Politik | 17. März 2022

Der Richtungstreit um die Landwirtschaft geht unvermindert weiter

Von AgE
Aufgrund der Bedeutung der Ukraine und Russlands für die Weltversorung vor allem mit Getreide geht die Diskussion um die Ausrichtung der Landwirtschaft in Deutschland und Europa in Verbänden und Parteien unvermindert weiter.
Plötzlich wurde vieles anders: Das Thema Ernährungssicherung hat wegen des Ukraine-Krieges als Aufgabe der Landwirtschaft enorm an Bedeutung gewonnen. Die Diskussionen um die Grundausrichtung der Agrarpolitik laufen auf vollen Touren.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) steht zur Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft, wie sie die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) skizziert hat. Gleichzeitig erwartet der Verband, dass die Folgen des Ukraine-Krieges für die Agrarmärkte und die weltweite Ernährungssicherheit bei der Gestaltung der europäischen und nationalen Agrarpolitik berücksichtigt werden. „Der eingeschlagene Weg ist richtig”, bekräftigte DBV-Präsident Joachim Rukwied vergangene Woche im Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Darin erneuerte Rukwied seinen Vorschlag, die Ernährungssicherung und den Klimaschutz als Staatsziele ins Grundgesetz aufzunehmen. Daraus ergebe sich, „alles politisch Notwendige zu tun, um zum einen die Selbstversorgung in der EU langfristig sicherzustellen und gegebenenfalls Ausfälle in anderen Regionen auszugleichen”.
DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken sprach sich für eine Grundsatzdebatte über den Beitrag der Land- und Ernährungswirtschaft zur Versorgungssicherheit aus. „Versorgungssicherheit wird Teil einer strategischen europäischen Zukunftsaufgabe”, so Bernhard Krüsken in einem Beitrag für die Deutsche Bauern Korrespondenz (dbk).
Gunststandort Europa
Nach Einschätzung von DBV-Präsident Rukwied werden die Einschränkungen beim Getreideexport aus Russland und der Ukraine zu massiven Engpässen in Nordafrika und Arabien führen. „Wir müssen jetzt alles daransetzen, dass andere Regionen, insbesondere auch die EU, hier einspringen”, mahnte Rukwied. Die Landwirtschaft habe am Gunststandort Europa das Potenzial dazu. Allerdings müsse die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen setzen. Als Unsicherheitsfaktor für die heimischen Bauern erweise sich derzeit die Verfügbarkeit von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.
Umweltverbände warnen vor Kurswechsel
Unterdessen warnten die großen Umweltverbände in Deutschland vor Abstrichen am eingeleiteten Transformationskurs in der Agrarpolitik. In einem Schreiben an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir erteilten sie einer Aufweichung des europäischen Green Deal ebenso eine Absage wie einer Rücknahme der Ziele der Farm-to-Fork-Strategie. Mit Nachdruck fordern die Umweltverbände in dem Brief  eine Reduzierung der Nutztierhaltung in Deutschland und Europa. Etwa60 Prozent der deutschen Getreideproduktion dienten der Herstellung von Futtermitteln, führen sie zur Begründung an.
Kritisch zur derzeitigen Diskussion über eine Kurskorrektur äußerte sich die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Es sei „unanständig, die Zeit zurückdrehen und eine Abkehr vom notwendigen Umbau der Tierhaltung oder dem Green Deal der Europäischen Union zu fordern”, erklärte die AbL-Bundesvorsitzende Elisabeth Fresen.  Der Weg aus dieser Krise führe nur über Klima-, Tier- und Umweltschutz sowie den Erhalt bäuerlicher Landwirtschaft.
Eine Überprüfung der nationalen und europäischen Agrarpolitik im Lichte des Ukraine-Krieges forderte der CDU-Bundesvorstand. Dies gelte insbesondere für die geplanten Flächen- und Produktionsstilllegungen, heißt es in der beschlossenen „Saarländischen Erklärung”.
Europa müsse die Ernährung aus eigener Kraft und zu bezahlbaren Preisen sichern und auch seine Verantwortung mit Blick auf die Welternährung wahrnehmen, so der Bundesvorstand.  „Die Bundesregierung muss eine nachhaltige und ertragsstarke deutsche und europäische Landwirtschaft sicherstellen – im Ackerbau wie in der Tierhaltung”, mahnen die Christdemokraten. Darauf müssten die Instrumente der europäischen und nationalen Agrarpolitik neu überprüft werden.
Krisenfestigkeit verbessern
Eine grundsätzliche Neubewertung der Agrarpolitik im Lichte des Ukraine-Krieges fordern die Länderagrarministerinnen und -minister von CDU und CSU. „In der Krise darf es keine Denkverbote geben”, heißt es in der „Burg Warberger Erklärung”, die die Ressortchefs Barbara Otte-Kinast, Ursula Heinen-Esser, Michaela Kaniber, Peter Hauk und Sven Schulze am 10. März verabschiedet haben. Sie richtet sich an den Bund, die Europäische Union und die Wirtschaft. Auf nationaler wie auf europäischer Ebene sei die Agrarpolitik gefordert, langfristig ihren Beitrag dazu zu leisten, die Krisenfestigkeit der Land- und Ernährungswirtschaft zu verbessern.  Die EU wird in der Erklärung aufgefordert, Spielräume für eine kurzfristige Steigerung der Erzeugung von Agrarprodukten auszuloten. Unter anderem müsse den Mitgliedstaaten eine vorübergehende Aussetzung von Verpflichtungen zur Flächenstilllegung ermöglicht werden. Bei drohenden globalen Nahrungsmittelengpässen müsse bei der Verwendung von Agrarprodukten die Priorität klar bei Lebensmitteln liegen und weniger in der Erzeugung von Biokraftstoffen. Den Bund sehen die Unionspolitiker in der Pflicht, seine umweltpolitischen Handlungsspielräume im Interesse einer kurzfristigen Abmilderung der Krisenfolgen zu nutzen.
Die FDP fordert als Reaktion auf den Ukraine-Krieg eine agrarpolitische Kursänderung. „Die Ernährungssicherung muss neben dem Biodiversitätsschutz und der Stärkung des ländlichen Raumes ein fester Bestandteil der EU-Agrarpolitik werden”, heißt es in einem Positionspapier, das die Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft der FDP-Bundestagsfraktion vergangene Woche veröffentlicht hat. Darin wenden sich die Liberalen gegen Maßnahmen zur Extensivierung der Produktion, wie sie in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2023 vorgesehen sind.
Scharfe Kritik an der Bundesregierung kam von der AfD. Laut deren agrarpolitischem Sprecher Stephan Protschka stellt die Regierung „ihre eigene Ideologie über die Ernährungssicherheit”. Protschka sieht die Bundesregierung in der derzeitigen Ausnahmesituation in der Pflicht, mit verantwortungsbewusster Politik möglichst hohe Erträge in Deutschland sicherzustellen und einen Teil zur globalen Ernährungssicherheit beizutragen.