Politik | 27. September 2018

Bundesrat gegen längere Übergangsfrist

Von AgE
Der Bundesrat hat sich gegen eine Verlängerung der Übergangsfrist für die betäubungslose Ferkelkastration ausgesprochen.
Der von Niedersachsen initiierte Antrag für eine Fristverlängerung um bis zu zwei Jahre fand in der Sitzung der Länderkammer am 21. September keine Mehrheit. Ebenfalls erfolglos blieb ein kurzfristig von Brandenburg eingebrachter Kompromissvorschlag für eine Verlängerung um ein Jahr. Damit wird der Bundesrat keinen Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes in den Bundestag einbringen.
Das von vielen erhoffte Signal für eine Anpassung der geltenden Regelung ist ausgeblieben. Ob der Bundestag nunmehr selbst aktiv wird, wie dies aus den Reihen des Bauernverbandes, aber auch von einigen Länderministern gefordert wird, ist offen. Zwar kündigten Unionspolitiker eine Gesetzesinitiative an. Eine Unterstützung durch die SPD erscheint derzeit jedoch fraglich. Damit bliebe es beim 2013 beschlossenen Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration zum 1. Januar 2019. 
Verheerendes Echo
Die Entscheidung der Länderkammer löste in der gesamten Branche ein verheerendes Echo aus. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, warf den Ländern eine nicht nachvollziehbare Blockadehaltung vor. Es sei zu befürchten, dass viele Betriebe in Deutschland aufgeben müssten, erklärte Rukwied. Er appellierte an den Bundestag, schnellstmöglich eine Lösung zu suchen, die den hiesigen Ferkelerzeugern ein Bestehen im europäischen Wettbewerb ermögliche.
Bis zuletzt hatte es intensive Bemühungen gegeben, doch noch eine Mehrheit für den Niedersachsen-Antrag zu organisieren, dem auch Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen beigetreten waren. Neben den vier antragstellenden Ländern stimmten auch Brandenburg und Sachsen für die Fristverlängerung um zwei Jahre. Alle Länder mit Regierungsbeteiligung der Grünen enthielten sich, ebenso das schwarz-rot regierte Saarland. Für die erforderliche Bundesratsmehrheit von 35 Stimmen reichte es somit nicht.
Zuvor hatten die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast, ihr Schweriner Amtskollege Till Backhaus sowie der Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Hermann Onko Aeikens, im Plenum vor einem Strukturbruch in der hiesigen Ferkelerzeugung gewarnt, sollte es zu keiner Fristverlängerung kommen. Die beiden Landesminister reagierten hinterher tief enttäuscht.
Otte-Kinast sprach von einem harten Schlag für die Sauenhalter in Deutschland. Sie kündigte an, noch im Oktober in Hannover alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, um die Zukunft der Schweinehaltung in Niedersachsen zu diskutieren.
„Parteipolitische Programmatik”
Ministerkollege Backhaus zeigte sich fassungslos über den Ausgang der Abstimmung. Leider habe sich „parteipolitische Programmatik völlig fern der Realität der schweinehaltenden Betriebe durchgesetzt”, erklärte der SPD-Politiker. Scharfe Kritik übte auch Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Gerade im süddeutschen Raum stünden zahlreiche Ferkelerzeuger vor dem Aus.
Hauk musste sich Koalitionsraison beugen
Baden-Württembergs CDU-Ressortchef Peter Hauk sprach sich in seiner zu Protokoll gegebenen Rede ebenfalls für eine Fristverlängerung aus, musste sich aber der Koalitionsraison beugen. Demgegenüber argumentierte die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken im Plenum gegen eine weitere Übergangsfrist, weil dies aus ihrer Sicht einen klaren Verstoß gegen den Tierschutz bedeuten würde. Die Grünen-Politikerin räumte ein, dass der Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration besondere Lasten für bäuerliche Betriebe bedeute, und mahnte Unterstützung an. 
Ein entsprechender Entschließungsantrag von Rheinland-Pfalz, mit dem der Bund zudem aufgefordert wird, die Praxisreife der Inhalationsnarkose sowie der Lokalanästhesie voranzutreiben, wurde ebenso zur weiteren Beratung in den Agrarausschuss überwiesen wie ein Entschließungsantrag von Mecklenburg-Vorpommern. Danach soll zum einen der Bund Forschungsmittel für weitere Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration zur Verfügung stellen. Zum anderen soll bei der Entwicklung des Tierwohllabels die nationale Kennzeichnung als verpflichtendes Kriterium aufgenommen werden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion strebt nach den Worten ihrer stellvertretenden Vorsitzenden Gitta Connemann und ihres agrarpolitischen Sprechers Albert Stegemann weiterhin eine Fristverlängerung für die betäubungslose Ferkelkastration an. Ihrer Auffassung nach würde ein Inkrafttreten des Verbots zum 1. Januar 2019 ohne praktikable und marktgängige Alternativen zu einem Einbrechen der Sauenhaltung in Deutschland führen. „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dies zu verhindern”, beteuerten die Unionspolitiker. Die agrarpolitische Sprecherin der CSU im Bundestag, Marlene Mortler, sieht jetzt die schwarz-rote Koalition im Bundestag gefordert, einen Kompromiss auf den Weg zu bringen.
Appell an SPD, sich zu bewegen
Der Vorsitzende des Bundestagsernährungsausschusses, Alois Gerig, appellierte an den Koalitionspartner SPD, sich zu bewegen. Die Sozialdemokraten müssten sich fragen lassen, „ob sie mehr Tiertransporte, damit weniger Tierwohl und eine Beschleunigung des Strukturwandels tatsächlich wollen”, sagte der CDU-Politiker.
SPD-Agrarsprecher Rainer Spiering äußerte sich allerdings zurückhaltend. Er bezeichnete das Ergebnis im Bundesrat als „nicht überraschend”. Aus Spierings Sicht bietet ein staatliches Tierwohllabel Chancen, zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner müsse nun schnell und konsequent handeln, um eine tierwohlgerechte Ferkelproduktion in Deutschland auch nach dem 1. Januar 2019 zu ermöglichen.
FLI-Wissenschaftler pro Immunokastration
Für unbegründet hält das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) die Einwände gegen die Immunokastration. „Aus Sicht des wissenschaftlichen Tierschutzes stellt dieses Verfahren die mit Abstand beste Alternative zur betäubungslosen Kastration dar”, heißt es in einem Beitrag von Institutspräsident Professor Thomas Mettenleiter sowie den FLI-Wissenschaftlern Professor Lars Schrader, Dr. Inga Schwarzlose und Dr. E. Tobias Krause.
Nach deren Einschätzung sind mögliche Gründe für eine Ablehnung von geimpften Tieren im Markt wissenschaftlich nicht haltbar. Der Impfstoff sei im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit unbedenklich. Beim Fleisch geimpfter Tiere handele es sich auch nicht um „Hormonfleisch”. Zwar werde mit der Impfung gegen Ebergeruch in den Hormonhaushalt der Tiere eingegriffen; dies passiere jedoch bei jeglicher Form der Kastration, so die Wissenschaftler.
Unter Kostengesichtspunkten weise die Immunokastration Vorteile gegenüber anderen Alternativen auf, weil geimpfte Tiere eine bessere Zunahme und Futterverwertung zeigten als chirurgisch kastrierte Tiere. Den Wissenschaftlern zufolge wird derzeit das vielzitierte „Skandal-Potenzial” von Fleisch geimpfter Schweine überwiegend aus der Landwirtschaft und den Schlachtunternehmen in den Vordergrund gestellt.
„Angesichts der Vorteile dieses Verfahrens aus tierschutzfachlicher Sicht und angesichts der bei den anderen Alternativen ebenfalls vorhandenen Nachteile ist dies nicht nachzuvollziehen”, betonen die FLI-Experten. Sie sehen nicht nur die Landwirtschaft und Schlachtunternehmen, sondern auch den Lebensmitteleinzelhandel in der Verantwortung, der sich deutlicher als bisher und umfassend zur Abnahme des Fleisches von immunokastrierten Tieren verpflichten sollte.
Die Politik habe die Aufgabe, die Aufklärung der Verbraucher nachhaltig zu unterstützen. „Ohne den Willen und Mut aller Beteiligten steht zu befürchten, dass ab Anfang nächsten Jahres der Anteil importierter Ferkel zu Lasten der heimischen Ferkelerzeuger noch weiter ansteigt”, warnen Mettenleiter und seine Mitarbeiter.