Land und Leute | 04. Juni 2020

Der Opa und sein Enkel erinnern sich

Von René Bossert
Der Berliner Schriftsteller Valentin Moritz hat eine Biographie seines Opas Josef Mutter verfasst. Der war Landwirt in Schwörstadt-Niederdossenbach. Das Buch mit dem Titel „Kein Held” ist jetzt im Badischen Landwirtschafts-Verlag erschienen. Was ist das Besondere daran?
"Kein Held" ist viel mehr als die Biographie  von Josef Mutter. Sein Enkel  zeichnet in seinem  Buch nicht  nur das Leben seines Opas nach, sondern erinnert sich beim Schreiben auch an sein eigenes Leben und  das  Verhältnis zu seiner Familie und seiner Heimat. Er war zwar auch wie sein Opa in Niederdossenbach aufgewachsen, war aber zum Studieren nach Berlin gegangen und hatte dann wenig Kontakt zu seiner südbadischen Heimat.
Die Passagen mit Erinnerungen und Gedanken des Enkels wechseln sich  mit der in der Ich-Form aufgezeichneten Lebensbeschreibung des Opas ab. So entsteht  eine eine Doppelbiographie und  damit gleichzeitig  ein fesselndes Portrait von zwei Generationen. 
Beide wuchsen in Niederdossenbach auf
1922 ist der Opa geboren, 1987 sein Enkel. Beide in Niederdossenbach, wo sie auch aufgewachsen sind.  Das Dorf gehört inzwischen zur Gemeinde Schwörstadt und liegt im Landkreis Lörrach ganz nah am Rhein.
 Am gleichen Ort, aber unter ganz anderen Umständen  sind sie aufgewachsen: Kleinbäuerlicher Herkunft der Opa, als Kind hatte er noch einen Nachthafen im Zimmer, einfach ging es zu in dem Dorf mit seinen 16 Häusern.  Der Enkel hat die 1990er-Jahre seiner Kindheit als „erste Sahne” im Kopf.  Die bedrohliche Welt der 1980er-Jahre war vorbei: Der kalte Krieg war beendet, AIDS besiegt und Tschernobyl unter einer Betonglocke begraben. Gleichzeitig war die wirtschaftlich düstere Zeit nach 2000 noch nicht abzusehen.
Während der Opa als kleiner Junge vor der Entscheidung stand, sich dem Jungvolk anzuschließen oder nicht und als 17-Jähriger den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges miterleben musste, erlebte sein Enkel eine unbeschwerte Kindheit und Jugend.   Andere Zeiten, andere Generationen.
Josef Mutter wurde dann Soldat im „gottverreckten Krieg” – so nennt er ihn – und kam später in amerikanische Gefangenschaft. Er  übernahm den Hof und gründete als Zuerwerb ein Holzhandelsgeschäft. Auch mit Langholztransporten verdiente er Geld. Mehr als einmal kam es dabei zu gefährlichen Situationen. Er heiratete, der Ehe enstammten neun Kinder, dazu kamen   fast 40 Enkel und Urenkel.   In den Sechzigerjahren wurde  der Hof ausgesiedelt. Später wurde er in einen Reiterhof umgewandelt und seine Tochter übernahm den Betrieb. Noch bis 1997 fuhr Mutter  selbst Langholz, bis 2005 handelte er  mit Papierholz. „Ohne Arbeit wurde ich unruhig. Die Arbeit hat mich fit gehalten, im Kopf und in den Beinen”, resümiert der Senior im Buch.
 Es ist ein gleichermaßen präzises wie liebevolles Portrait, das der Autor  von seinem Opa zeichnet. Den mochte er schon von klein auf, weil er ihn als lässig erlebte, als geistig beweglich und offen bis ins hohe Alter. Und  weil der Opa Haltung und Familiensinn in sich vereinte.
 Kein Wunder, dass  Valentin Moritz die Idee des Opas aufgriff: An seinem 90. Geburtstag sagte er zum Enkel, es gebe da schon ein paar so verrückte Geschichten, die man aufschreiben müsste.   Und der Enkel, der kenne sich doch mit so etwas aus.  Da hatte er recht – der Enkel, der längst in Berlin lebte, hatte Literaturwissenschaft studiert und danach als Literaturagent gearbeitet.
2012 setzten sie sich das erste Mal zusammen
Also setzten sie sich zusammen, der über 90-Jährige und sein Nachfahre. Ab 2012 erzählte der eine und der andere hörte zu und sichtete die Notizen. Mehrmals unterhielten sie sich ausführlich und Moritz zeichnete die Gespräche auf. 2016 starb Mutter im Alter von 93 Jahren.    Ursprünglich war der Text nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und bestand nur aus dem Lebensbericht des Opas. Als er ihn ausdruckt, mit Fotos ergänzt und der großen Verwandtschaft vorstellt, kommt das Produkt gut an. Weshalb dann  nicht doch an die Öffentlichkeit gehen damit?
Moritz sucht einen kleinen Verlag aus der Region für sein Projekt. Im Kontakt mit dem Badischen Landwirtschafts-Verlag entsteht die Idee, den Lebensbericht des Opas aus der Enkel-Perspektive zu ergänzen. Aus den zehn, fünfzehn am Anfang geplanten Seiten werden am Schluss über 100. „Plötzlich hat alles gepasst. Das Buch ist ein ganz anderes als zuvor, jetzt ist es auch mein Buch”, ist  Moritz zufrieden.
Es ist ein Glücksfall, dass die  Biographie eines bäuerlichen Lebens in der Region in einer solchen literarischen Qualität entstehen konnte. Wir dürfen annehmen, dass  Josef Mutter das Buch über sein Leben in der erweiterten Version   gefallen hätte. Schließlich mochte er es, wenn die Dinge aus verschiedenen Perspektiven heraus betrachtet wurden. Und wir dürfen annehmen, dass es ihm  gefallen hätte, dass  dieses Buch nun beim Landwirtschafts-Verlag erscheint. Schließlich ist er  ja BBZ-Leser gewesen.  
Bezug
„Kein Held – Erinnerungen”, Valentin Moritz, 224 Seiten, Hardcover, 18 Euro, ISBN 978-3-9818089-8-8. Das Buch erhalten Sie (im Juni ohne Versandkosten) direkt beim Badischen Landwirtschafts-Verlag  unter Tel. 0761/27133-445, Carolin Karl, verlag@blv-freiburg.de oder im Buchhandel.