Bioschweine und die neue EU-Öko-Verordnung
Die Rechtskonstruktion „Verordnung” weist zudem darauf hin, dass sie mit ihrem Inkrafttreten unmittelbar in allen EU-Mitgliedsländern gültig ist – im Gegensatz zu den EU-„Richtlinien”, bei denen die Mitgliedsländer mehr Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung haben und so ihre regionalen und länderspezifischen Besonderheiten einfließen lassen können.
Im Anforderungskatalog für die Bioschweinehaltung wird die Fütterung ebenso beschrieben wie die Kriterien für die Unterbringung. Details wie die Überdachung fürs Freigelände gehören ebenfalls dazu. Im März 2020 veröffentlichte die Kommission weitere Konkretisierungen für ihre VO 218/848, die sie in der Durchführungs-VO 2020/464 zusammengefasst hat. Es zeigte sich, dass die Fortschritte in der Praxis der Öko-Haltung und im Öko-Stallbau teilweise stärker ausgeprägt sind als in den Vorstellungen der Kommission.
Kennzeichnend für die Ökohaltung ist, dass mit dem höheren Platzangebot pro Tier in der Mast und in der Ferkelerzeugung gleichzeitig auch eine ausgeprägte funktionelle Aufteilung der Aufenthaltsbereiche vorgenommen wird. In modernen Öko-Stallhaltungssystemen verschwimmt die Grobunterscheidung zwischen Stall- und Auslauffläche zunehmend. Stattdessen wird der Stall in Ruhe-, Aktivitäts-, Fress- sowie Kot- und Harnbereich eingeteilt – wobei letzterer im Winter bisweilen in den geschützteren Bereich wechselt.
Genau das hat in der EU-Durchführungs-VO 2020/464 zu einem Konflikt rund um die „Summenregelung” geführt: Bisher konnte eine kleinere Stallfläche mit einer größeren Außenfläche verrechnet und kompensiert werden. Bei Altgebäuden, bei denen die Mindeststallfläche unterschritten wurde, ließ sich das Manko durch eine entsprechend vergrößerte Außenfläche wieder ausgleichen. Mit der neuen Durchführungs-VO wäre das nicht mehr möglich. Wegen einer fehlenden Übergangszeit müssten rund 30 Prozent der Erzeuger ihre Produktion einstellen und viele Umstellungswillige hätten ein ernstes Hindernis.
Elisabeth Bünder, Leiterin des Ökoreferats am Bundeslandwirtschaftsministerium, sprach in diesem Zusammenhang zunächst von Übersetzungsproblemen. Bei dem englischsprachigen Originaltext der Durchführungs-VO wurde „outdoor” mit „Freilandhaltung” übersetzt. In der aktuellen ASP-Situation und mit Blick auf die Tierseuchenbekämpfung wurde das problematisch. So sollte doch zwischen der Auslauf- und Freilandhaltung unterschieden werden.
Unabhängig davon kann sich auch die Ferkelkastration durch die EU-Durchführungs-VO 2020/464 zu einem größeren Problem entwickeln, da sie den Einsatz von immunologischen Mitteln (Improvac) nicht mehr erlaubt. Für große Anteile der Bio-Betriebe ist dieses Mittel zur Methode der Wahl geworden. Röhrig zeigte sich erleichtert, dass mit dem verschobenen Inkrafttreten der EU-Verordnungen zumindest eine einjährige Aussetzung des Verbots möglich wurde und damit eine praktikable und tiergerechte Variante weiterhin zum Einsatz kommt.
„Die Thematik um eine tiergerechte Kastrationslösung liegt der Ministerin sehr am Herzen”, ergänzte hierzu auch Elisabeth Bünder vom Bundesministerium, die für den Einsatz immunologischer Mittel kämpfen wolle, sowohl im Interesse der ökologischen als auch der konventionellen Erzeuger. Das Ministerium bemühe sich daher um eine Fortsetzung der Gespräche mit der Kommission. Für das Jahr 2021 sei allerdings noch keine Lösung in Sicht. Laut Bünder werden im kommenden Jahr Top-Sachverständige im Auftrag der Kommission nach Lösungswegen für die Probleme mit der neuen EU-Ökoverordnungen suchen. Dabei gehe es nicht nur um die Themen Kastration, Summenregelung und Überdachung, sondern auch um die umstrittene Frage der Regionaldefinition von Futtermittelherkünften, die Marktverfügbarkeit von Eiweißfuttermitteln und den Anteil von Umstellerware in Mischfutteranteilen.