Einen massiven Rückgang der Insektenpopulation in deutschen Schutzgebieten hat ein internationales Forschungsteam festgestellt; es bleibt aber bei den Ursachen vage. Dennoch entzündeten sich heftige Reaktionen.
Erneut ist der Rückgang der Insekten in den Medien hochgekocht. Naturschutzverbände haben die Landwirtschaft im Visier.
Nach den Untersuchungen der aus deutschen, niederländischen und britischen Wissenschaftlern bestehenden Gruppe, darunter Vertreter des Entomologischen Vereins Krefeld, gab es zwischen 1989 und 2016 in den beprobten Gebieten bei Fluginsekten einen Biomasseverlust zwischen 76 und 81 Prozent. Die Erhebungen seien dabei über 27 Jahre an 63 Standorten in Schutzgebieten unterschiedlichster Lebensräume des Offenlandes vor allem in Nordwestdeutschland erfolgt. Der Rückgang sei überwiegend im Flachland festgestellt worden. In ihrer vergangene Woche in der internationalen Online-Fachzeitschrift „Plos One” veröffentlichten Studie weisen die Forscher darauf hin, dass die in die Untersuchung eingeflossenen Daten zu klimatischen Veränderungen und Biotopmerkmalen den überwiegenden Teil der Insektenverluste nicht erklärten.
Gleichzeitig räumen die Wissenschaftler ein, dass mangels verfügbarer Informationen potenzielle landwirtschaftliche Einflussfaktoren, so zum Beispiel die Pflanzenschutzmittelbelastung, nicht berücksichtigt werden konnten, weil die Datenlage dazu nicht transparent sei. Dennoch wollen sie sowohl klimatische als auch landwirtschaftliche Ursachen nicht ausschließen.
Ministerium sieht keine neue Sachlage
Das Bundeslandwirtschaftsministerium kündigte eine
umfassende Prüfung und fachliche Bewertung der Studie an, konnte jedoch
daraus bislang keine neue Sachlage ableiten. Es handle sich um ein
multifaktorielles Problem. Für Politiker von Bündnis 90/Die Grünen sowie
Naturschutzorganisationen liegt ein Zusammenhang zwischen intensiver
Agrarwirtschaft und Artenrückgang nahe. Der Naturschutzbund Deutschland
(NABU) stellte in der vergangenen Woche zudem eine Verbindung zwischen
dem konventionellen Ackerbau und einem von ihm protokollierten Rückgang
der Vogelpopulation in Deutschland her. Von verschiedener Seite kamen
daher Forderungen nach einer Neuausrichtung der Agrarpolitik.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen.
DBV-Präsident Joachim Rukwied sprach sich für ein repräsentatives
Monitoring aus, „um belastbare Datenreihen zu bekommen”.
Ökologische Fallen?
Das Forschungsteam räumt in seiner Studie zur Insektenpopulation
ein, dass an nur 26 der insgesamt 63 Standorte mehrjährige Vergleiche
vorgenommen worden seien. Sie sind jedoch überzeugt, dass die von ihnen
geschätzte Abnahme der Gesamtbiomasse belastbar ist und nicht von
Sonderfaktoren an den langfristig beprobten Standorten herrührt. Der
Rückgang kann allerdings nach Einschätzung der Wissenschaftler nicht
ohne weiteres den zuvor vermuteten Hauptursachen „Klimawandel” und
„Landwirtschaft” direkt zugeordnet werden. Ungeachtet dessen könne die
landwirtschaftliche Intensivierung nicht nur wegen des zeitlichen
Aufeinandertreffens von Intensivierung und Rückgang der
Insektenpopulation eine plausible Ursache sein, stellt das Team fest. So
seien die beobachteten Schutzgebiete in 94 Prozent der Fälle von
landwirtschaftlichen Nutzflächen umgeben. Man könne vermuten, dass die
angrenzenden Agrarflächen für die in den Schutzgebieten heimischen
Fluginsekten als „ökologische Fallen” fungierten und den Schutzgebieten
dadurch Insekten entzögen.
Wegen des „alarmierenden Rückgangs” der Insektenpopulation in den
Beobachtungsgebieten und der bisher unklaren Ursachenbestimmung raten
die Autoren der Studie dringend zu weitergehenden Forschungsarbeiten,
die neben einem größeren geografischen Rahmen auch die Folgewirkungen
für Ökosysteme und Ökosystemdienstleistungen umfassen sollten.