Land und Leute | 02. April 2014

Ordnung schaffen – auch beim Nachlass

Von Karin Vorländer
Man muss kein „Messie” sein, dass die „Zuvielitis” um sich greift. Schleichend füllen sich im Laufe der Jahre Schränke, Regale, Keller, Garage und Speicher mit Dingen, die vielleicht einmal nötig, schön und wichtig waren, die aber jetzt „eigentlich” nicht mehr gebraucht werden. Wie lässt sich das ordnen?
Der eigene Geschmack oder die Mode haben sich geändert, man hat sich von Schnäppchenpreisen zu Fehlkäufen verleiten lassen, die Kinder sind ausgezogen, haben aber vieles „erst mal” zu Hause dauergeparkt. Die technische Entwicklung ist weitergegangen, man kann sich aber vom guten alten Tintenstrahldrucker, Disketten, Kassettenrekorder oder der Pocketkamera nicht trennen, obwohl längst die Nachfolgegeräte Einzug gehalten haben. „Und wer weiß”, so fragen vor allem Menschen, die die Mangelzeit der Kriegs- und Nachkriegsjahre erlebt haben, „ob man das nicht doch noch mal braucht.” Gerade in Häusern und Höfen, die schon seit Generationen in Familienbesitz sind, sammeln sich Altertümchen, Urkunden und Gegenstände, die womöglich zur Familiengeschichte gehören oder von zeitgeschichtlichem Wert sind. Wer anfängt zu sichten und zu sortieren, macht oft genug überraschende Funde: ein 70 Jahre alter Feldpostbrief, ein Gesangbuch von Tante Martha, eine Saftpresse mit Handbetrieb, der Nierentisch aus den 50er-Jahren, das Schlafzimmerbild mit dem guten Hirten, und und und. Was behalten, was weggeben? Was wo unterbringen? Wohin mit Geschenken, die zwar gut gemeint waren, aber durchaus nicht den eigenen Geschmack treffen?
Gudrun Martineau hat im Großraum Köln das Unternehmen Instructura gegründet und unterstützt entweder vor Ort, aber auch mit Tipps Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage sind oder keine Zeit und Lust haben, in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld Ordnung herzustellen und zu halten. Wer immer wieder lange nach Dingen und Dokumenten suchen muss, weiß, wie viel Nerven und Zeit das kostet. Und nicht selten auch Geld, wenn etwa verlegte Rechnungen oder Versicherungen nicht pünktlich bezahlt werden können, weil sie unter irgendeinem Stapel verschollen sind. Gelegentlich werden auch Haushaltsgegenstände, Geräte oder Kleidung doppelt gekauft, weil sie einfach nicht dort sind, wo ihr Besitzer oder ihre Besitzerin sie „eigentlich” vermutet. Oder man fühlt sich einfach nicht mehr wohl, weil bis unters Dach alles vollgestopft und zugestellt ist und der Überblick verlorengegangen ist.
In manchem Keller oder auch auf Dachböden finden sich zahlreiche Kisten, Kästen und andere Überraschungen. Ausmisten befreit.
Auf die Frage, woran man denn Ordnung erkennt, hat Martineau eine verblüffend einfache Antwort: „Wenn ich das finde, was ich gerade brauche. Wenn ich nicht erst aufräumen muss, um das zu beginnen, was ich mir gerade vorgenommen habe. Ordnung haben macht Spaß.” Und wie schafft man diese Ordnung? Laut Gudrun Martineau funktioniert das ganz einfach: „Jedes Ding braucht seinen festen Platz – und jedes Ding wird nach Gebrauch umgehend an diesen festen Platz zurückgelegt.” Innere und äußere Ordnung hängen doch irgendwie zusammen, diese Erfahrung haben etliche Kundinnen und Kunden ihr bereits bestätigt.
Den traditionellen Frühjahrsputz, den sie früher eher belächelt hat, hält sie inzwischen für gar keine schlechte Idee. Wenn da nicht bei vielen Menschen die Hürde wäre, überhaupt anzufangen! Wenn da nicht Erinnerungen und Emotionen wären, die mit so manchem „Stehrümmchen”, Souvenir oder Geschenk verbunden sind. Und wenn man nicht für manches viel Geld bezahlt hätte.
Kann-vielleicht-weg-Kiste
Gudrun Martineau kennt alle diese Loslass-Verhinderungs-Mechanismen. Wie sie damit umgeht? Ganz einfach. Sie stellt Fragen. Etwa: Was soll mit dieser Vase, der eine Ecke fehlt, werden? Gefällt Ihnen dieser Gegenstand (noch)? Passt dieses Kleidungsstück? Wo hat dieser Gegenstand seinen Platz? Wann haben Sie das zum letzten Mal benutzt?” Ihre Erfahrung zeigt, dass das „Loslassen in Begleitung gut funktioniert”. Besser als wenn etwa Angehörige mit unüberhörbarem Unterton vorschlagen, „das alte Ding” doch gefälligst zu entrümpeln. In jedem Fall sind ihre Fragen aber auch fürs Durchforsten in Eigenregie durchaus hilfreich.
Sich von Dingen zu verabschieden, muss nicht heißen, dass alles umstandslos in die Tonne wandert. Gibt es jemanden in der Großfamilie, der sich über diesen Gegenstand freuen würde, den ich selbst nicht aufheben würde? Woran hat vielleicht ein Stadtarchivar oder ein Museum Interesse? Wer sich unsicher ist, ob er sich wirklich von Dingen verabschieden will, kann sie zur Probe für ein halbes Jahr in die „Kann-vielleicht-weg-Kiste” legen. Wenn sich zeigt, dass sechs Monate lang kein Bedarf bestand, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass es auch ohne geht.
Warum nicht eine „Bitte-bedient-euch-Kiste” mit gut erhaltenem Ausrangiertem zur Selbstbedienung für Gäste oder Mitbewohner in den Flur stellen? Sozialkaufhäuser, Wohlfahrtsverbände, Kleiderkammern und Basare nehmen gut erhaltene Kleidung, Möbel und Gebrauchsgegenstände an. Womöglich lohnt sogar ein eigener Flohmarktstand oder der Verkauf von Mobiliar, Alltagsgegenständen und Büchern, in einem Internetportal? Was kann in einen „Jahreszeitenkarton” und wird für den Rest des Jahres weggeräumt?
„Ein Totenhemd hat keine Taschen”, auf diese einfache Wahrheit bringt der Volksmund die Tatsache, dass „niemand etwas mitnehmen kann”. Wer davor die Augen nicht verschließt, ordnet seinen Nachlass rechtzeitig zu Lebzeiten. Auch dabei bietet Gudrun Martineau Hilfe an und hat die Broschüre „Nachlass ordnen – entspannt das Leben genießen” verfasst. Urkunden und Verträge, Versicherungen und Verbindlichkeiten, Testament, Fahrzeugpapiere, Konten, Pins, Passwörter und Vollmachten, alles sollte so gesichtet und geordnet werden, dass sich Angehörige gut zurechtfinden können. Den Nachlass ordnen bedeutet keineswegs, mit dem Leben abgeschlossen zu haben. „Wer nicht nachlässig mit dem Nachlass umgeht, kann das Leben entspannter genießen. Denn Ordnung ist kein Selbstzweck. Sie dient dem Leben”, sagt Martineau.