Politik | 10. März 2016

Angeregte Diskussionen im Krisenmodus

Von Walter Eberenz
Als Landesversammlung in der Krise, aber auch als sehr diskussionsfreudige Landesversammlung der offenen Worte wird sich das Hauptereignis 2016 des BLHV für die Mitglieder in die Historie der Landesversammlungen einreihen. Der BLHV freute sich über eine volle Stadthalle in Rheinau-Freistett.
Die Landesversammlung des BLHV 2016 in der Stadthalle in Rheinau-Freistett erfreute sich sehr guten Zuspruchs.2016
BLHV-Präsident Werner Räpple war angetan vom guten Besuch und wertete ihn als „Ausdruck der Gemeinsamkeit und der Stärke des Verbandes”. Weil die Zeiten für die heimische Landwirtschaft aber gerade nicht erfreulich sind, ging er gegenüber den Gästen der  Landesversammlung schnell zum Ernst der Lage über. Perspektiven für die Landwirtschaft aufzuzeigen, sei in der heutigen Zeit nicht so einfach und es gebe keine Patentlösungen. „Dranbleiben und dicke Better bohren”, gab Räpple als Ratschlag für die Bauern und den Verband gleichermaßen zum Besten. Die Erfahrung zeige, dass auf diese Art immer etwas erreicht werden könne.
Angesichts der schwierigen bis desolaten Markt- und Preislage bei wichtigen landwirtschaftlichen Produkten, vor allem bei Milch und Schweinefleisch, aber auch bei Getreide, mahnte Räpple als vordringliche internationale Aufgabe der Politik an, „wieder ein ordentliches Verhältnis mit Russland hinzubekommen”.
Alle Möglichkeiten nutzen
Räpple hält es für wichtig, alle Absatzmöglichkeiten zu nutzen – inklusive Export. „Auf Export nicht verzichten, ohne die Chancen im Inland zu vernachlässigen”, lautet seine Überzeugung. Die Öko-Produktion hält er für ebenso interessant und wichtig, weil sie Aussicht auf stabile Preise biete. Jedoch sei auch Bio nicht die Lösung für alle Probleme. „Nur Öko und nur Direktvermarktung funktioniert nicht”, verdeutlichte der BLHV-Präsident.
Da hohe Prozentsätze der heimischen Erzeugnisse über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) vermarktet werden, sieht Räpple diesen in einer besonderen Verantwortung. Es brauche faire, praktikable Lieferbeziehungen und keinen zügellosen Preisdruck. „Wir brauchen mehr Absprachen, mehr Verbindlichkeit in der Lieferkette”, betonte Räpple.  Ebenso bedürfe es neuer Überlegungen bei den Lieferbeziehungen der Erzeuger zu ihren Vermarktungsunternehmen.
„Kann das sein, dass jeder produzieren kann, was er will?”, warf Räpple als Frage in den Raum und beantwortete sie selbst an einem Beispiel: „Wenn der Erdbeermarkt schon voll ist, muss man nicht den Anbau ausweiten.”
Von der Politik will der BLHV-Präsident ein zweites Hilfspaket, „um kurzfristig Liquidität in die Betriebe zu bekommen”, sowie steuerliche Maßnahmen, die den Betrieben eine Eigenvorsorge ermöglichen. Von EU, Bund und Land forderte er Stabilität in der Förderung ein. Angesichts zunehmender Verunglimpfungen der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit und der anstehenden Landtagswahl forderte Räpple zudem von der Politik, dass sie sich klar zur bäuerlich geprägten, eindeutig familiengeführten Landwirtschaft im Land mit ihren überschaubaren Betrieben und kleinen Tierbeständen bekennt. Als er von der Politik einforderte, öffentlich zu sagen,  „Leute, was ihr macht, ist in Ordnung”, brandete im Saal Beifall auf.
Drei mögliche Entwicklungspfade
Ministerialdirektor Wolfgang Reimer, der Amtschef im Stuttgarter Landwirtschaftsministerium, sieht für die bäuerlichen Betriebe in Baden-Württemberg drei mögliche Entwicklungspfade, wobei jede Familie selbst entscheiden müsse, welchen Weg sie gehe. Ein Teil werde die Zukunft im Größenwachstum sehen, mit starkem Blick auf konkurrenzfähige Produktionskosten. Ein anderer Teil werde sich auf die Produktion von besonderen Produkten in Premium-Qualität konzentrieren und ein weiterer Teil werde seine Zukunft in der Einkommenskombination sehen. „Wir begleiten Sie dabei, indem wir Förderung sowie Beratung anbieten und  unterstützen”, betonte Reimer und warb dabei dafür, die neue Möglichkeit des „Betriebschecks” wahrzunehmen.
Bei Milch sieht Reimer aufgrund der Markt- und Preiskrise einen stärkeren Strukturwandel im Land als bisher voraus. „Wir werden die Liberalisierung nicht mehr zurückdrehen, aber wir können auch nicht alles laufen lassen, da hängt im Land zu viel dran”, verwies Reimer auf die besondere Bedeutung der Milchproduktion gerade in schwer bewirtschaftbaren Regionen und die Konsequenzen für Mensch und Kulturlandschaft. Reimer erachtet einen Steuer-Mechanismus für Krisen als notwendig. Dabei müssten auch die Molkereien mitsteuern. „Man kann doch in der Krise nicht sagen: Gas geben, es werden schon welche überleben”, gab Reimer zu bedenken.
Lebhafte Diskussion
Die Diskussion auf der Landesversammlung entwickelte sich im Anschluss sehr lebhaft und kontrovers, auf insgesamt hohem Niveau. Das mag mit daran gelegen haben, dass der Gastreferent Dr. Christian Bickert (Kasten links), stellvertretender Chefredakteur der DLG-Mitteilungen und Leiter zweier Ackerbaubetriebe im In- und Ausland, das offene Wort bevorzugte und dabei die eine oder andere Position vertrat, die mal den Vertreter der Landesregierung, mal Vertreter der Bauern zum Widerspruch animierte. So bezeichnete sich Bickert beispielsweise als „einwandfreien Befürworter des transatlantischen Handelsabkommens TTIP, ohne Wenn und Aber” und vertrat die Wunsch-Überzeugung: „Der Staat soll für gute Rahmenbedingungen sorgen und möge sich aber aus meinem Betrieb heraushalten”. Nachdem Bickert unter möglichen Sparvorschlägen auch den  Bauernverbandsbeitrag aufführte, nahm das BLHV-Vizepräsident Franz Käppeler mit Humor auf und konterte: „Stellen Sie nicht mehr die Frage zum BLHV-Beitrag, sonst stellen wir die Frage zum DLG-Beitrag.”