Tierhaltung | 08. November 2019

Aufnahme von gutem Grundfutter erhöhen

Von Dr. Michael Götz, Eggersriet/Schweiz
Eine negative Energiebilanz nach dem Abkalben kann zu vermehrten Klauenerkrankungen führen. Um den Nährstoffgehalt des Futters zu erhöhen, wird meist mehr Kraftfutter gegeben. Besser jedoch ist es, gutes Grundfutter einzusetzen, zum Beispiel mittels einer Vollweide.
„Das A und O der Fütterung in der frühen Laktation ist die Aufnahme von gutem Grundfutter mit vorsichtiger Dosierung von Kraftfutter", so Professor Holger Martens von der Freien Universität Berlin.
Die Milchbildung hat nach der Geburt des Kalbes eine hohe Priorität. „Die Kuh – eine gute Mutter – denkt nicht an sich”, erklärt es Holger Martens. Er ist Professor am Institut für Veterinär-Physiologie der Freien Universität Berlin. Je mehr wir die Kuh auf Milchproduktion züchten, desto mehr Nährstoffe muss sie aus ihrer Körpersubstanz mobilisieren, denn sie ist immer weniger in der Lage, genügend Futter für die Milchproduktion aufzunehmen.
 
Negative Energiebilanz begünstigt Erkrankungen
„Zwischen Milchleistung und Futteraufnahme besteht eine negative genetische Relation”, hält Martens fest. Er möchte damit sagen, dass im oberen Leistungsbereich die Futteraufnahme relativ zurückbleibt. Je mehr Milch die Hochleistungskuh gibt, desto weniger kommt sie mit dem Fressen nach. Es kommt zu einer negativen Energiebilanz. Je ausgeprägter dieses Manko ist und je länger es andauert, desto eher wirkt sich dies auf die Klauengesundheit aus. Klauenerkrankungen können zwar ganz verschiedene Ursachen haben, doch treten sie bei Kühen mit hoher Milchleistung häufiger auf als bei Kühen mit niedriger Leistung, wie verschiedene Studien zeigen. Zwischen Klauensohle und Klauenknochen befindet sich nämlich ein funktionelles Fettpolster von 10–15 mm Dicke, erklärt Martens. Dies wirke als Stoßdämpfer. Eine lang andauernde negative Energiebilanz kann zu einer Reduktion dieses Fettpolsters führen. Als Folge treten, wie eine Forschungsarbeit zeigt, mehr Sohlengeschwüre und Erkrankungen der weißen Linie auf.
Wie lässt sich die Nährstoffmobilisation aus der Körpersubstanz senken und den negativen Auswirkungen vorbeugen? Die Landwirte geben in der Regel den Kühen mehr Kraftfutter, um den Nährstoffgehalt des Futters zu erhöhen. Damit laufen sie jedoch Gefahr, dass es zu einer Pansenübersäuerung kommt, meist zu einer subakuten Pansenazidose.   Klauenrehe oder Fruchtbarkeitsprobleme können die Folge sein.
 „Das A und O der Fütterung in der frühen Laktation ist die Aufnahme von gutem Grundfutter mit vorsichtiger Dosierung von Kraftfutter”, schreibt Martens. Dafür gebe es kein Patentrezept. Eine Möglichkeit ist es, die Kühe während der Vegetationszeit das Futter selbst suchen zu lassen, wie es der Schweizer Landwirt Jürg Sprenger in Anetswil im  Kanton Thurgau mit der Vollweidehaltung macht.
Seine 90 Jersey-Kühe sind je nach Wetter von März/April bis Oktober/November den ganzen Tag auf der Weide. Gemolken werden sie im Stall und an heißen Sommertagen können sie auch im Stall liegen, um sich vor Stechmücken zu schützen.  „Wir füttern nichts im Stall”, sagt Sprenger. Eine Ausnahme ist der Herbst. Dann bekommen die Kühe im Stall morgens etwas Heu, um Blähungen vorzubeugen. In den Wintermonaten sind die Kühe im Stall mit befestigtem Auslauf und werden ausschließlich mit Heu und Öhmd gefüttert. Silofutter ist wegen der Verarbeitung der Milch zu Appenzeller Käse ausgeschlossen.
 
Weniger ist mehr
Die Kühe von Jürg Sprenger sind während der ganzen Vegetationszeit auf der Weide und kommen nur zum Melken in den Stall.
Die 50 Hektar, die der Landwirt bewirtschaftet, sind Grünland und liefern nichts anderes als Gras. Kraftfutter sehen die Kühe nie. Diese Art der Milchviehhaltung hat der Landwirt in Neuseeland kennengelernt. Die durchschnittliche Milchleistung von Sprengers Kühen liegt bei 4800 kg Milch. Wegen des hohen Fett- und Eiweißgehaltes entspricht dies etwa 5900 kg Fett-/Eiweiß-korrigierter Milch. Der Rassendurchschnitt der Jersey-Kühe in der Schweiz liegt 900 kg höher als bei Sprengers Herde, nämlich bei 5700 kg. „Ich schöpfe das Milchleistungspotenzial nicht aus”, gesteht der Landwirt. Doch dafür habe er gesündere Kühe. Ihre Einsatzleistung ist tiefer als bei Hochleistungskühen und folglich das Nährstoffdefizit zu Beginn der Laktation geringer.
 Klauenkrankheiten kommen in seiner Herde kaum vor. Jedenfalls muss er deswegen keine Kuh ausmerzen. Das dürfte aber nicht nur damit zusammenhängen, dass die Kühe zu Beginn der Laktation weniger Fett abbauen und somit das Fettpolster in der  Klaue bestehen bleibt. „Ich habe noch nie gehört, dass Mortellaro auf Betrieben mit Vollweide auftritt”, hält Sprenger fest. Offensichtlich ist die Infektionsgefahr für Klauenerkrankungen auf der Weide viel geringer.
 
Das Grundfutterpotenzial ausschöpfen
Vollweide führt nur dann zu einer guten Milchleistung, wenn das Gras jung ist. Dann habe es einen hohen Energiegehalt und fast dieselbe Wirkung wie Kraftfutter, sagt Sprenger. Um das Gras jung zu halten, müssen die Kühe alles fressen. Der Landwirt wendet deswegen die Kurzrasenweide an. „Kurzrasenweide funktioniert nur mit hungrigen Kühen”, sagt Sprenger. Fangen die Kühe an zu selektionieren, bleibt Gras stehen und er muss die Weide verkleinern.
 Würde der Landwirt seinen Kühen Kraftfutter füttern, würden sie zwar mehr Milch geben, aber weniger Trockensubstanz von der Weide aufnehmen und die Futterkosten würden steigen. Unter dem Strich bliebe ihm nicht mehr und nicht weniger. Wer Vollweidewirtschaft betreibe, müsse sich vom „Rekorddenken” lösen. Die Milchleistung der einzelnen Kuh ist weniger wichtig als die Milchleistung pro Fläche, erklärt der Landwirt. „Alles, was auf der Wiese wächst, muss zu Milch werden.”
 
Leichte Kühe sind effizienter
Den größten Vorteil der Vollweide sieht Jürg Sprenger in der Arbeitsersparnis.
Auch die richtige Wahl der Rasse ist ein Erfolgsfaktor bei der Weidehaltung. „Leichte Kühe sind effizienter als schwere Kühe”, sagt Sprenger. Eine leichte Kuh hat einen deutlich geringeren Erhaltungsbedarf als eine große. Obwohl sie ein geringeres Schlachtgewicht habe als eine schwere, gleiche sich dies finanziell gesehen durch die Einsparung an Futter aus. Sprenger hat zuerst seine Holsteinkühe mit dänischen Jerseys gekreuzt und verwendet jetzt nur noch Samen von Jerseys aus Neuseeland. Diese seien genetisch besser an die Weide angepasst als die in der Regel im Stall gehaltenen europäischen oder amerikanischen Jerseys.
 Ein weiterer Erfolgsfaktor der Vollweide ist ihr geringer Mechanisierungsaufwand. Diesen Vorteil gelte es auszunutzen, betont der Landwirt, dessen Schlepper schon über 35 Jahre alt sind. Den größten Vorteil der Vollweide sieht der Landwirt in der Arbeitsersparnis. Die Kühe holen sich das Futter selbst und düngen zugleich die Weiden. Im Dezember bis Anfang Januar kann der Landwirt sogar eine Melkpause einschalten, da seine Kühe saisonal abkalben, das heißt vor allem in den Monaten Januar und Februar. Diese Synchronisation der Herde ist allerdings eine große Herausforderung für das Management und lässt sich nicht jedes Jahr gleich gut lösen.