Betrieb und Wirtschaft | 15. Februar 2018

Bringt Amazon das Online-Geschäft voran?

Von René Bossert
Das Internet-Handelsunternehmen Amazon verkauft seit einigen Monaten in Deutschland auch Lebensmittel. Der Einstieg in dieses Geschäftsfeld sorgt für Nervosität in der Branche, die bisher beim Online-Geschäft mit Lebensmitteln eher ernüchternde Erfahrungen gemacht hat.
„Amazon Fresh” heißt das Angebot des Internet-Handelsgiganten für Lebensmittel hierzulande. Den Service gibt es bisher aber nur in Berlin, Potsdam, Hamburg und München. Im Mai 2017 war der Start in Berlin, zuletzt kam im November München dazu.
Angeboten wird ein Vollsortiment mit Lebensmitteln und Non-Food-Produkten von insgesamt 300.000 Artikeln. Um Amazon Fresh nutzen zu können, muss man ein sogenannter Amazon Prime-Kunde sein. Prime-Kunden haben bei Amazon eine Reihe  von Vorteilen, beispielsweise ist die Zustellung von Amazon-Lieferungen kostenlos.   Gestartet war Amazon als Online-Versand für Bücher, mittlerweile gibt es aber auf der Online-Plattform nahezu alles zu kaufen.
Eine Mitarbeiterin im Münchner Depot von Amazon stellt Waren für die Lieferung nach Hause zusammen.

Die Gebühr für Amazon-Prime beträgt im Moment 7,99 Euro im Monat. Amazon-Prime-Kunden zahlen für Amazon Fresh zusätzlich 9,99 Euro im Monat und erhalten dann eine unbegrenzte Anzahl an kostenlosen Lieferungen, wenn der Bestellwert bei mindestens 40 Euro (Berlin) bzw. 50 Euro (München und Hamburg) liegt. Die Zustellung erfolgt über DHL aus von Amazon in Eigenregie betriebenen Zentrallagern. Wenn man bis mittags bestellt, erhält man die Lieferung am gleichen Tag.
"Lieblingsläden"
Amazon Fresh habe sich gut entwickelt, bilanzierte Ralf Kleber, Deutschland-Chef von  Amazon, vor Kurzem in einem Interview mit der Lebensmittel Zeitung. Umsatzzahlen nannte er keine, aber man habe „Spaß an Fresh”. Geld verdienen muss Amazon mit Fresh keines, wie es überhaupt mit einzelnen Produkten kein Geld verdienen muss, weil man „eine tiefe und umfassende Beziehung zu den Kunden” pflege, wie es Kleber ausdrückt.
Was er damit meint, ist, dass Amazon über die Einkäufe Daten über seine Kunden sammelt und mit der Zeit immer besser über sie Bescheid weiß. So können Empfehlungen für andere Produkte ausgesprochen werden („Kunden, die das Produkt A kaufen, interessieren sich auch für das Produkt B”).
Amazon Fresh arbeitet auch mit kleinen Lebensmittel-Spezialanbietern zusammen, als „Lieblingsläden” bezeichnet. So sind in München beispielsweise Anbieter dabei, die auch auf dem Viktualienmarkt präsent sind. Auch die mittlerweile der Schweizer Migros gehörende Einzelhandelskette Tegut mit ihren knapp 300 Filialen vorwiegend in Hessen und Bayern verkauft Lebensmittel über Amazon Fresh.
E-Food-Geschäft lief bisher schleppend
Ein weiterer regional aktiver Händler, der mit Amazon kooperiert, ist der Allgäuer Lebensmittelhändler Feneberg, ein Vorkämpfer für regionale und bäuerliche Produkte, die unter der Eigenmarke „Von hier” vertrieben werden. Die Zusammenarbeit sei kein Widerspruch, weil man nicht austauschbare Produkte habe, heißt es bei Feneberg. Allerdings ist das Ende der Zusammenarbeit bereits wieder absehbar, weil Feneberg – wirtschaftlich offenbar etwas klamm – sich stärker an Edeka anbindet. Edeka dürfte darauf drängen, die Zusammenarbeit möglichst bald zu beenden.
Vor Amazons Markteintritt war das Geschäft mit E-Food – so nennen die Fachleute das Online-Geschäft mit Lebensmitteln – in Deutschland unterentwickelt, die Umsätze minimal. Es gibt ein paar kleine Start-up-Unternehmen, aber die großen Spieler im Markt sind bislang entweder gar nicht (Aldi) oder nur auf kleiner Flamme (Rewe und Edeka) dabei, oder sie sind sogar wieder ausgestiegen (Lidl und Kaufland). Wenig Umsätze gibt es bisher auch bei der Einkaufsvariante, im Internet zu bestellen und dann den fertig zusammengestellten Einkauf im Laden mitzunehmen.
Nun ist allerdings mit Amazon ein Unternehmen aktiv geworden, das viel Geld und einen langen Atem hat – und das Lebensmittelgeschäft mit Gewinnen aus anderen Bereichen quersubventionieren kann. Das sorgt für Nervosität in der Branche. Ob das wirklich dem E-Food-Geschäft Beine macht, bleibt abzuwarten.
Amazon besitzt nun auch Supermärkte
Am intensivsten beackert Rewe den deutschen E-Food-Markt, in über 70 größeren Städten kann man sich beliefern lassen. Edeka ist nur in Berlin und München aktiv. Skeptiker sagen, die Kosten für Kommissionierung und Lieferung bei E-Food seien – insbesondere außerhalb der Ballungsräume – einfach zu hoch. Außerdem fehle das Einkaufserlebnis und die  Möglichkeit, die Ware anfassen zu können. 
Amazon zäumt das Lebensmittelgeschäft auch noch von der anderen Seite her auf: Im Sommer 2017 hat Amazon in den USA die Handelskette Whole Foods gekauft, ein Bio-Handelsunternehmen mit rund 450 Supermärkten in den USA und auch einigen Standorten in Großbritannien. Amazon will also offenbar nicht nur im Online-Geschäft viel über Lebensmittel und deren Vertrieb lernen, sondern auch in „richtigen” Läden. 
Beleg dafür, dass Lebensmittel im Online-Handel schwieriger als andere Produkte zu handeln sind, ist auch der Rückzug von Amazon bei seinem Lebensmittel-Lieferdienst in einigen Regionen in den USA. Gestoppt wurde das dortige Geschäft vor einigen Monaten in eher ländlichen Regionen.
In der Kritik
Amazon experimentiert also noch und ändert seine Strategie. Das ist im Fall von Amazon aber nicht unbedingt eine Schwäche, sondern eine Stärke, wenn man sich den Aufstieg der vergangenen Jahre zum mit Abstand größten Online-Handelsplatz der Welt ansieht.      
Seine schiere Größe – umgerechnet rund 145 Milliarden Euro betrug der Umsatz 2017 weltweit, 15 Milliarden waren es in Deutschland – macht Amazon  mächtig, zu mächtig, wie Kritiker sagen. Steuervermeidung und intensives Datensammeln werden wie auch bei anderen internationalen Großkonzernen von vielen Verbrauchern hinterfragt. Unfairer Umgang mit Partnern ist ein weiterer Vorwurf, nur ein Beispiel: Wer als Anbieter Amazon als Marktplatz für die Vermarktung nutzt, darf die Kunden nicht auf seine eigene Website leiten.