nicht gesehen. Inzwischen haben wir auch einen Test auf Antikörper, der relativ sicher sagen kann, ob eine Infektion mit Strep. equi spp. equi in den letzten Wochen bis Monaten stattgefunden hat.

Wie kann sich die Druse trotz der guten Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten in der Pferdepopulation so hartnäckig halten?

Die Strategie des Erregers besteht im Rückzug innerhalb einzelner Pferde. Diese werden zu sogenannten Langzeitausscheidern, die auch nach Abklingen der Infektion unerkannt monate- oder seltener jahrelang den Druse-Erreger ausscheiden. In diesen Fällen sind die Luftsäcke, die in Verbindung mit dem Rachenraum des Pferdes stehen, diese Rückzugsgebiete. In diese Kategorie fallen aber nur sehr wenige Pferde. Früher haben wir immer gedacht, der Erreger hält sich irgendwo in der Umgebung in Tränkebecken, im Boden oder in Nischen und überdauert dort, bis die nächste Generation Pferde kommt, um dann aufzuleben. Seit etwa der Jahrhundertwende wissen wir, dass der Hauptübertragungsweg des Erregers in einem Pferdestall über diese Langzeitausscheider läuft. Deswegen ist es so wichtig, die Langzeitausscheider zu finden und gezielt zu behandeln, damit die Infektionsketten unterbrochen werden können.
 

Sind bestimmte Betriebe, beispielsweise Ausbildungsställe mit einer hohen Fluktuation, besonders betroffen?

Es trifft nicht nur Ausbildungsställe, sondern auch Ställe, in denen Pferde aus verschiedenen Beständen zusammengeführt werden. Der Pferdehandel zum Beispiel ist eine Risikokategorie. Pensionsställe mit hohem Durchfluss, wo Pferde aus verschiedenen Gründen von einem Stall zum nächsten ziehen, sind häufiger von ansteckenden Atemwegserkrankungen betroffen als Ställe mit einer soliden Dauerbesetzung. Wenn im neuen Stall ein Langzeitausscheider steht und das eigene Pferd hat noch keine Druse gehabt, dann kann es zu einer Ansteckung kommen.

Ist es schwierig, die Langzeitausscheider zu identifizieren?

Innerhalb eines akuten Druse-Ausbruchs kann man nicht sagen, ob dieses oder jenes Pferd ein Langzeitausscheider werden wird. Nach Abklingen der Infektionswelle im Betrieb gilt es, diese Tiere zu identifizieren.

Haben diese Langzeitausscheider gemeinsame Merkmale?

Luftsackstein, auch Chondroid genannt
Im Luftsack kann sich eitriges Material verfestigen und sogenannte Luftsacksteine bilden. Aus diesen „Steinen” kann man fast immer Druse-Erreger anzüchten. Es gibt aber auch unauffällige Pferde, die nur ein bisschen Schleim im Luftsack haben und dennoch im Nachweis positiv sind. Hier hat sich dann das Bakterium in die Oberfläche vom Luftsack eingenistet.

Welche Risiken birgt die Luftsackendoskopie zur Diagnostik, natürlich neben den für Pferdehalter relevanten Kosten?

Luftsackspülung über Luftsackklappe
Im Luftsack befinden sich einige sehr wichtige Strukturen wie Gefäße und Nervenbahnen, die nicht beschädigt werden dürfen. Allerdings sind Eiter oder Luftsacksteine auch sehr irritierend für das Gewebe. Um den Verlauf der Infektion zu verkürzen und um Komplikationen zu verringern, sollten im Verlauf einer Stallinfektion bei Pferden mit Fieber oder Nasenausfluss beide Luftsäcke „gespiegelt” werden. Man kann gleichzeitig eine Probe entnehmen, falls der Luftsack unauffällig ist. Bei Eiter oder Steinen muss erst gespült werden. Sind die Luftsäcke dann soweit sauber oder unauffällig, können weitere Beprobungen auch über eine Rachenspülprobe stattfinden.

Ist ein drusefreier Bestand bei der hohen Mobilität von Pferden ein realistisches Ziel?

Hier wurde die Abszesshöhle eröffnet und mit einem Tupfer eine Probe entnommen.
Es ist sicherlich kein einfach zu erreichendes Ziel, aber es ist ein wichtiges, sinnvolles und lohnendes Ziel. Das Ziel wird durch systematisches Beproben, gezieltes Behandeln und gezielte Beprobung von Neuzugängen in den Bestand erreicht. Die Populationsimmunität hat sich zwar durch die große Zahl der Fälle sicher in der letzten Zeit wieder deutlich verbessert, aber damit werden Stallinfektionen „auf kleiner Flamme” immer wieder vorkommen, solange nicht flächendeckend geimpft wird und solange nicht konsequent nach Langzeitausscheidern Ausschau gehalten wird.
Im Moment steht ein Impfstoff gegen die Druse nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung. Neue Impfstoffe sind zwar in der Entwicklung, aber noch nicht bereit für den kommerziellen Einsatz. Bis dahin müssen Langzeitausscheider im Betrieb diagnostiziert und behandelt werden, und Neuankömmlinge in den Betrieb müssen vorher auf den Erreger untersucht werden. Eine Druse-Infektion verursacht nicht nur Kosten, sondern kann auch schwerwiegende Folgen von Nutzungseinschränkungen durch dauerhafte Probleme bis hin zum Verlust eines Tieres haben. Da ist es wünschenswert, wenigstens bestandsintern Druse-Freiheit anzustreben.
 
Wie erreicht ein Pferdebetrieb diese Druse-Freiheit?
 
Jeder Bestand mit einem Langzeitausscheider hat das Risiko, dass es bei neuen Pferden ohne ausreichende Immunität zur Infektion kommt. Umgekehrt können auch Neuzugänge den Erreger mitbringen. Alle Pferde im Bestand sollten in einem ersten Schritt serologisch auf Antikörper getestet werden. Dieser Bluttest ist unaufwändig und preiswert. Pferde mit einem erhöhten Titer geben einen Hinweis darauf, dass sie in den letzten Monaten eine akute Druse-Infektion durchlaufen haben. Unter positiv getesteten Tieren kann auch ein Langzeitausscheider sein. Hier sollten die Luftsäcke oder der Rachenraum beprobt werden, ob sich der Erreger eingenistet hat. Neueinsteller müssen, bevor sie in den Stall kommen, auf eine Infektion in der jüngeren Vergangenheit überprüft werden. Auch bei diesen Tieren müssen bei einem positiven Titer die Luftsäcke auf die Anwesenheit von Druse-Erregern überprüft werden. Der Stallbesitzer/-manager ist verantwortlich für die Gesunderhaltung der Herde. Nur durch Testen, gezielte Quarantänemaßnahmen und Impfen, wenn möglich, können wir ansteckende Erkrankungen im Bestand eindämmen. Das gilt auch für andere Infektionen wie EHV -1 / -4 oder Influenza.
 

Für welche Bestände ist diese intensive Beprobung denn sinnvoll?
 
Sie ist überall dort wichtig, wo ein Wechsel stattfindet. Ein geschlossener Stall ohne Fremdkontakte mit einem Dauerausscheider erhält möglicherweise die Gruppenimmunität und die Tiere dort haben keine sichtbaren Probleme. Allerdings können sich jederzeit andere Tiere bei Begegnungen anstecken.

Wird eine geringe Fluktuation in diesem Zusammenhang auch zu einem Qualitätskriterium für das Management des Pensionsbetriebes?
 
Gegenfrage, welche größeren Betriebe haben denn keine Fluktuation? Bei Betrieben mit rund 100 Pferden würde ich zehn Prozent Fluktuation pro Jahr als absolute Untergrenze sehen. Kleine Betriebe haben in der Regel weniger Fluktuation.
 
Findet man in der Gruppenhaltung häufiger Druse-Ausbrüche, weil die Pferde einen unmittelbareren Kontakt zu Artgenossen haben?
 
Ich habe keine belastbaren Zahlen zur Hand, aber von der Logik her würde ich sagen, dass sich ein Erreger hier durchaus schneller ausbreiten kann.
 
Hier gibt es einen Bericht zum Umgang mit Druse in einem Offenstall. 

Wie lange sind Pferde nach einer akuten Erkrankung erfahrungsgemäß immun?

Immunität ist nicht ein Ja oder Nein, ein Schwarz oder Weiß. Immunität ist hoch während der ersten Wochen nach einer akuten Infektion und schwindet dann in den kommenden Wochen, Monaten, Jahren. Die Qualität und der Umfang einer Immunität sind abhängig vom individuellen Tier und von der Art des Erregers. Dazu kommt ein ganz wichtiger Aspekt bei der Druse sowie bei allen anderen Atemwegserkrankungen: eine geringe Immunität kann wenig Erreger effektiv entgegenhalten. Wird dieses Pferd sehr viel Erreger ausgesetzt, dann wird die Immunität überlastet, bricht ein, und es kann zur aktiven Infektion kommen.

Gibt es bei der Dauer der Immunität auch rassespezifische Unterschiede?
 
Wir kennen bisher keine Unterschiede zwischen den Rassen. Allerdings ist es schwierig in Betrieben, beispielsweise bei Isländern, wenn Importpferde aus Island in einen solchen Betrieb zwischen andere Tiere kommen. In Island gibt es den Druse-Erreger überhaupt nicht und frisch importierte Tiere kommen garantiert immunologisch naiv hierher. Bei bereits geringer Erregermenge zeigen sie das volle Krankheitsbild und werden zu regelrechten Erregerschleudern für den gesamten Betrieb. Gerade bei den Atemwegserkrankungen haben wir eine besondere Situation. Zwei Bakterien machen in der Regel noch keine Seuche. Wenn wir aber Pferde haben, die sehr viel Erreger in die Umgebung streuen, dann wird auch eine bereits vorhandene Immunität bei anderen Pferden überwältigt und mehr Tiere erkranken.

 
Ist eine Druse-Impfung zur Eingliederung sinnvoll?

Das ist abhängig von der Herde. Hat eine Herde Antikörper und der Neueinsteller nicht, dann ist es der kleinere Aufwand, das neue Pferd zu impfen. Hat das neue Pferd, das in den Bestand soll Antikörper, und der Bestand ist Druse-frei, dann muss das neue Pferd dreimalig negativ beprobt werden (Luftsack/Rachenraum), bevor es in die Herde darf. Eine Impfung darf nicht bei unbekanntem Antikörper-Titer verabreicht werden. Testen vor der Eingliederung ist immer sinnvoll.

Sind autogene Impfstoffe aus Bestandserregern, wie sie gelegentlich eingesetzt werden, eine Alternative?
 
Von solchen Impfstoffen rate ich beim Pferd grundsätzlich ab. Beim Pferd ist die Verträglichkeit schlecht, es kommt häufig zu unerwünschten Komplikationen wie Abszessbildung, regionale Muskelerkrankungen und Immunerkrankungen. Auch kann die Effizienz nicht überprüft werden. Die Idee der Stall-spezifischen Impfungen kommt aus der Schweinemast, wo bei Streptokokken-Infektionen sogenannte autogene Impfstoffe häufiger eingesetzt werden. Wenn impfen, dann bitte nur mit zugelassenen Impfstoffen.

Ist eine regelmäßige Druse-Impfung in der Zukunft denkbar?

Zurzeit haben wir nur einen zugelassen Impfstoff (Equilis StrepE von MSD Tiergesundheit), dessen Einsatz von der Ständigen Impfkommission Veterinärmedizin (StIKo Vet) nur unter gewissen Umständen angeraten wird. Es wird im Moment an weiteren Impfstoffen geforscht und gearbeitet. Da aber Pferde, Ponys und Esel nur dann geimpft werden sollen, wenn sie sich nicht mit dem Erreger auseinandersetzen, muss man immer noch den Status eines Pferdes vor der Impfung kennen.

Wie kommen wir aus dem Zielkonflikt von Infektionsvermeidung und gleichzeitiger Herdenimmunisierung heraus?

In einer idealen Welt hätten wir ein Druse-freies Europa. Dann brauchen wir keine Herdenimmunisierung. Eine flächendeckende Impfung mit einem Impfstoff, wo man die Antikörper geimpfter Pferde von natürlich-infizierten Pferden unterscheiden kann, wäre ein Meilenstein für ein Druse-freies Europa. Die jetzige Druse-Welle seit 2015 ist ein kontinentaleuropäisches Problem einschließlich Großbritannien. Die Pharmaunternehmen sind sich des Problems bewusst und sind bereits mit der Entwicklung von Impfstoffen beschäftigt. Ein Problem bei der Impfung gegen den Druse-Erreger: Grundsätzlich impfen wir erfolgreich gegen ein Virus, aber nur mit mäßiger Effizienz gegen Bakterien.

Vielen Dank für das Gespräch.
 
 Hier geht es zum Kurzinfo-Merkblatt der FN zum Thema Druse.
 
Vertiefen kann man das Thema Druse auf der Seite von Tierärztin Dr. Inka Kreling.