Die EU-Kommission will auf Ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) den Anbau aller Ackerkulturen, also auch von Halmgetreide und Mais, zulassen. Dabei dürfen auch Dünge- und Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Das hat die Behörde am Mittwoch mitgeteilt.
Die EU-Kommission will ausnahmsweise alle Kulturen auf ÖVF-Flächen zulassen. Auch die Krisenreserve der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) wird aktiviert.
Bisher hatte EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski erklärt, dass lediglich Proteinpflanzen ohne Einschränkungen angebaut werden dürften und die Beweidung der Brachflächen zugelassen sein sollen. Bei der am Montag abgehaltenen Abschlusspressekonferenz zum EU-Agrarrat wollte der Brüsseler Agrarchef allerdings keine Details nennen und verwies auf die noch anstehende Entscheidung des Kommissarkollegiums bei dieser Frage. Die ist an diesem Mittwoch gefallen mit dem Ergebnis noch weitergehender Ausnahmeregelungen für ÖVF-Flächen.
In der Mitteilung der EU-Kommission heißt es, dass über einen Durchführungsrechtsakt den Mitgliedstaaten „ausnahmsweise und vorübergehend” ermöglicht werden solle, von „bestimmten Greening-Verpflichtungen” abzuweichen. Insbesondere könne der Anbau „beliebiger Kulturen” auf brachliegenden Flächen, die Teil der ÖVF seien, im Jahr 2022 zugelassen werden. Dabei dürfen auch Dünge- und Pflanzenschutzmittel zur Anwendung kommen. Des Weiteren wird betont, dass die Höhe der Greening-Zahlungen beibehalten werden solle.
In diesem Zusammenhang unterstrich Wojciechowski auf Nachfrage, dass die ebenfalls für diesen Mittwoch erwartete Vorstellung des Gesetzes zur Begrenzung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes nicht stattfinde. Zuletzt hatte unter anderem die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) die Kommission aufgefordert, aufgrund des Ukraine-Kriegs zunächst auf Vorschläge zu verzichten, die die Lebensmittelproduktion potenziell einschränken könnten.
Keine Angaben machte der Agrarkommissar hinsichtlich des angekündigten Gesetzesvorschlags zur Ausweitung von Naturschutzgebieten. Neben der Freigabe der Stilllegungsflächen hatte die Brüsseler Behörde bereits Beihilfen zur Privaten Lagerhaltung (PLH) für Schweinefleisch und die Schaffung eines befristeten Beihilferahmens zur Abfederung der Ukraine-Krise angekündigt.
Darüber hinaus soll die diesjährige Krisenreserve der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Höhe von 500Millionen Euro aktiviert werden. Die Höhe der Zahlungen je Mitgliedstaat richtet sich vor allem nach der bewirtschafteten Agrarfläche. So ist für Frankreich mit 89,3 Millionen (Mio.) Euro der größte Betrag aus der GAP-Krisenreserve vorgesehen. Es folgen Spanien mit 64,5Mio.Euro und Deutschland mit gut 60 Mio. Euro.
PLH-Beihilfen „nicht zielführend”
Deutschland hat indes die Pläne der Kommission, nun
doch PLH-Beihilfen für Schweinefleisch zu gewähren, als „nicht
zielführend” bezeichnet. Dies geht aus der offiziellen schriftlichen
Reaktion auf das Maßnahmenpaket der EU-Behörde zur Abfederung der Folgen
des Ukraine- Krieges hervor, das auf dem Brüsseler Agrarratstreffen
diskutiert wurde.
In einer ersten Diskussionsrunde beim Treffen des Sonderausschusses
Landwirtschaft (SAL) vergangene Woche hatten sich bereits Spanien,
Italien und Polen skeptisch gegenüber diesen Markteingriff „zum jetzigen
Zeitpunkt” gezeigt. Wie diese Mitgliedsländer verweist auch Deutschland
auf die jüngst eingetretene Markterholung. Zudem gibt Berlin zu
bedenken, dass die Fleischwirtschaft dazu in der Lage sein wolle,
eingelagertes Schweinefleisch zur Grillsaison flexibel auslagern zu
können. Dafür wären im Fall der Inanspruchnahme einer Beihilfe aber
zeitlich enge Grenzen gesetzt.
Freier Handel und offene Märkte
Unterstützt wird von Deutschland dagegen eine
Freigabe des Aufwuchses auf Ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) für die
Futternutzung als Beitrag zur Versorgung der Tierbestände. „Wir
verfolgen dabei die Ziele des Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie
konsequent weiter”, heißt es in der Stellungnahme. Letztlich seien auch
der Umfang der Tierhaltung und die Relationen der Erzeugung für
Nahrungszwecke, Futterzwecke und Energieerzeugung Stellschrauben, die
mittelfristig genutzt werden müssten. Darüber hinaus wird unterstrichen,
dass der freie Handel und offene Märkte in der derzeitigen Situation
von „großer Bedeutung” seien. Für die Funktionsfähigkeit der globalen
Lebensmittellieferketten sei es wichtig, dass der innereuropäische
Handel reibungslos funktioniere.
Handelsbeschränkungen seien in der gegenwärtig angespannten Marktlage
„völlig kontraproduktiv”. Entsprechende Maßnahmen einzelner
Mitgliedstaaten verschärften die Versorgungslage und seien für die
betroffenen Handelsunternehmen existenzbedrohend. Die Kommission wird
daher aufgefordert, sicherzustellen, dass der Handel innerhalb der EU
auch weiterhin reibungslos funktioniert.
DBV begrüßt Entscheidung aus Brüssel
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, sieht in der Mitteilung der EU-Kommission vom 23. März, die „Ernährungssicherheit und Resilienz der Ernährungssysteme in den Mittelpunkt” zu stellen, eine deutliche Veränderung in der Prioritätensetzung der EU: „Die EU-Kommission hat die Notwendigkeit erkannt, der Ernährungssicherung in der EU den Vorrang zu geben. Diese Neujustierung ist ein wichtiger Schritt, muss aber auch langfristig Bestand haben. Deshalb muss jetzt auch beim Green Deal an einigen Punkten nachgebessert werden. Versorgungssicherheit muss zwingend auch im Green Deal eine tragende Rolle spielen. Pauschale Reduktionsvorgaben etwa beim Pflanzenschutz sind kontraproduktiv und widersprechen dem Ziel der zuverlässigen Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln”, so Joachim Rukwied.
Der Deutsche Bauernverband stehe grundsätzlich zu den Zielen, Klima- und Artenschutz voranzubringen. „Es muss eine Balance gefunden werden, Ernährungssicherung und Klimaschutz gleichermaßen zu gewährleisten”, betont der Präsident des Deutschen Bauernverbandes.