Politik | 13. Oktober 2022

Die Ampel einigt sich nur auf einen Schritt

Von AgE
Die Ampelkoalition hat sich auf einen Einstieg in eine Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung geeinigt. Es soll ein Bundesprogramm geben. Auch die Haltungskennzeichnung soll vorangetrieben werden.
Ein Foto aus Tagen, als noch neue Ställe gebaut wurden.
Die auf der Ebene der Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und FDP erzielte Verständigung sieht vor, die im Bundeshaushalt für die kommenden vier Jahre eingeplante „Tierwohl-Milliarde” nicht nur zur Investitionsförderung zu nutzen, sondern auch für eine Finanzierung laufender Mehrausgaben von tierhaltenden Betrieben zu öffnen, die höhere Tierwohlstandards als gesetzlich vorgeschrieben einhalten. Dafür soll ein Bundesprogramm aufgelegt werden.
Die Vereinbarung sieht darüber hinaus vor, die offenen Fragen im Bau-, Planungs- und Genehmigungsrecht zu klären und parallel dazu die Haltungskennzeichnung voranzutreiben. Sie soll sich ebenso wie die Förderung an bestehenden Kennzeichnungssystemen orientieren. Für die Ausweitung der Haltungskennzeichnung auf weitere Tierarten und die gesamte Wertschöpfungskette soll ein Zeitplan aufgestellt werden.
„Zu gegebener Zeit”
Wie ein möglicher Bedarf finanziert werden soll, der über die eingeplante eine Milliarde   Euro hinausgeht, will man zu gegebener Zeit klären. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sprach von einem „wichtigen Signal an die Landwirtinnen und Landwirte, dass wir sie auf dem Weg zu einer zukunftsfesten Tierhaltung unterstützen”. „Die Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte ist im gesellschaftlichen Interesse”, erklärte Minister Özdemir. Ihre Veränderungsbereitschaft werde benötigt, „um auch künftig unsere Ernährung zu sichern und zugleich unsere Klimaschutzziele zu erreichen.”
„Wir sorgen jetzt dafür, dass Landwirte überhaupt erst die Möglichkeit bekommen, ihre Ställe umzubauen, und bringen die dazu notwendigen Regelungen mit einem verlässlichen Zeitplan auf den Weg”, versicherte FDP-Fraktionsvize Konrad. Man habe vereinbart, dass Vorgaben und Auflagen bereits getätigte Investitionen in mehr Tierwohl berücksichtigen und diese mit dem Start des Programms rechtlich abgesichert sein müssten.
Nicht überzeugt
Nicht überzeugt von der Einigung in der Ampel zeigte sich demgegenüber der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann. „Eine echte Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung zu mehr Tierwohl scheitert weiterhin an den Ampelparteien”, so Stegemann. Anders als von Grünen und FDP dargestellt sei eine politische Einigung in weiter Ferne.  Stegemann wirft Özdemir vor, er wolle die im Haushalt eingestellte Tierwohl-Milliarde „an grüne Bedingungen knüpfen”. „Nur wer weniger Tiere hält, soll davon profitieren”, argwöhnte der CDU-Politiker.
Den  Entwurf für die  Tierhaltungskennzeichnung hält Stegemann für  lückenhaft. Sie führe zu einer Verschiebung des Marktes  hin zu billigem Import-Schweinefleisch. Zudem sei das im Gesetzentwurf vorgesehene Verfahren zur Anzeige und Registrierung von Betrieben unnötig bürokratisch und aufwendig.
Lücken und Schwachstellen
Der Deutsche Bauernverband kritisierte die Ausgestaltung des Gesetzentwurfes für eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung. Die Haltungskennzeichnung habe deutliche Schwachstellen und Lücken, mit denen die angestrebte Wirkung nicht nur verfehlt, sondern in Teilen sogar konterkariert werde. Beispielsweise sei die Sauenhaltung nicht berücksichtigt. So können betäubungslos kastrierte Ferkel weiter aus dem Ausland in den heimischen Markt importiert werden und würden dennoch das Tierwohllabel erhalten. Zudem drohe durch dieses Gesetz noch mehr unnütze Bürokratie für die  Betriebe, weil weder ein Anschluss an vorhandene amtliche Meldesysteme noch an private Qualitätssicherungssysteme hergestellt werden soll.
Dringend müssten auch der Bereich der Verarbeitungsware und neben dem Lebensmitteleinzelhandel auch Verarbeiter, Großverbraucher und Gastronomie mit einbezogen werden. Zwingend notwendig sei neben der Haltungskennzeichnung auch eine Herkunftskennzeichnung.
Zwei Drittel bleiben kennzeichnungsfrei
Ins gleiche Horn stößt die Initiative Tierwohl. Der Verkauf von Wurst und Schinken sowie die Speisen in der Gastronomie würden  nach wie vor nicht berücksichtigt. „Damit bleiben mehr als zwei Drittel des Schweinefleischabsatzes aus Deutschland kennzeichnungsfrei”, so die ITW. Zudem würden die Geburt und Aufzucht der Schweine ebenso wenig wie andere Tierarten, also Rind und Geflügel, mit einbezogen.
Borchert reicht das nicht
Für nicht ausreichend hält der Vorsitzende des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, Jochen Borchert, die Einigung innerhalb der Koalition.  Sie sei nur ein erster Schritt, sagte Borchert gegenüber dem Nachrichtendienst Agra-Europe.
Es bleibe jedoch völlig unklar, wie es nach einer Anlaufzeit von einem, zwei oder drei Jahren weitergehe. „Kein Landwirt wird sich auf einen Umbau seiner Tierhaltung einlassen, solange die Finanzierung langfristig nicht gesichert ist”, bekräftigte er. Die Tierhalter brauchten eine Absicherung in Form langfristiger Verträge.
Nach seiner Auffassung  ist mit der Verständigung von SPD, Grünen und FDP  auch nicht die Voraussetzung gegeben, das die von ihm geleitete Kommission ihre Arbeit wieder aufnimmt. Da müsse schon mehr kommen. Man werde im Lichte der weiteren politischen Entscheidungen bis Jahresende entscheiden, ob es weitergehen wird.
Die Borchert-Kommission hatte Anfang September zwar ein neues Mandat von Özdemir angenommen. Gleichzeitig hatte sie  entschieden, die  Arbeit ruhen zu lassen, bis eine Einigung der Koalition in der Finanzierungsfrage vorliegt.