Betrieb und Wirtschaft | 07. August 2014

Ackern – aber nicht auf dem eigenen Hof

Von Gisela Ehret
Die meisten jungen Menschen werden Landwirt, weil sie zuhause einen Betrieb haben und diesen übernehmen wollen. Aber auch für junge Menschen ohne diesen Hintergrund lohnt sich die Ausbildung: Landwirte sind vielerorts gefragt.
Klaus Rebmann (25) fand erst über Umwege zur Landwirtschaft. Zwar interessierte er sich schon früh für den Beruf, „aber damals haben alle dagegen geschwätzt.” Zu gering die Bezahlung, zu anstrengend die Arbeit, zu viele Überstunden ... So kam es, dass Rebmann nach dem Realschulabschluss zunächst einmal eine Lehre zum Bürokaufmann machte. Doch spätestens, als Landwirt Wilfried Dietsche aus dem Nachbarort jemanden zum Schlepperfahren suchte, wurde klar, in welche Richtung es gehen würde: Erst jobbte Rebmann auf dem Hof, dann machte er eine Ausbildung zum Landwirt. Letzten Herbst machte der Landwirt aus Bonndorf-Brunnadern den Meisterabschluss.
Bauern suchen Fachkräfte
Für Klaus Rebmann ist die Arbeitsstelle das zweite Zuhause. Er gehört zur Familie, obwohl er monatlich seinen Lohn bekommt.
Der Betrieb von Wilfried Dietsche hat 80 Milchkühe mit weiblicher Nachzucht und bewirtschaftet 180 Hektar Ackerbau und Grünland sowie 10 Hektar Wald. Für Büro und Haushalt ist Ehefrau Anita zuständig, für Stall und Feld Dietsche und Rebmann. Sohn Jannik (19) macht gerade eine landwirtschaftliche Lehre in Hamburg und wird den Betrieb in wenigen Jahren übernehmen. Früher hatte der Betrieb ungelernte Helfer, doch das Ehepaar will mittlerweile nur noch qualifizierte Fachkräfte. „Er weiß, was er machen muss, sieht, wo es Arbeit gibt, und arbeitet selbständig”, lobt der Betriebsleiter die Vorzüge seines gut ausgebildeten Angestellten. Dadurch kann das Ehepaar auch mal länger in Urlaub gehen, ohne sich Sorgen um den Betrieb machen zu müssen.
Eine klare Aufgabenteilung herrscht auf dem Hof nicht. Es wird gemacht, was ansteht. Auch bei betrieblichen Entscheidungen wird Rebmann mit einbezogen. Er hat eine 50-Stunden-Woche, die Sonntage sind frei. Überstunden fallen natürlich an, in der Landwirtschaft läuft nichts nach der Stempeluhr. Dafür kann Rebmann samstags mal früher heim, wenn es regnet.
„Er gehört zur Familie”, sagt Dietsche. „Er sitzt mit am Tisch, benutzt das Büro.” „Nur schlafen tu ich noch daheim”, bekennt Rebmann grinsend. Er ist froh, auf einem Familienbetrieb zu arbeiten und überall mit eingebunden zu werden. „Auf größeren Betrieben ist man nur einer von vielen”, findet er. Alleine würde der Landwirt aber keinen Betrieb führen wollen. Zu groß ist die Gebundenheit. Im September kommt Jannik Dietsche aus der Lehre zurück, dann geht Rebmann für ein halbes Jahr zum Praktikum nach Neuseeland. Im nächsten Jahr wird dann angebaut, und auch für die Zeit nach der Hofübergabe ist Rebmann fest mit eingeplant. Ganz klar ist nur noch nicht, ob es ein Angestelltenverhältnis bleiben wird oder die beiden jungen Männer eine GbR gründen. Im Moment diskutieren sie über die Entscheidung zwischen Melkkarussell oder Roboter.
„Im Kreis Waldshut haben mehrere Betriebe Angestellte”, berichtet Wilfried Dietsche. Seiner Ansicht nach ist das die Zukunft: Weg vom reinen Familienbetrieb hin zu qualifizierten Angestellten. Denn die Betriebe werden größer, die Anforderungen an die Landwirte immer höher. „Der Landwirt ist heute Tierarzt, Chemiker, Saatgut- und Technikspezialist”, sagt Dietsche. Und die neue Generation der Betriebsleiter ist anspruchsvoller, sie will mehr Lebensqualität und mehr Freizeit. Dietsches Wunschvorstellung für die nächsten Jahre sieht so aus: An einem Wochenende melken und füttern der Sohn und der Angestellte, am nächsten die Altenteiler.
Betriebshelfer: Von Hof zu Hof
Kathrin Ortlieb (27) aus Staufen hat schon sehr viele landwirtschaftliche Betriebe gesehen. Nicht nur, weil sie seit letztem November beim Betriebshelferdienst in St. Ulrich angestellt ist  – auch vorher tingelte sie schon von Hof zu Hof. Lehre in Österreich, danach Norwegen, Frankfurt, Saarland ... „Ich wollte ein bisschen was angucken und andere Betriebe sehen”, sagt sie. Und nie war ein Familienbetrieb dabei. Ortlieb lebt und arbeitet gerne in offenen Gemeinschaften, nicht in der starren Familienstruktur. „Ich bin nicht der Typ, der sich auf 50 Jahre festsetzen will”, erklärt sie. Und der Betrieb ihrer Eltern ist mit zwei Hektar Fläche zu klein, als dass sie davon leben könnte. Beim Betriebshelferdienst hat sie nun zum ersten Mal mit den Bauern aus der Region, deren Boden und Klima zu tun. Die Einsätze dauern  je nach Anlass zwei Wochen bis mehrere Monate.  Auf dem Betrieb, auf dem sie gerade ihren Einsatz hat, ist der Betriebsleiter in Reha. Hier fallen alltägliche Arbeiten wie Misten und Weidepflege an. Aber nicht immer sind die Verhältnisse so geordnet. Wenn der Betriebsleiter plötzlich erkrankt, sind die Familien oft überlastet. „Für mich ist es sehr schwierig, mich nicht mitreißen zu lassen”, sagt die junge Frau. Sie neigt dann dazu, Überstunden zu machen. „Ich muss eine Lösung finden zwischen einem gesunden Maß an Arbeit und dem, was auf dem Betrieb anfällt. Man kann nicht bis ins Unendliche helfen.” Für sie ganz klar:  „Betriebshelfer kann auch zu einem Rettersyndrom werden.”
Erfahrungen sammeln
Jede Maschine ist anders: Als Betriebshelferin muss sich Kathrin Ortlieb ständig auf neue Situationen einstellen.
Dabei haben Betriebshelfer arbeitnehmerfreundliche Arbeitszeiten, Montag bis Freitag. Nur in Ausnahmefällen genehmigt die Sozialversicherung auch Wochenend-Einsätze, zum Beispiel zur Erntezeit. Die Betriebshelfer in St. Ulrich können wählen, in welchem Umfang sie eingestellt werden: Die Spanne reicht von einer 30-Prozent- bis zu einer 80-Prozent-Anstellung. Es gibt einen festen Monatslohn, unabhängig von Anzahl und Umfang der Einsätze. Minus- oder Plusstunden werden dann aufs Jahr gerechnet und Überstunden mit Freizeit ausgeglichen oder ausbezahlt. Fahrtkosten werden erstattet, Berufskleidung gestellt, Weiterbildungen unterstützt. Als Betriebshelferin hat Ortlieb viele Begegnungen mit Menschen, die teilweise Schicksalsschläge ertragen müssen. Sie dringt in deren Privatsphäre ein, sitzt am Mittagstisch, bekommt vieles mit.  „Das ist auf der einen Seite schön, aber es geht einem auch nach.” Jeder erste Kontakt ist anders: Mal wird sie freundlich aufgenommen, mal skeptisch – besonders, weil sie eine Frau ist. „Da muss man den Leuten einfach ein bisschen Zeit geben”, weiß sie aus Erfahrung. Meist kommt das Vertrauen sehr schnell, und oft bleibt der Kontakt zu den Familien auch über den Einsatz hinaus bestehen.  Und wenn es doch einmal menschlich gar nicht passt, vermittelt auch der Betriebshelferdienst. „Der Arbeitgeber ist wirklich super, die stehen voll hinter einem”, betont Ortlieb.
Ihrer Ansicht nach ist der Betriebshelferdienst für junge Landwirte die ideale Möglichkeit, um Erfahrungen zu sammeln. „Da kann man schon viel mitnehmen, was das Fachpraktische angeht: In verschiedene Betriebe reingucken, unterschiedliche Arbeitsweisen kennenlernen, fremde Böden bewirtschaften und Traktoren bedienen, Kühe von anderen melken.” Letztere klemmen die ersten zwei Tage beim Melken schon mal den Schwanz ein. „Jeder geht anders auf die Tiere zu. Das merken die sofort”, erzählt die Junglandwirtin. „Ein Betriebshelfer muss sich ständig anpassen, auf Tiere und die Familie einlassen, sich selber zurücknehmen, Arbeitstechniken übernehmen.” Und er wird immer wieder rausgerissen, muss immer wieder neu anfangen. Er kommt nicht in den Prozess des Jahreskreislaufs hinein. „Ich verpasse Entwicklungen”, sagt Ortlieb bedauernd. „Ich sehe eine aufgeplatzte Kohlrabi, kann dem Kunden aber nicht sagen, warum sie aufgeplatzt ist.”
Flexibilität gefragt
Ein Betriebshelfer muss lernbereit und aufnahmefähig sein. Bei der Einstellung wird aber gefragt, wo man Erfahrung hat. Und es gibt ein Mitspracherecht: Was einem zu weit weg ist oder einem nicht liegt, kann man ablehnen. „Man lernt dadurch, eigenverantwortlich zu handeln, sich selber zu organisieren”, findet Ortlieb. „Man muss mit Menschen schwätzen können, auch seine eigenen Bedürfnisse äußern können und bereit sein, sich auf neue Situationen einzulassen.” Für sie vielleicht die größte Herausforderung an diesem Job: „Man muss damit klarkommen, dass man nicht so viel Verantwortung übertragen bekommt.”   Ortlieb will im September in eine neue Etappe starten: Sie hat sich beworben für ein Studium der Sozialen Arbeit, weil sie gerne Landwirtschaft und Pädagogik verbinden möchte. Wenn sie in der Region bleibt, wird sie aber trotzdem immer wieder Einsätze beim Betriebshelferdienst übernehmen. „Das ist schon eine gute Sache.”