Erfreulich für Pferde und ihre Besitzer: Sie werden immer häufiger sehr alt. Und das oft bei guter Gesundheit. Dennoch unterscheiden sich die Bedürfnisse der vierbeinigen Senioren von denen junger Pferde und solcher im besten Sportalter.
Der Alterungsprozess von Pferden ist wesentlich von der genetischen Veranlagung abhängig. Dennoch spielt die Langlebigkeit in der Pferdezucht nur eine untergeordnete Rolle. Kaltblüter, Friesen oder Quarterhorses erreichen nur selten das Alter von Vollblütern. Kleinpferde und Ponys werden nicht selten bei guter Gesundheit fast vierzig Jahre alt.
Frühzeitige Abgangsursachen sind vielfach auf haltungs- und nutzungsbedingte Einflüsse zurückzuführen: Lahmheiten durch Unfall oder Verschleiß, Koliken aufgrund von Stress, mangelhafter Futterqualität und Fehlern im Fütterungsmanagement, chronische Lungenprobleme.
Immer häufiger bringen Gnadenbrotpferde Stoffwechselerkrankungen wie Equines Metabolisches Syndrom (EMS) und Equines Cushing Syndrom (ECS) mit Hufrehe in einem weit fortgeschrittenen Stadium mit. Sie gelten als Wohlstandserkrankungen – verursacht durch zu nahrhaftes Futter und zu wenig art- und verhaltensgerechte Bewegungsmöglichkeiten. Auf diese Hypotheken der Pferdegesundheit muss der Gnadenbrotbetrieb sich mit einem angemessenen Angebot einstellen.
Wann geht’s in Rente?
Trotz körperlichem Verfall können alte Pferde sich bei guter Haltung noch lange wohlfühlen.
Durch Verschleiß, Unfälle oder Krankheit können
Pferde bereits in jungen Jahren zum nicht mehr nutzbaren Rentner
werden. Neben der Genetik spielen äußere Einflüsse wie gute Aufzucht-
und Haltungsbedingungen sowie eine bedarfs- und artgerechte Fütterung
eine wesentliche Rolle für das Renteneintrittsalter und das Tempo des
Alterungsprozesses. Das alte Sprichwort „Ein Jahr länger Fohlen, zehn
Jahre länger Pferd” beschreibt darüber hinaus die Bedeutung eines
schonenden und auf den wachsenden Pferdekörper abgstimmten
Ausbildungsbeginns und einer Reitweise, die frühzeitigem Verschleiß
vorbeugt.
Der sichtbare Alterungsprozess, nachlassende
Leistungsfähigkeit als Reitpferd, Verletzungen oder Verschleiß
veranlassen Pferdehalter zum Umzug ihrer Tiere in extensivere und
artgerechte Haltungsformen, insbesondere wenn die Tiere in der aktiven
Zeit in Boxen und Paddockboxen gehalten wurden. Gnadenbrotbetriebe
verfügen meist über eine großzügige Flächenausstattung und liegen
abseits von Ballungszentren und Kundennähe. Die Haltererwartung, dass die Unterbringungskosten für einen
Senior günstiger als für das aktive Reitpferd sein sollten und
möglicherweise die Anschaffung eines Nachfolgers ermöglichen, erfüllt
sich bei genauer Betrachtung jedoch nur selten, ohne auf Kosten der
Pferde zu gehen.
Für die Kalkulation des Stallbetreibers stehen bei
der Haltung von alten Pferden andere Parameter im Vordergrund als bei
der Haltung von aktiven Sport- und Freizeitpferden. Die Ansprüche der
Einsteller an die reiterliche Infrastruktur wie Halle, Außenplatz oder
Longierzirkel nehmen ab. Mit zunehmendem Alter und altersbedingten
Zipperlein oder den Spätfolgen von Verletzungen und Verschleiß aus einer
aktiven Sportkarriere bekommen Pflege- und Betreuungsarbeiten oder eine
individuelle Fütterung einen neuen Stellenwert.
Alte Pferde bedeuten Mehraufwand
Kosten werden hier
durch einen Mehrbedarf an Arbeitszeit mit dem Pferd und in der
intensiven Tierbeobachtung generiert. Die Erwartung, dass ein
sogenanntes Gnadenbrotpferd annähernd zum Selbstkostenpreis bei
bedarfsgerechter Versorgung auf einer Koppel gehalten werden kann, ist
unrealistisch. Auf alte Pferde spezialisierte Pensionsbetriebe verfügen
idealerweise über große Weideflächen mit Unterständen, in denen Pferde
im Trockenen bequem liegen und leicht aufstehen können.
Im
höherpreisigen Segment steht ein Offenstall mit großzügigem
Bewegungsangebot auf Allwetterpaddocks und Weidegang zur Verfügung. In
Bewegungsställen bleiben aktive Pferde idealerweise auch nach der
„Pensionierung” in der gewohnten Herde. Ältere Pferde kommen mit
automatischen Fütterungssystemen gut zurecht. Die Gewöhnung an solche
Systeme fällt aber auch Pferden umso leichter, je jünger und
unbeschwerter sie sich noch innerhalb der Herde bewegen können.
Die
Akzeptanz von Fressständen und Fütterungsautomaten ist wesentlich von
der Fähigkeit abhängig, sich in der Herde souverän und angstfrei zu
bewegen. Wirken ältere Pferde tüddelig, starrsinnig und unflexibel, ist
das meist auf ein Nachlassen der Hör- und Sehfähigkeit und entsprechende
Unsicherheit zurückzuführen. Diesen Pferden geben feste Strukturen im
Raum und in der Zeit Sicherheit.
Einzeltierbetreuung
Halter von Gnadenbrotpferden leben
oftmals nicht in Pferdenähe und geben die Rundumversorgung an den
Stallbetreiber ab. Dieser muss für regelmäßige und aufwendige Pflege-
und Betreuungstätigkeiten ausreichend Arbeitszeit kalkulieren. Alte
Pferde sind meist ruhiger, wenngleich mancher Wallach bis ins hohe Alter
spielt.
Dennoch sind die Tierbeobachtung und das Herdenmanagement
zentraler Bestandteil der Tierbetreuung. Dies ist umso wichtiger, wenn
die Herde altersgemischt ist und junge Tiere den älteren durch Rüpeleien
oder Spielaufforderungen ständig zusetzen. Hinzu
kommt möglicherweise täglich eine Behandlung des Einzeltieres durch
Medikamentengabe, Ekzempflege, Hufkontrolle und Reinigung sowie
Einzelfütterung zur ausreichenden Energieaufnahme bei Fressproblemen
oder für Zusatzfuttermittel.
Wichtige Indizien für den Zustand und
Alterungsprozess des Pferdes sind neben Veränderungen der Fellqualität
und dem Ergrauen der Ernährungszustand und das Fressverhalten. Eine
wenigstens jährliche Zahnkontrolle gibt Aufschluss über den Abrieb der
Kauflächen und die Fähigkeit, Heu zu kauen und zu verwerten. Wackelzähne
müssen gezogen und die Stellung der verbleibenden Zähne kontrolliert
werden.
Fütterung anpassen
Ältere Pferde haben mit zunehmenden altersbedingten
Resorptionsproblemen einen erhöhten Energiebedarf, der aus Gründen der
Verdauungsphysiologie nicht einfach durch zusätzliches Kraftfutter
kompensiert werden darf. Auch Herz-Kreislauf-Probleme wirken sich
negativ auf die Verdauung aus. Hochwertiges Heu und bei Zahnproblemen
zusätzlich, möglicherweise sogar mehrmals täglich, eingeweichte Grascobs
müssen die Versorgungslücken ausgleichen. Problemtiere sollen das
Futter in Ruhe und unbehelligt von futterneidischen Artgenossen
aufnehmen können. Pferde mit Zahnproblemen und hastige Fresser neigen zu
Schlundverstopfung.
Durch die individuelle Tierbeobachtung müssen
Schmerzzustände aufgedeckt und in Zusammenarbeit mit dem Tierarzt
behandelt werden. Unbehandelt sind sie tierschutzrelevant. Sie können
bei alten Pferden im Bereich des Bewegungsapparates und der Verdauung
chronisch, aber auch schubweise auftreten. Hierfür muss das Pferd aus
der Herde genommen und möglicherweise täglich einzeln behandelt werden.
Es
ist ratsam, die Tiere bei großzügiger Weidehaltung darauf zu
konditionieren, zu den Kontrollbesuchen freiwillig zum Betreuer zu
kommen. Dabei werden auch Veränderungen der Bewegungsfähigkeit des
einzelnen Tieres im Tagesvergleich offensichtlich. Zur Erhaltung des
Bewegungsapparates sollten auch ältere Pferde auf Weiden und in
Ausläufen reichlich Bewegungsanreize in gemäßigtem Tempo erhalten.
Herdenmanagement
Pferdesenioren brauchen auch bei extensiver Haltung regelmäßige Hufpflege und bei schlechter Hufqualität oft bis ins hohe Alter einen angemessenen Hufschutz. Die Arbeiten von Hufschmieden oder -pflegern werden dabei seltener vom Besitzer selbst begleitet, sondern müssen vom Stallbetreiber oder Schmied geleistet werden. Dies muss bei der Kostengestaltung kalkuliert oder als Sonderleistung in Rechnung gestellt werden.
Während viele Pferdehalter in der aktiven Zeit des Tieres wenig moralische Bedenken bei der Boxenhaltung haben, soll der Senior fast immer seinen Lebensabend in einer Herde genießen. Der Stallbetreiber steht häufig vor der Herausforderung, Pferde mit mangelhafter Sozialkompetenz in eine Herde einzugliedern. Dies muss sehr behutsam und am besten in Kleingruppen sympathisierender Integrationstiere erfolgen.
Es gibt aber immer einzelne Tiere, die diesen Schritt nicht schaffen. Bei anhaltendem Aggressionsverhalten durch Unsicherheit und Dauerstress muss der Integrationsversuch zum Schutz des Tieres und der gesamten Herde abgebrochen werden. Manche Pferde genießen den täglichen Weidegang ebenso wie die nächtliche Ruhe in einer Einzelbox, wo sie sich auch ihrer individuellen Ergänzungsration widmen können. Für den Stallbetreiber ist dies ein arbeitswirtschaftlicher Mehraufwand, der angemessen entlohnt werden muss.
Zustand richtig beurteilen
Viele alte Pferde ergrauen zunehmend im Gesicht.
Äußerlich sichtbare Alterungsprozesse münden früher oder später in körperlichen Verfall. Von der grauen Stirn bis zum weißen Kopf, in „durchtrittigen” Gelenken, atrophierter Muskulatur und zunehmender Abmagerung ist das Alter abzulesen. Während Großpferde diesen markanten körperlichen Zustand nicht selten zwischen dem 25. und 30. Lebensjahr erreichen, ist er bei Ponys um das 35. Lebensjahr erreicht.
Das Aussehen allein gibt jedoch keinen Aufschluss über das Wohlbefinden der alten Tiere. Dennoch ist ihre Außenwirkung bei besorgten Nachbarn und Passanten gelegentlich erklärungsbedürftig. Dies sollte jedoch kein Grund sein, alte Tiere wegzusperren.
Stallhalter und Betreuer sind gefragt, durch sachkundige und kritische Tierbeobachtung den Zustand und die Lebensqualität der Tiere einzuschätzen. Spätestens wenn die Herde alte, gebrechliche Tiere ausgrenzt, am Futter ohne aktive Gegenwehr verdrängt und die Tiere sich selbst in Randbereiche der Herde oder der Weide zurückziehen, muss das Gespräch mit dem Tierbesitzer im Hinblick auf die rechtzeitige Euthanasie gesucht werden. Dies ist in der Pensionspferdehaltung von Senioren sicher das schwierigste Kundengespräch, das viel Fingerspitzengefühl erfordert.
große Verantwortung
Umso wichtiger ist es, das Thema bereits bei der Aufnahme des vierbeinigen Pensionärs und später regelmäßig anzusprechen. Für den Stallbetreiber ist es hier besonders wichtig, seine Position und persönlichen „roten Linien” zu kommunizieren. Haben die Tierbesitzer in den letzten Lebensjahren nur noch spärlich Kontakt zu ihren Tieren, liegt beim Betreuer die Verantwortung für die richtige Einschätzung des Gesundheitszustandes. Vielen Besitzern fehlt der Mut, die letzte Entscheidung zu einem Zeitpunkt zu treffen, der dem Tier Leid erspart. Hier ist das psychologische und kommunikative Geschick des Betriebsleiters gefordert.
Die Haltung von Gnadenbrotpferden ist für Betriebe interessant, die abseits der Ballungsräume über eine gute Flächenausstattung verfügen. Sie eignet sich zur Nutzung von Altgebäuden mit ausreichend Grünland um den Hof. Dennoch ist sie im Hinblick auf die große Verantwortung für Tiere in einer sensiblen Lebensphase anspruchsvoll und erfordert Sachkunde
Vertrauensverhältnis ist wichtig
Die Pferdebesitzer besuchen den Betrieb häufig nicht regelmäßig, sodass
die Betreuungskomponente des Besitzers für den Stallbetreiber entfällt.
Allerdings braucht der Stallbetreiber bei besonders sensiblen Themen wie
der Vermittlung wichtiger tierärztlicher Behandlungen, der
Intensivierung der Einzeltierversorgung und einer damit verbundenen
Steigerung des Pensionspreises oder dem Thema Euthanasie besonderes
Fingerspitzengefühl. Insofern sind ein vertrauenerweckendes Auftreten
und die zuverlässige Erbringung der vereinbarten Leistungen die
wesentliche Basis für den Geschäftserfolg. Denn nicht zuletzt die
oftmals weite räumliche Entfernung lässt beim Kunden Misstrauen zurück.
Nicht selten laufen alte Pferde auf einzelnen Low-Budget-Betrieben wieder im Reitbetrieb, werden sich selbst überlassen oder sind längst weiterverkauft, geschlachtet oder euthanasiert, während der Kunde im guten Glauben über Monate und Jahre regelmäßig die Pension überweist. Im Zeitalter sozialer Medien beeinflussen solche Kundenerfahrungen die öffentliche Meinung über ganze Betriebszweige und Dienstleistungsangebote. Umso wichtiger sind die angemessene Kalkulation der für das Tierwohl notwendigen Leistungen und ihre Entlohnung. Schließlich kosten auch Alten- und Pflegeheime für den Menschen mehr als ein Stellplatz auf dem Zeltplatz.