Junglandwirte im Bund Badischer Landjugend (BBL) bewerten die Corona-bedingten Auswirkungen mit sogenannter „rückwärtsgewandter Zukunftsutopie”.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegen oft Welten und wünschen kann man sich bekanntlich viel, wenn der Tag lang ist. Daher blicken die Junglandwirtinnen und Junglandwirte des BBL zurück aus der Zukunft in die Wirklichkeit und zeigen auf, welche positiven Veränderungen (neben all den bekannten und niederschmetternden Schrecklichkeiten) mit dem Coronavirus einhergegangen sind. Man bezeichnet dieses Szenario als rückwärtsgewandte Zukunftsutopie.
Der Fokus wird im Folgenden auf das Verhältnis von Verbrauchern und Landwirtschaft gerichtet. Es werden absichtlich positive Szenarien beschrieben, obwohl bekannt ist, dass die Krise viele Probleme für die Landwirtschaft mit sich bringt. Einige sind bereits offensichtlich, wie zum Beispiel fehlende Export- oder Absatzmärkte (Spargel/Wein/Urlaub auf dem Bauernhof), andere noch nicht (Konsumverhalten der Verbraucher durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit/Betriebsaufgabe).
Rückblick aus der Zukunft
Also: Nachdem der Sommer die Landwirte wie jedes
Jahr ganz schön auf Trab gehalten hat, kehrt langsam Ruhe auf Feldern
und Äckern ein, der Spätherbst 2020 beginnt. Zeit, sich zu besinnen und
den seltsamen Jahresbeginn genauer zu betrachten. Wir freuen uns,
dass die Menschen zu schätzen gelernt haben, dass im eigenen Land
hervorragende Lebensmittel produziert werden und wir uns zum großen
Teil mit den Grundnahrungsmitteln selbst versorgen können. Zu sehen, wie
Eltern mit ihren Kindern zusammen in der Küche stehen, kochen und
backen, gemeinsam essen und wie Lebensmittel dadurch wieder eine
zentralere Rolle einnehmen, macht uns glücklich.
Viele haben die
Vorzüge des Einkaufens auf Landmärkten und in Hofläden für sich
entdeckt. Zuerst nur, um dem Massenandrang in den Supermärkten aus dem
Weg zu gehen. Später aber, weil sie bemerkt haben, dass regionale
Lebensmittel, die gerade Saison haben, nicht unbedingt teurer sind und
zudem auch noch besser schmecken. Nicht nur während der Corona-Zeit
konnten sich die Stadtteilmärkte kaum retten vor städtischem Publikum,
sondern auch noch danach. Convenience-Produkte haben ausgedient. „Fast
Food” ist nicht länger vonnöten, durch die Verlagerung ins Homeoffice,
durch Kurzarbeit oder virtuelle Treffen sind Kapazitäten fürs
Selberkochen freigeworden. Viele Verbraucher sind auf den guten
Geschmack gekommen und halten diesen neuen Luxus auch nach der Pandemie
aufrecht. Eine neue Solidarität mit den Landwirten der Region, die
selbst in der unsicheren Zeit dafür gesorgt haben, dass genügend Essen
auf den Tischen stehen konnte, ist entstanden. Man grüßt sich freundlich
am Feldesrand, anstatt mit Unverständnis und Unwissen aufeinander
loszugehen.
Ein „Danke” war während der Krise nicht selten zu hören.
Auch die Unterstützung der Bevölkerung augrund fehlender
Saisonarbeitskräfte war beachtlich. Mütter und Väter suchten auf
landwirtschaftlichen Betrieben für ihre Kinder eine sinnvolle
Beschäftigung, solange die Schulen geschlossen waren. Für die
Landwirtschaft war das Öffentlichkeitsarbeit in ihrer reinsten Form.
Hinzu kam, dass viele Menschen selbst kleine Gärten angelegt haben.
Selbstversorgung, zumindest zu einem kleinen Teil, ist en vogue.
Mit
viel Schweiß aber auch einigen Niederlagen blieben die Hobbygärtner am
Ball und freuten sich, im Sommer eigenes Obst und Gemüse ernten zu
können. Sie stellten fest, wie mühsam die Nahrungsmittelproduktion ist,
wie lange es dauert, Erfolge zu feiern (wenn überhaupt), und mit wie
viel Widrigkeiten man dabei tagtäglich konfrontiert wird. Sie setzten
sich automatisch mit dem Thema Saisonalität auseinander und verzichten
nun im Winter auf Tomaten und Erdbeeren, die dann ja sowieso nur nach
Wasser schmecken.
Lebensmittel sind wieder wertvoll
Im Zuge
schweißtreibender Arbeit in heimischen Gärten oder auf den Stadtbalkonen
und im Wissen über den Aufwand der Erzeugung nahm die
Lebensmittelverschwendung rasant ab. Man wurde achtsamer. Billigprodukte
werden nun weitgehend gemieden, weil klar ist, dass zu diesen Preisen
nicht fair produziert werden kann. Lebensmittel bekommen so wieder ihren
Wert zurück. Landwirte werden in Zukunft, wie auch die
Epidemiologen und Virologen, bei allen wichtigen Entscheidungen von
Beginn an mit eingebunden, damit auch weiterhin die
Ernährungssouveränität in unserem Land gewährleistet sein kann. Das
kommt vor allem der südbadischen Landwirtschaft zugute, da diese oft
sehr klein strukturierten, familiengeführten Betriebe unter den immer
umfangreicheren Auflagen nicht selten in die Knie gezwungen werden. Es
ist schön zu sehen, welche Kreativität in Landwirtinnen und Landwirten
steckt. Fast täglich wurde von neuen Aktionen und Ideen berichtet. Seien
es Online-Weinproben, die Öffnung von Verkaufsständen direkt am Hof,
ein Lieferservice für Agrarprodukte oder die Aktion „Osterferien auf dem
Feld” – die Liste kann fast endlos weitergeführt werden.
Klar ist,
diese Welt wird nicht mehr dieselbe sein. „It’s the end of the world as
we know it”, wie die Band R.E.M., vermutlich mit einem Endzeitszenario
im Kopf, seit 1987 zum Besten gibt. Ja, es ist ein Ende der Welt. Einer
Welt, wie wir sie bisher kannten. Das heißt nicht zwangsläufig, dass
die Welt, die darauf folgt, schlechter oder besser sein wird. Sie wird
anders sein. Was wir mit und in dieser anderen Welt tun, hängt
entscheidend von uns ab. Vielleicht können wir die positiven
Errungenschaften aus dem Frühjahr 2020 mitnehmen. Davon hätten dann alle
etwas.
Kommentar: Innovationsgeist aus der Krise mitnehmen!
In allen Bereichen des Lebens werden gerade Alternativen zum „Normal-Zustand” entwickelt: Hotels und Ferienwohnungsbetreiber bieten das „Homeoffice away from home” an. Für gestresste Elternteile, Partner oder einfach für einen Tapetenwechsel. Aldi Süd eröffnet eine „Pop Up Mini Filiale” in einem stillgelegten Café in Frankfurt, in der ausschließlich Angestellte der Uniklinik einkaufen gehen dürfen, die nach Schichtende keine Möglichkeit hätten, an begehrte Lebensmittel oder Klopapier zu kommen. Ein Craft-Beer-Hersteller in Schottland macht es für seine Konsumenten möglich, sich online in der Lieblingsbar zu treffen. Ein Sternerestaurant stellt sein Angebot komplett um, errichtet ein Drive-in und einen Lieferservice und muss bei 150 Angestellten aufstocken. Und, und, und. Die Ideen, so scheint es, gehen nicht aus. Was haben diese Firmen gemeinsam? Sie haben zuerst beobachtet. Dann haben sie die aktuellen Bedürfnisse abgesteckt, also was momentan benötigt wird oder was wünschenswert wäre. Und zuletzt ihren Beitrag geleistet. Sie haben Alternativmethoden entwickelt und ihr Angebot erweitert. Auch in der Landwirtschaft sind viele innovative Lösungen durch die Corona-Krise entstanden. Ziel muss es sein, diesen Innovationsgeist mitzunehmen, um auch in Zukunft kreativ und schnell auf Herausforderungen reagieren zu können.
Michaela Schöttner