Land und Leute | 07. Mai 2020

Lichtblicke, die Mut machen

Von Michaela Schöttner
Junglandwirte im Bund Badischer Landjugend (BBL) bewerten die Corona-bedingten Auswirkungen mit sogenannter „rückwärtsgewandter Zukunftsutopie”.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegen oft Welten und wünschen kann man sich bekanntlich viel, wenn der Tag lang ist. Daher blicken die Junglandwirtinnen und Junglandwirte des BBL zurück aus der Zukunft in die Wirklichkeit und zeigen auf, welche positiven Veränderungen (neben all den bekannten und niederschmetternden Schrecklichkeiten) mit dem Coronavirus einhergegangen sind. Man bezeichnet dieses Szenario als rückwärtsgewandte Zukunftsutopie.
Der Fokus wird im Folgenden auf das Verhältnis von Verbrauchern und Landwirtschaft gerichtet. Es werden absichtlich positive Szenarien beschrieben, obwohl bekannt ist, dass die Krise viele Probleme für die Landwirtschaft mit sich bringt. Einige sind bereits offensichtlich, wie zum Beispiel fehlende Export- oder Absatzmärkte (Spargel/Wein/Urlaub auf dem Bauernhof), andere noch nicht (Konsumverhalten der Verbraucher durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit/Betriebsaufgabe).
Rückblick aus der Zukunft
Also: Nachdem der Sommer die Landwirte wie jedes Jahr ganz schön auf Trab gehalten hat, kehrt langsam Ruhe auf Feldern und Äckern ein, der Spätherbst 2020 beginnt. Zeit, sich zu besinnen und den seltsamen Jahresbeginn genauer zu betrachten. Wir freuen uns, dass die Menschen zu schätzen gelernt haben, dass im eigenen Land hervorragende Lebensmittel produziert werden und  wir uns zum großen Teil mit den Grundnahrungsmitteln selbst versorgen können. Zu sehen, wie Eltern mit ihren Kindern zusammen in der Küche stehen, kochen und backen, gemeinsam essen und wie Lebensmittel dadurch wieder eine zentralere Rolle einnehmen, macht uns glücklich.
Viele haben die Vorzüge des Einkaufens auf Landmärkten und in Hofläden für sich entdeckt. Zuerst nur, um dem Massenandrang in den Supermärkten aus dem Weg zu gehen. Später aber, weil sie bemerkt haben, dass regionale Lebensmittel, die gerade Saison haben, nicht unbedingt teurer sind und zudem auch noch besser schmecken. Nicht nur während der Corona-Zeit konnten sich die Stadtteilmärkte kaum retten vor städtischem Publikum, sondern auch noch danach. Convenience-Produkte haben ausgedient. „Fast Food” ist nicht länger vonnöten, durch die Verlagerung ins Homeoffice, durch Kurzarbeit oder virtuelle Treffen sind Kapazitäten fürs Selberkochen freigeworden. Viele Verbraucher sind auf den guten Geschmack gekommen und halten diesen neuen Luxus auch nach der Pandemie aufrecht. Eine neue Solidarität mit den Landwirten der Region, die selbst in der unsicheren Zeit dafür gesorgt haben, dass genügend Essen auf den Tischen stehen konnte, ist entstanden. Man grüßt sich freundlich am Feldesrand, anstatt mit Unverständnis und Unwissen aufeinander loszugehen.
Ein „Danke” war während der Krise nicht selten zu hören. Auch die Unterstützung der Bevölkerung augrund fehlender Saisonarbeitskräfte war beachtlich. Mütter und Väter suchten  auf landwirtschaftlichen Betrieben für ihre Kinder eine sinnvolle Beschäftigung, solange die Schulen geschlossen waren. Für die Landwirtschaft war das Öffentlichkeitsarbeit in ihrer reinsten Form. Hinzu kam, dass viele Menschen selbst kleine Gärten angelegt haben. Selbstversorgung, zumindest zu einem kleinen Teil, ist en vogue.
Mit viel Schweiß aber auch einigen Niederlagen blieben die Hobbygärtner am Ball und freuten sich, im Sommer eigenes Obst und Gemüse ernten zu können. Sie stellten fest, wie mühsam die Nahrungsmittelproduktion ist, wie lange es dauert, Erfolge zu feiern (wenn überhaupt), und mit wie viel Widrigkeiten man dabei tagtäglich konfrontiert wird. Sie setzten sich automatisch mit dem Thema Saisonalität auseinander und verzichten nun im Winter auf Tomaten und Erdbeeren, die dann ja sowieso nur nach Wasser schmecken. 
Lebensmittel sind wieder wertvoll
Im Zuge schweißtreibender Arbeit in heimischen Gärten oder auf den Stadtbalkonen und im Wissen über den Aufwand der Erzeugung nahm die Lebensmittelverschwendung rasant ab. Man wurde achtsamer. Billigprodukte werden nun weitgehend gemieden, weil klar ist, dass zu diesen Preisen nicht fair produziert werden kann. Lebensmittel bekommen so wieder ihren Wert zurück. Landwirte werden in Zukunft, wie auch die Epidemiologen und Virologen, bei allen wichtigen Entscheidungen von Beginn an mit eingebunden, damit auch weiterhin die Ernährungssouveränität in unserem Land gewährleistet sein kann. Das kommt vor allem der südbadischen Landwirtschaft zugute, da diese oft sehr klein strukturierten, familiengeführten Betriebe unter den immer umfangreicheren Auflagen  nicht selten in die Knie gezwungen werden. Es ist schön zu sehen, welche Kreativität in Landwirtinnen und Landwirten steckt. Fast täglich wurde von neuen Aktionen und Ideen berichtet. Seien es Online-Weinproben, die Öffnung von Verkaufsständen direkt am Hof, ein Lieferservice für Agrarprodukte oder die Aktion „Osterferien auf dem Feld” –  die Liste kann fast endlos weitergeführt werden.
Klar ist, diese Welt wird nicht mehr dieselbe sein. „It’s the end of the world as we know it”, wie die Band  R.E.M., vermutlich mit einem Endzeitszenario im Kopf, seit 1987 zum Besten gibt. Ja, es ist ein Ende der Welt. Einer Welt, wie wir sie bisher kannten. Das heißt nicht zwangsläufig, dass die Welt, die darauf folgt, schlechter oder besser sein wird. Sie wird anders sein. Was wir mit und in dieser anderen Welt tun, hängt entscheidend von uns ab. Vielleicht können wir die positiven Errungenschaften aus dem Frühjahr 2020 mitnehmen. Davon hätten dann alle etwas.
Kommentar: Innovationsgeist aus der Krise mitnehmen!
In allen Bereichen des Lebens werden gerade Alternativen zum „Normal-Zustand” entwickelt: Hotels und Ferienwohnungsbetreiber bieten das „Homeoffice away from home” an. Für gestresste Elternteile, Partner oder einfach für einen Tapetenwechsel. Aldi Süd eröffnet eine „Pop Up Mini Filiale” in einem stillgelegten Café in Frankfurt, in der ausschließlich Angestellte der Uniklinik einkaufen gehen dürfen, die nach Schichtende keine Möglichkeit hätten, an begehrte Lebensmittel oder Klopapier zu kommen. Ein Craft-Beer-Hersteller in Schottland macht es für seine Konsumenten möglich, sich online in der Lieblingsbar zu treffen. Ein Sternerestaurant stellt sein Angebot komplett um, errichtet ein Drive-in und einen Lieferservice und muss bei 150 Angestellten aufstocken. Und, und, und. Die Ideen, so scheint es, gehen nicht aus. Was haben diese Firmen gemeinsam? Sie haben zuerst beobachtet. Dann haben sie die aktuellen Bedürfnisse abgesteckt, also was momentan benötigt wird oder was wünschenswert wäre. Und zuletzt ihren Beitrag geleistet. Sie haben Alternativmethoden entwickelt und ihr Angebot erweitert. Auch in der Landwirtschaft sind viele innovative Lösungen durch die Corona-Krise entstanden. Ziel muss es sein, diesen Innovationsgeist mitzunehmen, um auch in Zukunft kreativ und schnell auf Herausforderungen reagieren zu können.
Michaela Schöttner