„Landwirtschaft – in die Mitte der Gesellschaft!”, lautete die Überschrift zur Grundsatzrede von BLHV-Präsident Werner Räpple auf der Landesversammlung des Verbandes am Dienstag in Hilzingen. Räpple sieht die Landwirtschaft durch undifferenziertes Anprangern ohne Sachkenntnis aus der Mitte gedrängt.
Martin Hahn (am Rednerpult), Landtagsabgeordneter der Grünen und Vorsitzender des Agrarausschusses des Landtags, hielt parteiübergreifend ein Grußwort für die Landespolitiker, die wegen Präsenzpflicht im Landtag nicht kommen konnten oder verfrüht gehen mussten.
„Die Landwirte machen einen wichtigen Job, sie sehen ihre Arbeit aber nur mangelhaft gewürdigt”, stieg Räpple vor vollem Saal in den Hegau-Hallen in seine Rede ein. Man merkte dem Präsidenten an, dass es ihm nicht nur langsam, sondern mittlerweile komplett reicht mit der öffentlichen Diskussion, „die uns undifferenziert und ohne Sachkenntnis an den Pranger stellt”. Räpple nannte beispielhaft die öffentlichen Auseinandersetzungen um Glyphosat, generell um Pflanzenschutz mit chemisch-synthetischen Mitteln, um das Insektensterben, um Nitrat. Völlig ausgeblendet werde beispielsweise, dass Pflanzenschutz Erträge stabilisiere und die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sichere.
„Der Schuh der Gesellschaft”
Beifall erhielt Räpple für den Aufruf an die Politik,
neutrale wissenschaftliche Bewertungen als Entscheidungsgrundlage für
die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln heranzuziehen und nicht
Abstimmungen bei Facebook.
„Viele reden über Biodiversität, wir machen etwas dafür.” BLHV-Präsident Werner Räpple forderte mit Nachdruck ein, dass „die Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesellschaft muss, wo sie auch hingehört”.
Der BLHV-Präsident forderte eine Rückkehr zu
sachlichen Grundlagen. „Wir Bauern sind keine Wissenschaftler, sondern
wir müssen uns auf die Wissenschaft verlassen”, unterstrich er.
Bemerkenswerte Schützenhilfe, was das Selbstverständnis der Landwirte
angeht, bekamen die Versammlungsteilnehmer vom Landtagsabgeordneten der
Grünen, Martin Hahn. So merkte dieser zum Thema Insektensterben und
Artenrückgang an: „Lassen Sie sich den Schuh nicht alleine anziehen –
das ist der Schuh der ganzen Gesellschaft.” Nach dieser Feststellung
brandete Beifall im Saal auf. Martin Hahn sprach in Hilzingen
parteiübergreifend für seine Kollegen vom Landtag und betonte dabei, er
tue das „als Vorsitzender des Agrarausschusses des Landtags und nicht
als Grüner”.
Das Stuttgarter Landwirtschaftsministerium vertrat in Hilzingen dessen
Amtschefin Grit Puchan mit einem Grußwort. Sie durfte zunächst den Dank
Räpples für die Frosthilfen des Landes entgegennehmen.
Die Landesversammlung als Ort der Begegnung: Man trifft sich, man tauscht sich aus. Im Bild links Georg Rauch, Vorsitzender des BLHV-Kreisverbandes Überlingen.
Puchan streifte sodann die aktuell wichtigen agrarpolitischen Themen und
sagte den Bauern bei ihren berechtigten Anliegen Unterstützung zu. Das
bezog sie auch auf Detailfragen, die den Bauern wichtig sind.
So merkte
Werner Räpple beispielsweise an, beim anstehenden
FFH-Verordnungsverfahren müsse gewährleistet sein, dass Hofstellen
keinen FFH-Restriktionen unterliegen. Dies betrachtete Puchan regelrecht
als selbstverständlich. Sie werde sich mit dem Nachbarhaus (dem
Umweltministerium) darüber in Verbindung setzen. Ebenso geht sie bei der
Düngeverordnung davon aus, „dass es im Schwarzwald zu Ausnahmen kommen
wird”.
Resolution
Der BLHV präsentierte bei seiner Landesversammlung
auch eine Resolution, die an die Landesregierung gerichtet ist, um
aktuell essenzielle Anliegen zu untermauern. „Die Landesregierung muss
ihre Möglichkeiten ausschöpfen, um die Wettbewerbsfähigkeit der
südbadischen Landwirte zu sichern”, heißt es darin einleitend. Sie geht
sodann auf folgene Einzelbereiche ein:
Düngeverordnung:
Viele der Forderungen, die der BLHV 2015 zur Düngeverordnung aufstellte,
wurden zumindest teilweise umgesetzt. Das Land muss jetzt die
bestehenden Optionen nutzen, um die agrarstrukturellen und
naturräumlichen Gegebenheiten in Südbaden zu berücksichtigen. Der BLHV
fordert daher die Landesregierung auf,
- Betriebe bis 30 Hektar in nicht-roten Gebieten von Aufzeichnungspflichten zu befreien,
- in Mittelgebirgslagen Ausnahmen einzuführen, sodass Betriebe bewährte
und standortangepasste Technik weiterhin bodenschonend einsetzen
können.
Wo die Bauern der Schuh drückt, wurde in Hilzingen neben Wortmeldungen auch auf
Transparenten ausgedrückt. In der Halle „bekämpften” die Landfrauen des Kreises Konstanz zusammen mit den Kolleginnen aus Stockach/Engen aufkommenden Hunger und Durst.
Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete:
Der BLHV erwartet, dass die künftige Förderkulisse der benachteiligten
Gebiete so groß wie möglich sein wird. Dafür muss die Landesregierung
die dritte Stufe der Neuabgrenzung nutzen, um anhand neuer „spezifischer
Kriterien” weitere Gemarkungen nach Brüssel zu melden.
Flurneuordnung:
Der Ausbau der Rheintalbahn stellt die Landwirtschaft vor enorme
Herausforderungen. Umfangreiche Flurbereinigungsverfahren sowie eine
Sicherstellung und Ausweitung bestehender Bewässerungssysteme sind
dringend notwendig. Zur Bewältigung dieses Jahrhundertprojekts müssen
folgende Maßnahmen ergriffen werden:
- Schlagkräftige und qualifizierte personelle Besetzung bei der
zuständigen Dienststelle der Flurneuordnung, die sich im Vorfeld von
umfangreichen Flurbereinigungsverfahren um eine neue
Bewässerungskonzeption kümmern sollte.
-
Förderung für gemeinschaftliche Beregnungsanlagen – die GAK eröffnet
hier Möglichkeiten, die vom Land auch im Hinblick auf Frostschutz-Beregnungen genutzt werden sollten.
Flächenschutz:
Das im Koalitionsvertrag der GroKo festgesetzte Ziel, den
Flächenverbrauch bis 2030 auf 30 Hektar pro Tag zu halbieren, wird vom
BLHV ausdrücklich begrüßt. Er erwartet, dass das Land die angekündigte
Unterstützung des Bundes annimmt, um bodenrechtliche Vorgaben mit dem
Ziel einer ausgewogenen Agrarstruktur und der Abwehr
außerlandwirtschaftlicher Investoren zu novellieren.
Folgende Punkte sollte die Landesregierung umsetzen:
-
Förderung flächensparender Bauvorhaben
-
Vorrang für produktionsintegrierte Maßnahmen bei Ausgleichsmaßnahmen
-
Absenkung der Grunderwerbssteuer für Grundstückskäufe von aktiven Landwirten
-
Freistellung des Landtauschs unter Landwirten von der Grunderwerbssteuer
-
Die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Umgestaltung der Grundsteuer muss die Landwirte entlasten.
Landwirtschaft 4.0: Schritt für Schritt einsteigen
Jochen Schneider, ZG Raiffeisen, zeigte in Hilzingen auf, was bei Landwirtschaft 4.0 schon geht, was Zukunftsmusik und was visionär ist.
Die Digitalisierung durchdringt derzeit die ganze Gesellschaft und selbstverständlich auch die Landwirtschaft. Die ZG Raiffeisen in Karlsruhe hat dazu eine eigene, abteilungsübergreifende Gesellschaft „Landwirtschaft Digital 4.0 GmbH” gegründet und führt einen Pilotbetrieb in Karlsruhe-Maxau. Jochen Schneider, Geschäftsführer der Gesellschaft, stellte in Hilzingen die Möglichkeiten digitaler Technik und Verfahren vor, um Zeit und Kosten zu sparen und gleichzeitig die Arbeitsqualität zu erhöhen und die Umwelt zu entlasten.
Technisch erprobt und im Einsatz seien heute schon automatische Lenksysteme, automatische Teilbreitenschaltungen und Verfahren teilflächenspezifischer Bewirtschaftung. Mithilfe von Satelliten, Flugzeugen, Drohnen und Handy-Apps sind die künftigen Möglichkeiten, Daten über seinen Betrieb zu erhalten und diese zu nutzen, nahezu unerschöpflich. Feldroboter, die individuell oder im Schwarm einzelpflanzengenau Pflegearbeiten erledigen, sind demnach nicht mehr allzu ferne Zukunftsmusik.
Allerdings seien dafür zwingend ein leistungsfähiges, schnelles Internet und gute Mobilfunkverbindungen erforderlich. Ein Appell Schneiders ging daher an die Politik. Interessierten Landwirten riet Schneider, Schritt für Schritt in die Thematik einzusteigen, um sich sukzessive damit vertraut zu machen.
Lebhafte Diskussion
Bei der Aussprache zur Landesversammlung des BLHV gab es einige Wortmeldungen aus dem Publikum zu unterschiedlichen Themen, wie Auflagen, FFH, Bürokratie, leistungsschwaches Internet, Wolf, Saatkrähen, Maiswurzelbohrer, generell Pflanzenschutz, Flächenverbrauch...
Einer von mehreren Diskussionsteilnehmern im Saal bei der Aussprache zur Landesversammlung.
Die Anmerkungen waren mitunter deutlich, aber nie unsachlich. So forderte ein Landwirt im Saal angesichts zunehmender Auflagen wie FFH und Düngeverordnung, dass der BLHV auch mal „nai” sagen müsse, wie es seinerzeit erfolgreich gegen ein Kernkraftwerk in Wyhl geschehen sei. BLHV-Präsident Werner Räpple dazu: „Wir versuchen, Dinge zu erreichen. Wenn man von vornherein Nein sagt, ist man weg vom Gespräch. Aber wenn es zu viel wird, sagen wir auch mal Nein.” Unter „zu viel” versteht Räpple zum Beispiel, bei Gesprächen „nicht ernst genommen zu werden”. Dabei wandte er sich an Ministerialdirektorin Grit Puchan, die bei der Landesversammlung das Stuttgarter Landwirtschaftsministerium vertrat. Der Minister und seine Staatssekretärin hatten an diesem Tag Präsenzpflicht im Kabinett.