Tierhaltung | 20. Februar 2020

Dem Grobfutter mehr zutrauen

Von Elisabeth Gerster, Dr. Thomas Jilg, LAZBW Aulendorf Prof Dr. Hubert Spiekers, LfL Tierernährung, Grub
Wie sieht die optimale Intensität des Kraftfuttereinsatzes beim Milchvieh aus? Dies war eine der zentralen Fragen des Projekts „optiKuh”, an dem sechs Forschungseinrichtungen beteiligt waren. Auch das LAZBW Aulendorf hat hierzu einen zweijährigen Versuch gemacht.
Wie sich unterschiedlich hohe Kraftfuttergaben in einer TMR mit hoher Grobfutterqualität auf die Milchleistung auswirken, wurde am LAZBW Aulendorf untersucht.
Die Versuchsfrage lautete: Wie reagieren die Futteraufnahme,  die Milchleistung und  die Gesundheit der hochleistenden Fleckviehkühe des LAZBW Aulendorf (Ø 9300 kg ECM je Kuh und  Jahr) auf eine Reduktion des Kraftfuttereinsatzes bei Fütterung einer Totalen Mischration (TMR) mit hoher Grobfutterqualität? Um diese Frage beantworten zu können, wurden 48 Kühe über 24 Monate in zwei Gruppen mit je  24 Tieren eingeteilt (Gruppe 250 und 150). In beiden Gruppen betrug die Energiedichte des Grobfutters 6,6 MJ NEL je Kilo Trockenmasse (TM). Es setzte sich im Schnitt  aus 44 % Grassilage, 46 % Maissilage und 10 % Heu/Stroh zusammen. Diese Mischung war die Grundlage der TMR.
 Bezogen auf die Trockenmasse erhielt die Gruppe 250  bis zum 165. Laktationstag eine TMR mit einem  Kraftfutteranteil von 35 % und danach von 22 %. Diese beiden Rationen führten im Schnitt zur Versorgung  mit 250 g Kraftfutter pro Kilogramm Energiekorrigierte Milch (ECM). Die Gruppe 150 bekam bis zum 165. Laktationstag eine TMR mit einem Kraftfutteranteil von 22 % und danach von 14 %. Diese beiden  Rationen führten im Schnitt zur Versorgung mit 150 g Kraftfutter pro kg ECM.  Das Kraftfutter setzte sich zusammen aus  einer hofeigenen Mischung (Winterweizen, Wintergerste, Ackerbohnen) und  Rapsextraktionsschrot. In der Trockenstehphase erhielten   beide Gruppen das gleiche Futter. In der ersten Phase  wurde eine  Mischung aus 20 % Grassilage, 47 % Maissilage und 33 % Stroh in der TM vorgelegt. In der zweiwöchigen Vorbereitungsfütterung folgte eine  TMR mit einem Kraftfutteranteil von 14 % in der TM.
Die Kühe beider Gruppen wurden mit Ausnahme der Trockensteher in einer Gruppe gehalten, hatten aber nur zu definierten Futtertrögen Zugang. Es galt also in der Laktation das   Prinzip „gemeinsame Haltung, getrennt fressen”. In der Laktation wurden täglich die Trockenmasseaufnahme, die Milchmenge und  die Lebendmasse tierindividuell gemessen. Die Milchinhaltsstoffe Fett und Eiweiß wurden wöchentlich, der BCS monatlich erfasst. Auch in der Trockenstehphase wurden die Futteraufnahme, der BCS und  die Lebendmasse gemessen. Der Energiesaldo wurde aus der Energieaufnahme abzüglich des Energiebedarfs für Erhaltung, Milchbildung und eventuell Trächtigkeit oder Wachstum berechnet. Die Berechnung der Grobfutterleistung erfolgte durch das Abziehen des Milcherzeugungswerts des Kraftfutters von der ECM. An den Laktationstagen 8, 28 und 100 sowie zum Trockenstellen und 14 Tage vor der Kalbung wurden bei allen Kühen Stoffwechselmerkmale im Blut bestimmt.
Die Ergebnisse
In der zweiten Laktationshälfte kann ein Kilo Kraftfutter durchaus ein Kilo Grobfutter verdrängen.
Gruppenunterschiede wurden in der Laktation bei der täglichen Energieaufnahme sowie der Aufnahme von Grobfutter- und Kraftfutter-Trockenmasse festgestellt. Die Gruppe 250 nahm 148 MJ NEL, 6,1 kg  Kraftfutter und 15,5 kg  Grobfutter auf. Die entsprechenden  Werte für die Gruppe 150 lauteten 140 MJ NEL, 3,8 kg Kraftfutter und 17,3 kg  Grobfutter. Die Gruppe 250 nahm also signifikant mehr Energie und  Kraftfutter auf als die Gruppe 150, aber signifikant weniger Grobfutter. Einen signifikanten Unterschied in der Gesamtfutteraufnahme gab es nicht. Die Futteraufnahme lag in beiden Gruppen auf hohem Niveau.
Die Grobfutterverdrängung sagt aus, wie stark die Grobfutteraufnahme mit zunehmender Kraftfutteraufnahme zurückgeht. Die Verdrängung war deutlich und betrug im Gruppenvergleich durchschnittlich 0,8 kg TM Grobfutter pro zusätzlichem kg TM Kraftfutter. Bis zum 165. Laktationstag war die Verdrängung mit im Schnitt  0,6 kg TM Grobfutter pro zusätzlichem kg TM Kraftfutter geringer als in der zweiten Laktationshälfte (1,0 kg TM Grobfutter pro zusätzlichem kg TM Kraftfutter). Eine Ursache für die steigende Grobfutterverdrängung im Laktationsverlauf war die zunehmend den Bedarf deckende bzw. diesen  übersteigende Energieaufnahme /siehe Grafik).
Gruppe 250 erreichte einen ausgeglichenen Energiesaldo bereits am 37. Laktationstag. Der negative Energiesaldo in Gruppe 150 bis zum 72. Laktationstag kann als unbedenklich eingestuft werden. Das untermauerten die gemessenen Stoffwechselmerkmale im Blut. Folglich wechselte die Gruppe 250 nach der Kalbung früher von einer die Körperreserven aufbrauchenden Stoffwechsellage in eine die Körperreserven aufbauende Stoffwechsellage. Auch das wurde durch die Analyseergebnisse der Blutproben bestätigt. Statt die höhere Energieaufnahme in eine höhere Milchleistung zu investieren, legte Gruppe 250 rasch Körperreserven an. Dies unterstreicht, dass mehr Kraftfutter vor allem  bei altmelkenden Kühen weder die Futteraufnahme noch die Milchleistung erhöht, sondern  „auf die Hüften” geht.
Wegen der niedrigeren Grobfutteraufnahme erreichte Gruppe 250 im Schnitt  täglich eine um 6,1 kg ECM geringere Grobfutterleistung pro Kuh (14,1 kg statt 20,2 kg). Die Tiere in Gruppe 250 erzeugten 51 % der ECM aus dem Grobfutter, die Tiere in Gruppe 150 dagegen 73 %. Weder der Fett- noch der Eiweißgehalt  der Milch waren unterschiedlich. Ein höherer Kraftfuttereinsatz kostet folglich Grobfutterleistung.
In der Trockenstehphase nahm Gruppe 150 bei gleicher Fütterung durchschnittlich signifikant mehr Futter und folglich  mehr Energie auf als die Gruppe 250. Dadurch gelang es der Gruppe 150, den negativen Energiesaldo, der zu Laktationsbeginn bestanden hatte, vollständig auszugleichen. Zudem gelang ihr die Anpassung an die faserreiche Trockensteher-Ration schneller und besser.
In der Tabelle sind die Jahresleistung, der jährliche Kraftfutterverbrauch sowie die jährlichen Einträge an Stickstoff und Phosphor aus Kraftfutter in den Milchviehbetrieb beschrieben, die sich im zweijährigen Versuchszeitraum pro Kuh ergaben. Der Kraftfutterverbrauch der Gruppe 150 betrug 58 % des Kraftfutterverbrauchs der Gruppe 250 bzw. circa 1 Tonne weniger pro Kuh. Dadurch wurden über den Kraftfutterzukauf circa 23 % weniger Stickstoff und Phosphor in den Betrieb gebracht. Gleichzeitig waren die Mengen an Stickstoff und Phosphor, die über die Milch an die Molkerei abgeführt wurden, in beiden Gruppen gleich hoch. Durch eine grobfutterbetonte Milchproduktion kann also der betriebliche Stickstoff- bzw. Phosphorsaldo in der Stoffstrombilanz erheblich entlastet werden.
 
Die Schlussfolgerungen
Die Grobfutterverdrängung durch einen höheren Kraftfuttereinsatz in der TMR ist vor allem in der zweiten Laktationshälfte nicht zu unterschätzen. Wenn hoch verdauliches Grobfutter zur Verfügung steht, kann in dieser Phase 1 kg mehr Kraftfutter in der TMR bedeuten, dass 1 kg weniger Grobfutter aufgenommen wird. Unterm Strich wird nicht mehr TMR gefressen.
Trauen Sie Ihrem Grobfutter mehr zu, wenn die Qualität stimmt. Dadurch können Sie die Grobfutterleistung Ihrer Fleckviehherden weiter steigern, Kosten sparen und den Nährstoffkreislauf entlasten.
Die geringfügig höhere Futteraufnahme während  der Laktation durch den  höheren Kraftfuttereinsatz führt nicht zwangsläufig zu einer höheren Milchleistung. Denn der höhere Kraftfuttereinsatz in Kombination mit hoch verdaulichem Grobfutter fördert den Körperansatz.
Fleckviehkühe haben ein enormes Grobfutteraufnahmepotenzial. Nutzen Sie dieses!