Der Opa und sein Enkel erinnern sich
Die Passagen mit Erinnerungen und Gedanken des Enkels wechseln sich mit der in der Ich-Form aufgezeichneten Lebensbeschreibung des Opas ab. So entsteht eine eine Doppelbiographie und damit gleichzeitig ein fesselndes Portrait von zwei Generationen.
Am gleichen Ort, aber unter ganz anderen Umständen sind sie aufgewachsen: Kleinbäuerlicher Herkunft der Opa, als Kind hatte er noch einen Nachthafen im Zimmer, einfach ging es zu in dem Dorf mit seinen 16 Häusern. Der Enkel hat die 1990er-Jahre seiner Kindheit als „erste Sahne” im Kopf. Die bedrohliche Welt der 1980er-Jahre war vorbei: Der kalte Krieg war beendet, AIDS besiegt und Tschernobyl unter einer Betonglocke begraben. Gleichzeitig war die wirtschaftlich düstere Zeit nach 2000 noch nicht abzusehen.
Während der Opa als kleiner Junge vor der Entscheidung stand, sich dem Jungvolk anzuschließen oder nicht und als 17-Jähriger den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges miterleben musste, erlebte sein Enkel eine unbeschwerte Kindheit und Jugend. Andere Zeiten, andere Generationen.
Josef Mutter wurde dann Soldat im „gottverreckten Krieg” – so nennt er ihn – und kam später in amerikanische Gefangenschaft. Er übernahm den Hof und gründete als Zuerwerb ein Holzhandelsgeschäft. Auch mit Langholztransporten verdiente er Geld. Mehr als einmal kam es dabei zu gefährlichen Situationen. Er heiratete, der Ehe enstammten neun Kinder, dazu kamen fast 40 Enkel und Urenkel. In den Sechzigerjahren wurde der Hof ausgesiedelt. Später wurde er in einen Reiterhof umgewandelt und seine Tochter übernahm den Betrieb. Noch bis 1997 fuhr Mutter selbst Langholz, bis 2005 handelte er mit Papierholz. „Ohne Arbeit wurde ich unruhig. Die Arbeit hat mich fit gehalten, im Kopf und in den Beinen”, resümiert der Senior im Buch.
Es ist ein gleichermaßen präzises wie liebevolles Portrait, das der Autor von seinem Opa zeichnet. Den mochte er schon von klein auf, weil er ihn als lässig erlebte, als geistig beweglich und offen bis ins hohe Alter. Und weil der Opa Haltung und Familiensinn in sich vereinte.
Kein Wunder, dass Valentin Moritz die Idee des Opas aufgriff: An seinem 90. Geburtstag sagte er zum Enkel, es gebe da schon ein paar so verrückte Geschichten, die man aufschreiben müsste. Und der Enkel, der kenne sich doch mit so etwas aus. Da hatte er recht – der Enkel, der längst in Berlin lebte, hatte Literaturwissenschaft studiert und danach als Literaturagent gearbeitet.
Moritz sucht einen kleinen Verlag aus der Region für sein Projekt. Im Kontakt mit dem Badischen Landwirtschafts-Verlag entsteht die Idee, den Lebensbericht des Opas aus der Enkel-Perspektive zu ergänzen. Aus den zehn, fünfzehn am Anfang geplanten Seiten werden am Schluss über 100. „Plötzlich hat alles gepasst. Das Buch ist ein ganz anderes als zuvor, jetzt ist es auch mein Buch”, ist Moritz zufrieden.
Es ist ein Glücksfall, dass die Biographie eines bäuerlichen Lebens in der Region in einer solchen literarischen Qualität entstehen konnte. Wir dürfen annehmen, dass Josef Mutter das Buch über sein Leben in der erweiterten Version gefallen hätte. Schließlich mochte er es, wenn die Dinge aus verschiedenen Perspektiven heraus betrachtet wurden. Und wir dürfen annehmen, dass es ihm gefallen hätte, dass dieses Buch nun beim Landwirtschafts-Verlag erscheint. Schließlich ist er ja BBZ-Leser gewesen.