Aufgrund der Bedeutung der Ukraine und Russlands für die Weltversorung vor allem mit Getreide geht die Diskussion um die Ausrichtung der Landwirtschaft in Deutschland und Europa in Verbänden und Parteien unvermindert weiter.
Plötzlich wurde vieles anders: Das Thema Ernährungssicherung hat wegen des Ukraine-Krieges als Aufgabe der Landwirtschaft enorm an Bedeutung gewonnen. Die Diskussionen um die Grundausrichtung der Agrarpolitik laufen auf vollen Touren.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) steht zur Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft, wie sie die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) skizziert hat. Gleichzeitig erwartet der Verband, dass die Folgen des Ukraine-Krieges für die Agrarmärkte und die weltweite Ernährungssicherheit bei der Gestaltung der europäischen und nationalen Agrarpolitik berücksichtigt werden. „Der eingeschlagene Weg ist richtig”, bekräftigte DBV-Präsident Joachim Rukwied vergangene Woche im Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Darin erneuerte Rukwied seinen Vorschlag, die Ernährungssicherung und den Klimaschutz als Staatsziele ins Grundgesetz aufzunehmen. Daraus ergebe sich, „alles politisch Notwendige zu tun, um zum einen die Selbstversorgung in der EU langfristig sicherzustellen und gegebenenfalls Ausfälle in anderen Regionen auszugleichen”.
DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken sprach sich für eine Grundsatzdebatte über den Beitrag der Land- und Ernährungswirtschaft zur Versorgungssicherheit aus. „Versorgungssicherheit wird Teil einer strategischen europäischen Zukunftsaufgabe”, so Bernhard Krüsken in einem Beitrag für die Deutsche Bauern Korrespondenz (dbk).
Gunststandort Europa
Nach Einschätzung von DBV-Präsident Rukwied
werden die Einschränkungen beim Getreideexport aus Russland und der
Ukraine zu massiven Engpässen in Nordafrika und Arabien führen. „Wir
müssen jetzt alles daransetzen, dass andere Regionen, insbesondere auch
die EU, hier einspringen”, mahnte Rukwied. Die Landwirtschaft habe am
Gunststandort Europa das Potenzial dazu. Allerdings müsse die Politik
die notwendigen Rahmenbedingungen setzen. Als Unsicherheitsfaktor für
die heimischen Bauern erweise sich derzeit die Verfügbarkeit von Dünge-
und Pflanzenschutzmitteln.
Umweltverbände warnen vor Kurswechsel
Unterdessen warnten die großen Umweltverbände in
Deutschland vor Abstrichen am eingeleiteten Transformationskurs in der
Agrarpolitik. In einem Schreiben an Bundeslandwirtschaftsminister Cem
Özdemir erteilten sie einer Aufweichung des europäischen Green Deal
ebenso eine Absage wie einer Rücknahme der Ziele der
Farm-to-Fork-Strategie. Mit Nachdruck fordern die Umweltverbände in dem
Brief eine Reduzierung der Nutztierhaltung in Deutschland und Europa.
Etwa60 Prozent der deutschen Getreideproduktion dienten der Herstellung
von Futtermitteln, führen sie zur Begründung an.
Kritisch zur derzeitigen Diskussion über eine Kurskorrektur äußerte sich
die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Es sei
„unanständig, die Zeit zurückdrehen und eine Abkehr vom notwendigen
Umbau der Tierhaltung oder dem Green Deal der Europäischen Union zu
fordern”, erklärte die AbL-Bundesvorsitzende Elisabeth Fresen. Der Weg
aus dieser Krise führe nur über Klima-, Tier- und Umweltschutz sowie den
Erhalt bäuerlicher Landwirtschaft.
Eine Überprüfung der nationalen und europäischen Agrarpolitik im Lichte
des Ukraine-Krieges forderte der CDU-Bundesvorstand. Dies gelte
insbesondere für die geplanten Flächen- und Produktionsstilllegungen,
heißt es in der beschlossenen „Saarländischen Erklärung”.
Europa müsse die Ernährung aus eigener Kraft und zu bezahlbaren Preisen
sichern und auch seine Verantwortung mit Blick auf die Welternährung
wahrnehmen, so der Bundesvorstand. „Die Bundesregierung muss eine
nachhaltige und ertragsstarke deutsche und europäische Landwirtschaft
sicherstellen – im Ackerbau wie in der Tierhaltung”, mahnen die
Christdemokraten. Darauf müssten die Instrumente der europäischen und
nationalen Agrarpolitik neu überprüft werden.
Krisenfestigkeit verbessern
Eine grundsätzliche Neubewertung der Agrarpolitik im Lichte
des Ukraine-Krieges fordern die Länderagrarministerinnen und -minister von CDU und CSU. „In der Krise darf es keine Denkverbote
geben”, heißt es in der „Burg Warberger Erklärung”, die die Ressortchefs
Barbara Otte-Kinast, Ursula Heinen-Esser, Michaela Kaniber, Peter Hauk
und Sven Schulze am 10. März verabschiedet haben. Sie richtet sich an
den Bund, die Europäische Union und die Wirtschaft. Auf nationaler wie
auf europäischer Ebene sei die Agrarpolitik gefordert, langfristig ihren
Beitrag dazu zu leisten, die Krisenfestigkeit der Land- und
Ernährungswirtschaft zu verbessern. Die EU wird in der Erklärung
aufgefordert, Spielräume für eine kurzfristige Steigerung der Erzeugung
von Agrarprodukten auszuloten. Unter anderem müsse den Mitgliedstaaten
eine vorübergehende Aussetzung von Verpflichtungen zur
Flächenstilllegung ermöglicht werden. Bei drohenden globalen
Nahrungsmittelengpässen müsse bei der Verwendung von Agrarprodukten die
Priorität klar bei Lebensmitteln liegen und weniger in der Erzeugung von
Biokraftstoffen. Den Bund sehen die Unionspolitiker in der Pflicht,
seine umweltpolitischen Handlungsspielräume im Interesse einer
kurzfristigen Abmilderung der Krisenfolgen zu nutzen.
Die FDP fordert als Reaktion auf den Ukraine-Krieg eine agrarpolitische
Kursänderung. „Die Ernährungssicherung muss neben dem
Biodiversitätsschutz und der Stärkung des ländlichen Raumes ein fester
Bestandteil der EU-Agrarpolitik werden”, heißt es in einem
Positionspapier, das die Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft der
FDP-Bundestagsfraktion vergangene Woche veröffentlicht hat. Darin wenden
sich die Liberalen gegen Maßnahmen zur Extensivierung der Produktion,
wie sie in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2023 vorgesehen sind.
Scharfe Kritik an der Bundesregierung kam von der AfD. Laut deren
agrarpolitischem Sprecher Stephan Protschka stellt die Regierung „ihre
eigene Ideologie über die Ernährungssicherheit”. Protschka sieht die
Bundesregierung in der derzeitigen Ausnahmesituation in der Pflicht, mit
verantwortungsbewusster Politik möglichst hohe Erträge in Deutschland
sicherzustellen und einen Teil zur globalen Ernährungssicherheit
beizutragen.