Die Ampelkoalition hat sich auf einen Einstieg in eine Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung geeinigt. Es soll ein Bundesprogramm geben. Auch die Haltungskennzeichnung soll vorangetrieben werden.
Ein Foto aus Tagen, als noch neue Ställe gebaut wurden.
Die auf der Ebene der Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und FDP erzielte Verständigung sieht vor, die im Bundeshaushalt für die kommenden vier Jahre eingeplante „Tierwohl-Milliarde” nicht nur zur Investitionsförderung zu nutzen, sondern auch für eine Finanzierung laufender Mehrausgaben von tierhaltenden Betrieben zu öffnen, die höhere Tierwohlstandards als gesetzlich vorgeschrieben einhalten. Dafür soll ein Bundesprogramm aufgelegt werden.
Die Vereinbarung sieht darüber hinaus vor, die offenen Fragen im Bau-, Planungs- und Genehmigungsrecht zu klären und parallel dazu die Haltungskennzeichnung voranzutreiben. Sie soll sich ebenso wie die Förderung an bestehenden Kennzeichnungssystemen orientieren. Für die Ausweitung der Haltungskennzeichnung auf weitere Tierarten und die gesamte Wertschöpfungskette soll ein Zeitplan aufgestellt werden.
„Zu gegebener Zeit”
Wie ein möglicher Bedarf finanziert werden soll,
der über die eingeplante eine Milliarde Euro hinausgeht, will man zu
gegebener Zeit klären. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sprach
von einem „wichtigen Signal an die Landwirtinnen und Landwirte, dass wir
sie auf dem Weg zu einer zukunftsfesten Tierhaltung unterstützen”. „Die
Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte ist im gesellschaftlichen
Interesse”, erklärte Minister Özdemir. Ihre Veränderungsbereitschaft
werde benötigt, „um auch künftig unsere Ernährung zu sichern und
zugleich unsere Klimaschutzziele zu erreichen.”
„Wir sorgen jetzt dafür, dass Landwirte überhaupt erst die Möglichkeit
bekommen, ihre Ställe umzubauen, und bringen die dazu notwendigen
Regelungen mit einem verlässlichen Zeitplan auf den Weg”, versicherte
FDP-Fraktionsvize Konrad. Man habe vereinbart, dass Vorgaben und
Auflagen bereits getätigte Investitionen in mehr Tierwohl
berücksichtigen und diese mit dem Start des Programms rechtlich
abgesichert sein müssten.
Nicht überzeugt
Nicht überzeugt von der Einigung in der Ampel zeigte
sich demgegenüber der agrarpolitische Sprecher der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann. „Eine echte Finanzierung
des Umbaus der Tierhaltung zu mehr Tierwohl scheitert weiterhin an den
Ampelparteien”, so Stegemann. Anders als von Grünen und FDP dargestellt
sei eine politische Einigung in weiter Ferne. Stegemann wirft Özdemir
vor, er wolle die im Haushalt eingestellte Tierwohl-Milliarde „an grüne
Bedingungen knüpfen”. „Nur wer weniger Tiere hält, soll davon
profitieren”, argwöhnte der CDU-Politiker.
Den Entwurf für die Tierhaltungskennzeichnung hält Stegemann für lückenhaft. Sie führe zu einer Verschiebung des Marktes hin zu billigem
Import-Schweinefleisch. Zudem sei das im Gesetzentwurf vorgesehene
Verfahren zur Anzeige und Registrierung von Betrieben unnötig
bürokratisch und aufwendig.
Lücken und Schwachstellen
Der Deutsche Bauernverband kritisierte die Ausgestaltung
des Gesetzentwurfes für eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung.
Die Haltungskennzeichnung habe deutliche Schwachstellen und Lücken, mit
denen die angestrebte Wirkung nicht nur verfehlt, sondern in Teilen
sogar konterkariert werde. Beispielsweise sei die Sauenhaltung nicht
berücksichtigt. So können betäubungslos kastrierte Ferkel weiter aus dem
Ausland in den heimischen Markt importiert werden und würden dennoch
das Tierwohllabel erhalten. Zudem drohe durch dieses Gesetz noch mehr
unnütze Bürokratie für die Betriebe, weil weder ein Anschluss an
vorhandene amtliche Meldesysteme noch an private
Qualitätssicherungssysteme hergestellt werden soll.
Dringend müssten auch der Bereich der Verarbeitungsware und neben dem
Lebensmitteleinzelhandel auch Verarbeiter, Großverbraucher und
Gastronomie mit einbezogen werden. Zwingend notwendig sei neben der
Haltungskennzeichnung auch eine Herkunftskennzeichnung.
Zwei Drittel bleiben kennzeichnungsfrei
Ins gleiche Horn stößt die
Initiative Tierwohl. Der Verkauf von Wurst und Schinken sowie die
Speisen in der Gastronomie würden nach wie vor nicht berücksichtigt.
„Damit bleiben mehr als zwei Drittel des Schweinefleischabsatzes aus
Deutschland kennzeichnungsfrei”, so die ITW. Zudem würden die Geburt und
Aufzucht der Schweine ebenso wenig wie andere Tierarten, also Rind und
Geflügel, mit einbezogen.
Borchert reicht das nicht
Für nicht ausreichend hält der Vorsitzende des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, Jochen Borchert, die Einigung innerhalb der Koalition. Sie sei nur ein erster Schritt, sagte Borchert gegenüber dem Nachrichtendienst Agra-Europe.
Es bleibe jedoch völlig unklar, wie es nach einer Anlaufzeit von einem, zwei oder drei Jahren weitergehe. „Kein Landwirt wird sich auf einen Umbau seiner Tierhaltung einlassen, solange die Finanzierung langfristig nicht gesichert ist”, bekräftigte er. Die Tierhalter brauchten eine Absicherung in Form langfristiger Verträge.
Nach seiner Auffassung ist mit der Verständigung von SPD, Grünen und FDP auch nicht die Voraussetzung gegeben, das die von ihm geleitete Kommission ihre Arbeit wieder aufnimmt. Da müsse schon mehr kommen. Man werde im Lichte der weiteren politischen Entscheidungen bis Jahresende entscheiden, ob es weitergehen wird.
Die Borchert-Kommission hatte Anfang September zwar ein neues Mandat von Özdemir angenommen. Gleichzeitig hatte sie entschieden, die Arbeit ruhen zu lassen, bis eine Einigung der Koalition in der Finanzierungsfrage vorliegt.