EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat die für ein Jahr geplante Aussetzung der Stilllegungs- und Fruchtwechselpflicht bestätigt.
Befristet keine Pflicht zu Stilllegung und Fruchtwechsel: Die EU-Kommission begründete ihre Entscheidung mit den Unsicherheiten für die globale Ernährung aufgrund des Ukraine-Kriegs und der Dürre.
Der Pole rechtfertigte am 22. Juli via Twitter die Entscheidung damit, dass das globale Lebensmittelsystem aufgrund der illegalen Aggression Russlands gegen die Ukraine mit wachsenden Unsicherheiten konfrontiert sei. Außerdem sei nach den jüngsten, kurzfristigen Prognosen mit einem Rückgang der Nahrungsmittelerzeugung in Europa aufgrund der lang anhaltenden Hitze- und Dürreperioden zu rechnen.
Die beiden Konditionalitätsregelungen zum „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand” (GLÖZ) 7 und 8 sind Teil der ab dem kommenden Jahr geltenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Nach offizieller Darstellung der Kommission können EU-weit durch den Verzicht auf eine Flächenstilllegung von vier Prozent rund 1,5 Millionen Hektar zusätzlich in die Produktion von Feldfrüchten genommen werden.
Mais und Soja sollen nicht erlaubt werden
Allerdings will die Brüsseler
Behörde den Anbau von Mais und Sojabohnen auf den besagten
Stilllegungsflächen ausschließen, da diese vorwiegend in der
Tierfütterung zum Einsatz kommen. Ferner hängt der tatsächliche
Flächenumfang von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten ab, dies auch
jeweils ihren Landwirten zuzugestehen.
Agrarkommissar Wojciechowski stellte fest, dass nicht nur im Sinn der
weltweiten Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln gehandelt werden müsse,
sondern auch hinsichtlich ihrer Bezahlbarkeit. Daher sei es von
grundlegender Bedeutung, dass die EU ihren Beitrag dazu leiste, bei der
Bewältigung des weltweiten Mangels an Weizen die Produktionslücke zu
schließen. Zudem dränge die Zeit, eine Entscheidung zu treffen, da die
Landwirte jetzt ihre Entscheidungen für die Herbstaussaat treffen
würden. Der Brüsseler Agrarchef geht davon aus, dass die
Getreideproduktion in der Ukraine wegen der Kriegshandlungen erheblich
sinken dürfte. Damit wäre die Fähigkeit des Landes, zur weltweiten
Ernährungssicherheit beizutragen, weiter eingeschränkt. Dies gelte
selbst für die jetzt in Aussicht stehende Öffnung der Schwarzmeerhäfen
in der Ukraine.
Özdemir will prüfen
Unmittelbar nach der Kommissionsentscheidung gab
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bekannt, dass sein Haus nun
die Rahmenbedingungen für die nationale Umsetzung prüfen und mit den
Ressorts, Ländern sowie den Stakeholdern diskutieren werde. Er sicherte
zu, „pragmatische Entscheidungen” zu treffen und diese „vorher genau auf
Nutzen und Kosten” abzuklopfen. „Nachhaltigkeit und
Ernährungssicherheit sind zwei Seiten einer Medaille. Ein
Gegeneinander-Ausspielen wird es mit mir nicht geben”, erklärte der
Grünen-Politiker. „Das nächste Jahr müssen wir dazu nutzen, um intensiv
über eine effizientere Verwendung der heimischen Ernten zu diskutieren,
wie zum Beispiel die Reduzierung der Anbauflächen für Tierfutter, den
Kampf gegen Lebensmittelverschwendung oder die
Agrarkraftstoffproduktion.” Der Minister erwartet von der Kommission,
dass sie auch dafür endlich tragfähige Vorschläge vorlegt und ihren
Blick über die Produktion hinaus weitet.
Beim Agrarratstreffen am Montag voriger Woche hatte Özdemir
hervorgehoben, dass eine Auflockerung der Fruchtfolgeregelungen angesichts der aktuellen Krise sinnvoll sein könne. Der Bundesminister
wiederholte jedoch auch seine bekannte Skepsis gegenüber einer
Aussetzung der Stilllegung.
Auf Lob traf die Entscheidung der EU-Kommission bei CDU-Politikern im
Europaparlament. „Seit Monaten haben wir diesen Schritt gefordert”,
erklärten die EU-Agrarpolitiker Norbert Lins und Peter Jahr.
Laut Lins und Jahr hat sich EU-Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der
Leyen „gegen heftige Widerstände innerhalb der Europäischen Kommission”
durchsetzen müssen. Dem geschäftsführenden Kommissionsvizepräsidenten
Frans Timmermans werfen die beiden EU-Parlamentarier vor, mit seiner
Agenda „bewusst und billigend eine Hungersnot” in von Weizenimporten
abhängigen Ländern in Kauf genommen zu haben. Auch
Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir habe in dem Prozess „keine gute
Figur abgegeben”, so die beiden CDU-Europaabgeordneten. Lins und Jahr
forderten Özdemir auf, nun die Brüsseler Vorgaben auch vollständig
umzusetzen.
Der DBV mahnt zur Eile
Seine Forderung nach politischer Klarheit für die Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im kommenden Jahr hat der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, bekräftigt. „Die Zeit läuft ab, wir brauchen jetzt eine Entscheidung”, so Rukwied vor der Sonder-Agrarministerkonferenz (AMK) von Bund und Ländern am Donnerstag dieser Woche. Jede weitere Verzögerung gehe zulasten der Ernährungssicherheit.
Beim Fruchtwechsel habe das Bundeslandwirtschaftsministerium bereits eine Flexibilisierung angekündigt, die nun umzusetzen sei, so Rukwied. Nach seinen Angaben sieht der DBV bei der Ackerbrache ein Potenzial von etwa 200000 Hektar beziehungsweise knapp zwei Prozent der Ackerfläche, die im kommenden Jahr nutzbar bleiben müssten. „Flächen wie mehrjährige Blühstreifen, Gewässerrandstreifen und Landschaftselemente werden in jedem Fall erhalten bleiben”, versicherte der DBV-Präsident.
Bei den Umweltverbänden hingegen stößt der Vorschlag der Europäischen Kommission, die Stilllegungsverpflichtung und das Fruchtwechselgebot bei der Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im nächsten Jahr auszusetzen, erwartungsgemäß auf Ablehnung. In einem offenen Brief fordern die Verbände Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und seine Länderkollegen dazu auf, den Brüsseler Vorstoß zurückzuweisen.
Die Ankündigung der EU-Kommission, wichtige Umweltstandards wie die Regelungen zu Fruchtwechsel und Stilllegung für ein Jahr auszusetzen, sei angesichts der Biodiversitäts- und Klimakrise genau der falsche Weg. Den Umweltverbänden zufolge ist die Wirkung dieser Maßnahmen auf die Erträge nur sehr gering.