Politik | 16. November 2023

Cem Özdemir sieht sich auf gutem Kurs

Von AgE
Eine Bestätigung für sein politisches Programm sieht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im „Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung 2023”. Unionsagrarsprecher Albert Stegemann kritisierte den Agrarbericht hingegen als „einseitig und lückenhaft”.
Laut dem Bundeslandwirtschaftsminister ist die Landwirtschaft für Deutschland „systemrelevant”.
Die Klimakrise, die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und ein sich änderndes Konsumverhalten zeigten den Bedarf für eine Transformation der Landwirtschaft auf, sagte Özdemir  am 8.November in Berlin. Die hohe Zahl an Hofaufgaben während des letzten Jahrzehnts verdeutliche zudem den wirtschaftlichen Druck, dem sich viele Bäuerinnen und Bauern ausgesetzt sähen.  Der Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl und das Ziel von 30 Prozent Bio bis 2030 schaffen laut Özdemir „Planungssicherheit für die Betriebe und sichern eine zukunftsfähige und krisenfeste Landwirtschaft”. Kritik kam aus der Opposition: Der agrarpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Albert Stegemann, sieht in dem Agrarbericht wirtschaftliche Aspekte zu wenig berücksichtigt.
Verweis auf bisherige Maßnahmen
Laut Özdemir muss die Politik dem sinkenden Fleischkonsum und den gestiegenen Ansprüchen an das Tierwohl gerecht werden.  Die Bundesregierung habe daher eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung für frisches Schweinefleisch beschlossen und eine Herkunftskennzeichnung auf nationaler Ebene so weit wie möglich geregelt. Zudem sei eine „Anschubfinanzierung” für Investitionen und laufende Kosten für mehr Tierwohl in Höhe von einer Milliarde Euro auf den Weg gebracht worden. Mit der Eiweißpflanzenstrategie werde ferner eine „große Chance” für die heimische Landwirtschaft geschaffen und gleichzeitig dem wachsenden Bedürfnis vieler Bürgerinnen und Bürger nach einer pflanzenbetonten Ernährung Rechnung getragen.
Laut Özdemir ist die Landwirtschaft für Deutschland „systemrelevant”. Die fast eine Million Beschäftigten erwirtschafteten seinen Angaben zufolge im Jahr 2020 etwa 50 Milliarden Euro. Zuzüglich des vor- und nachgelagerten Bereiches liege die Bruttowertschöpfung sogar bei rund 218 Milliarden Euro. Mit rund 4,4 Millionen Beschäftigten im Lebensmittelbereich hänge zudem fast jeder zehnte Job in der Bundesrepublik am Ernährungssektor. „Unser Bericht zeigt die Leistung, die jeder Hof tagtäglich für uns erbringt”, sagte Özdemir.
Unionsagrarsprecher Stegemann kritisierte den Agrarbericht als „einseitig und lückenhaft”. Wirtschaftspolitischer Vorausblick sei in dem von Özdemir vorgelegten Bericht nicht zu erkennen. Innovationen, Investitionen und Zusagen, die heimische Agrarwirtschaft zu stärken, würden nur am Rande erwähnt. Stattdessen dominierten „ökologische Belange in allen Bereichen”. Nach Einschätzung des CDU-Politikers gleicht der Bericht daher mehr einem Dokument aus dem Umweltministerium als einem aus dem Landwirtschaftsministerium.
Der Strukturwandel hat sich verlangsamt
Der Agrarpolitische Bericht der Bundesregierung weist die Buchführungsergebnisse und die Einkommensentwicklung landwirtschaftlicher Betriebe seit 2010 bis einschließlich des Wirtschaftsjahres 2021/22 aus. Jüngere Zeiträume sind  noch nicht berücksichtigt.
Die Einkommen der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe hatten sich in der Saison 2021/22 außerordentlich positiv entwickelt. Wesentlicher Grund  waren  die stark gestiegenen Agrarpreise als Folge des Ukraine-Krieges. Die höheren Erlöse für Rohmilch, Getreide, Körnermais und Rinder wirkten  sich positiv auf die Ertragslage aus. Die ebenfalls kräftigen Preissteigerungen für Futter- und Düngemittel wurden dabei überkompensiert.  Zudem waren die Betriebsmitteleinkäufe teils noch zu niedrigeren Preisen erfolgt.
Aus den  Zahlen wird  deutlich, dass die Einkommensentwicklung stark von der Betriebsgröße abhängig ist. Kleine Betriebe mit 50 bis 100Hektar  erwirtschafteten demnach 2020/21 einen durchschnittlichen Gewinn von rund 33500 Euro, mittlere  mit 100 bis 250 Hektar  knapp 60000 Euro und große  ab 250Hektar etwa 132000 Euro.  Mit steigender Betriebsgröße nimmt auch der Gewinn je Arbeitskraft zu. Dieser betrug einschließlich des Personalaufwandes bei kleinen Betrieben rund 27000Euro, bei mittleren etwa 38200 und bei großen  gut 55000 Euro.
Wie im Bericht zudem dargelegt wird, hat sich der Strukturwandel  im vergangenen Jahrzehnt verlangsamt. Demnach ging die Zahl der Betriebe zwischen 2010 und 2020 um jährlich durchschnittlich 1,1 Prozent zurück. Damit lag die Abnahmerate deutlich unter dem langjährigen Mittelwert von rund drei Prozent.
Nach den Ergebnissen der Landwirtschaftszählung gab es 2020 in Deutschland noch rund 262800 landwirtschaftliche Betriebe; das waren etwa 36100 weniger als zehn Jahre zuvor. Die Wachstumsschwelle liegt inzwischen bei rund 100 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF). In den Betriebsgrößenklassen bis zu dieser Marke hat die Zahl der Betriebe zum Teil erheblich abgenommen. Allerdings verfügen nach wie vor mehr als zwei Drittel der Betriebe über weniger als 50 Hektar LF. Die mittlere Flächenausstattung betrug 2020 rund 63 Hektar im Vergleich zu 56 Hektar im Jahr 2010. Laut Agrarbericht werden 87 Prozent der Betriebe als Einzelunternehmen geführt. Noch etwa 43 Prozent der rund 228300 Einzelunternehmen werden im Haupterwerb geführt. Der Anteil der Haupterwerbsbetriebe ist stetig zurückgegangen, und zwar um gut sechs Prozentpunkte im Vergleich zu 2010.
Weiterhin rückläufig ist auch die Zahl der Familienarbeitskräfte in der Landwirtschaft. Hingegen ist die Zahl der in der Landwirtschaft ständig beschäftigten Arbeitskräfte seit 2010 um rund ein Fünftel gestiegen. Laut der Landwirtschaftszählung lag der Anteil der Familienarbeitskräfte im Jahr 2020 bei 47Prozent. Zu den 436100 Familienarbeitskräften kamen rund 229300 ständig angestellte Arbeitskräfte und etwa 271500 Saisonarbeitskräfte. Der Arbeitskräftebesatz liegt zwischen 1,2 Arbeitskräfteeinheiten je 100 Hektar in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sowie 11,7 in Hamburg. 2020 arbeiteten im Schnitt 29 Prozent der Beschäftigten in Vollzeit.
Der hohe Anteil der Teilzeitbeschäftigung  resultiert dem Bundeslandwirtschaftsministerium zufolge vor allem aus der hohen Anzahl an befristet angestellten Saisonarbeitskräften und den Personen in den Nebenerwerbsbetrieben.