Pflanzenbau | 26. Februar 2015

Die Kirschessigfliege ist ein zähes Luder

Von Gernot Raiser
Eine internationale Tagung befasste sich am 20. Februar in Offenburg mit dem neuen Schädling. Fazit: Es gibt kein Patentrezept gegen die Kirschessigfliege. Zu groß ist das Vermehrungspotenzial der invasiven Art und zu wenig durchschlagend sind die bisherigen Ansätze zur Bekämpfung.
Die Oberrheinhalle war bei der Internationalen Tagung zur Kirschessigfliege voll besetzt.
„Dass eine solche kleine Fliege solche Menschenmassen wie bei der heutigen Tagung bewegen kann, sollte uns zu denken geben”, zeigte sich Franz Josef Müller in Offenburg besorgt. Der Präsident des Landesverbandes Erwerbsobstbau (LVEO) erinnerte an die Millionenschäden im Jahr 2014 allein in Baden-Württemberg.
Hilfe für kleine Strukturen gefordert
Er wies darauf hin, dass in der kleinstrukturierten heimischen Obstbaulandschaft die feldhygienische Vorbeugung gegen die Kirschessigfliege nicht einfach sei. Gerade die Vielfalt der heimischen Erzeugung biete dem Schadinsekt jede Menge Rückzugs- und Vermehrungsrefugien. Verschärft werde die Lage noch durch die zahlreichen künstlich angelegten naturnahen Landschaftselemente, zum Beispiel im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen für Bauprojekte.  „Ich denke, in diesem Bereich müssen wir umdenken”, forderte Müller.  Der Fortbestand einer kostenneutralen Offizialberatung sei in dieser bedrohlichen Lage vor allem für die zahlreichen kleinen Obstanbauer im Nebenerwerb unverzichtbar.
Kilian Schneider erinnerte daran, dass vergangenes Jahr angesichts von 7000 ha roten Weinsorten und  einem frühen, massiven Befall der Frühsorten unter den badischen Winzern die Angst umgegangen sei.   Nicht ohne Stolz betonte der Präsident des Badischen Weinbauverbandes aber: „Wir haben hingesehen und gehandelt. Das Jahr 2014 hat uns gezeigt: Die optimale Pflege der Reben ist die unverzichtbare Grundlage einer jeden Bekämpfungsstrategie gegen die Kirschessigfliege.”
Das Ziel der Tagung hatte Minister Alexander Bonde in seinem Grußwort wie folgt formuliert: „Wir wollen Erfahrungen aus anderen Ländern aufnehmen und gezielt in die Praxis bringen. Unser Ziel ist es, den Obst- und Weinbaubetrieben konkrete Empfehlungen zur wirksamen Bekämpfung der Kirschessigfliege geben zu können – bei gleichzeitig sorgfältiger Beachtung des Bienenschutzes.”
Bienen schützen
Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) auf einer Weinbeere.
Letzteres gilt natürlich besonders beim Einsatz von Insektiziden. Dr. Klaus Wallner von der Landesanstalt für Bienenkunde fasste in Offenburg die wichtigsten Aspekte zusammen. Grundsätzlich positiv sei die Tatsache, dass reife Früchte  von Bienen nur in Ausnahmefällen als Nahrungsquelle benutzt werden, erklärte der Bienenexperte. Der Grund sei, dass der Saft der meisten Früchte, selbst wenn sie reif sind, weniger als 10 % Zucker enthält. Bienen sind von Haus aus Nektarsammlerinnen und es macht ihnen zuviel Arbeit, pure Fruchtsäfte zu Honig aufzukonzentrieren. Nur Süßkirschen und Weinbeeren liegen mit jeweils über 10 % Zuckergehalt  in einem kritischen Bereich. Dies gilt vor allem, wenn der Saft aus den Früchten austritt (Überreife, Verletzungen, Befall mit Kirschessigfliege) und anschließend durch Sonne und warme Luft weiter aufkonzentriert wird. Zum Beispiel haben Bienen im Jahr 2014 große Mengen Kirschsaft aus durch die Kirschessigfliegen zerstörten Früchen in ihre Stöcke eingeflogen. Im Übrigen können und wollen Bienen intakte Früchte nicht öffnen, weil sie gar kein geeignetes Mundwerkzeug dafür haben, im Gegensatz zu Wespen oder Hornissen. Aber Wallner mahnte: „Bienen können durchaus bei der Bekämpfung der Kirschessigfliege mit Insektiziden in Kontakt kommen, wenn eine oder mehrere der folgenden Bedingungen erfüllt sind:
  • blühender Unterwuchs, zum Beispiel Löwenzahn oder Unkräuter,
  • Abdrift in attraktive Nachbarkulturen,
  • Honigtau durch Läusebefall, besonders im Blattbereich von Kirschen und Zwetschgen,
  • überreife und kollabierende Früchte und
  • austretender Fruchtsaft bei verletzten Früchten.”
Keine bienengefährlichen Insektizide dürfen einsetzt werden, solange Bienen sich in den Anlagen aufhalten.  Aber die Flugaktivitäten der Nutzinsekten können stark und dennoch unauffällig sein. Die Anbauer müssen genau hinschauen und im Zweifelsfall einen Experten zu Rate ziehen, bevor sie  die Spritze in Gang setzen.
Eine beschränkte Aussagekraft des Kirschessigfliegen-Monitorings mittels Fallenfang beklagte in Offenburg Manuel Becker. Rückschlüsse auf eine wachsende oder sinkende Befallsgefahr der Reben oder des Obstes seien aus steigenden oder sinkenden Fallenfängen nicht ableitbar. Die Tiere sind einfach überall, so das Fazit des Vertreters der Lehr- und Versuchsanstalt Weinsberg. Internationale wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Schädling leicht gegen Insektizide resistent wird. 
Aus Schweizer Sicht setzte Dr. Patrick Kehrli, Agroscope Changins, ein großes Fragezeichen hinter den in Deutschland 2014 so intensiv betriebenen Insektizideinsatz. In der Schweiz hätten 2014 mehrere Präparate in den Versuchen so gut wie keine Wirkung gezeigt, betonte Kehrli. Insbesondere sei keinerlei Reduktion der Essigfäule, als deren (Mit-)Verursacher die Kirschessigfliege gilt, mittels Insektizidspritzungen nachweisbar gewesen.  Schutznetze bieten einen gewissen Schutz, aber sie sind extrem teuer und aufwendig in der Handhabung.
Es gibt auch keine Hoffnung, die Kirschessigfliege in absehbarer Zeit biologisch mit Nützlingen oder Parasiten zu bekämpfen. Für das Insekt ist Europa „feindfreies Gelände”, wie eine Biologin es ausdrückte. Daran wird sich vorläufig auch nichts ändern, denn die Ansiedlung oder gezielte Freisetzung natürlicher Gegenspieler aus Asien ist alles andere als einfach und könnte, wie das Beispiel des asiatischen Marienkäfers zeigt, sogar mehr schaden als nützen.
Im Weinbau sind auch 2015 die wichtigsten Maßnahmen gegen die Kirschessigfliege:
  1. Frühe Ertragsregulierung
  2. Angepasste Entlaubung der Traubenzone
  3. Niedrige Begrünung
  4. Vermeidung mechanischer Traubenverletzungen
  5. Keinen Trester in nicht gelesene Traubenzeilen ausbringen
  6. Chemische Bekämpfung sofort ab Beginn der Eiablage.
Die Tagung wurde gemeinsam von den Landesinstituten WBI, LVWO, LTZ und KOB durchgeführt. 
Zur Biologie der Kirschessigfliege
Mehrere Referate befassten sich in Offenburg mit der Biologie des Schädlings. Im Folgenden werden wichtige Aspekte, vor allem aus dem Referat von Dr. Heidrun Vogt vom Julius-Kühn-Institut, zusammengefasst.
  • Das Insekt ist in Ost- und Südostasien beheimatet. Dennoch gedeiht es nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, im tropischen oder subtropischen Klima besonders gut, sondern bei eher kühlen 20 bis 25 °C.
  • Die Kirschessigfliege ist feuchteliebend. 2014 war in Deutschland das Klima ideal für eine Massenvermehrung.
  • Für eine Massenvermehrung verfügt die Kirschessigfliege über folgende Eigenschaften: Die Weibchen beginnen ein bis zwei Tage nach dem Schlupf mit der Eiablage. Sie können 200 bis 400 Eier legen. Nach zwei Wochen schlüpft die neue Generation. In Deutschland sind fünf bis acht Generationen möglich. 
  • Die Maden der Kirschessigfliege können sich in den verschiedensten Früchten entwickeln: Weinreben, Stein- und Beerenobst, Wildobst und Zierpflanzen.
  • Das Insekt überwintert in Deutschland als ausgewachsenes Tier, also nicht als Ei oder Larve. Das ist einerseits positiv, weil die Überlebensrate gering ist, wenn die Temperaturen längere Zeit unter + 3 °C sinken. Andererseits kann die Eiablage im März/April ohne Verzögerung starten.