Betrieb und Wirtschaft | 30. April 2014

Als Handwerker das Ausland entdecken

Von red
Als Handwerker das Ausland entdeckenEin Auslandspraktikum kennt man vor allem vom Studium. Aber auch für junge Handwerker lohnt es sich, Erfahrungen in London, Paris oder Madrid zu sammeln. Man lernt neue Techniken, Sprachen und Freunde kennen – und erhält spannende Einblicke in den Arbeitsalltag anderer Länder.
London, Paris, Madrid... Auch als Azubi im Handwerk kann man für ein Praktikum ins Ausland gehen.
Als Azubi oder Geselle, innerhalb Europas oder bis nach Amerika und Asien – die Nachfrage bei den Austauschprogrammen steigt. Allein 2012 absolvierten über 1800 junge Handwerker ein Praktikum im Ausland, wie das Kampagnenbüro Handwerk mitteilt. Einer von ihnen ist Konditor-Lehrling Jan Augustin, der heute noch begeistert an seinen Spanien-Aufenthalt zurückdenkt: „Madrid ist pulsierend, bunt und lebendig – einfach eine großartige Stadt!” Der 29-Jährige arbeitete im März 2013 für drei Wochen in einem Bäckerei- und Konditorei-Betrieb in der spanischen Hauptstadt. Ermöglicht hat ihm das ein Stipendium des „Leonardo da Vinci”-Programms für Lebenslanges Lernen. Die Kooperation kam über das Mobilitätsberaternetzwerk „Berufsbildung ohne Grenzen” zustande.
Andere Dimensionen
Auch Clemens Sander hat vom „Leonardo da Vinci”-Programm profitiert. Der 18-jährige Tischler-Lehrling bekam im Mai 2013 die Chance, für drei Wochen in Paris an der Opéra Bastille zu arbeiten. Aus einem kleinen Drei-Mann-Betrieb im nordrhein-westfälischen Schwanenberg kommend, war die Arbeit an der Pariser Oper eine überwältigende Erfahrung für den Junghandwerker: „Das war wie eine 180-Grad-Drehung, komplett anders als das, was ich von Zuhause kannte”, berichtet er. „Die Dimensionen waren riesig, da wir ganze Bühnenbilder hergestellt haben.” Zudem konnte er neue Arbeitsweisen von seinen französischen Kollegen lernen, die mit „ganz anderen Techniken und Maschinen gearbeitet haben”.Warum es wichtig sein kann, solche Erfahrungen im Ausland zu sammeln, weiß Julika Ullrich von der Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk: „Die Azubis können über den Tellerrand schauen, etwas Neues erleben.” Auch die Betriebe profitieren von den interkulturellen Erfahrungen der Lehrlinge. „Sie kommen motivierter und selbstbewusster zurück, haben ihre Fremdsprachenkenntnisse und sozialen Kompetenzen erweitert.”
Bundesweites Beraternetzwerk
Ullrich ist eine von 26 Mobilitätsberatern der Handwerkskammern, die Austausch-Azubis bei ihren Praktikumsplänen unterstützen.  „Wenn ein Betrieb einmal am Programm teilgenommen hat, wird der Austausch aufgrund der positiven Erfahrungen oft mit anderen Azubis wiederholt”, berichtet Ullrich. So wurde auch das Austauschprojekt von Konditor-Lehrling Jan Augustin mit den Handwerkskammern Aachen und Mittelfranken und Handwerksbetrieben aus Madrid bereits zum zweiten Mal organisiert. Augustin besuchte zunächst die ortsansässige Berufsschule, um danach die Arbeitsweise im Betrieb kennenzulernen. „Zuerst dachte ich, der Arbeitsalltag dort wäre leichter, aber das genaue Gegenteil war der Fall – die Bäcker arbeiten bis zum Geht-nicht-mehr”, erinnert sich Augustin. Er lernte durch seinen Aufenthalt ein anderes Spanien kennen, als er aus seinen Sommerurlauben kannte. Er sei zwar in einer schwierigen Zeit in Spanien gewesen, aber die Menschen wollten sich durch die Wirtschaftskrise auch nicht ihre Lebensfreude nehmen lassen. Durch viele Kontakte zu Einheimischen verbesserten sich nebenbei seine Spanischkenntnisse. „Die sprachliche Hürde war anfangs schon da, aber ich besuchte fachbezogene Sprachkurse und in meiner Gastfamilie musste ich zwangsläufig Spanisch sprechen, um mich zu verständigen.”
Auch Tischler-Lehrling Clemens Sander will seine Erfahrungen an der Pariser Oper nicht missen: „Wir haben für das Stück Aida das Bühnenbild und die Kulissen gebaut, zum Beispiel den Triumphbogen”, sagt der Junghandwerker. Zudem erhielt er die Möglichkeit, eine Opern-Aufführung als Zuschauer zu erleben. Für das Stück „Julius Cäsar” hatte er von seinem Betrieb Freikarten bekommen. „Das war auf jeden Fall eine schöne Erfahrung”, erinnert sich Sander.
Erfahrung Gold wert
Einig sind sich die Austausch-Azubis darin, den Auslandsaufenthalt weiterempfehlen zu können: „Die Zeit im Ausland bringt einen in der persönli-chen Entwicklung auf jeden Fall weiter”, ist sich Jan Augustin sicher. „In einer unbekannten Situation zurechtzukommen und zu merken, dass man das schaffen kann – dafür ist diese Erfahrung Gold wert.” Die Erlebnisse in Paris haben Clemens Sander dazu bewogen, sogar über eine weitere Station im Ausland nachzudenken: „Vielleicht gehe ich nach meiner Ausbildung nochmal ins Ausland”, sagt der Nachwuchs-Tischler. „Neue Eindrücke sammeln und Freunde in anderen Ländern finden – das macht einfach Spaß.”
Auslandspraktikum: Hier gibt es Hilfe
Viele Handwerkskammern bieten Austauschprogramme an. Das Mobilitätsberaternetzwerk „Berufsbildung ohne Grenzen” wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag unterstützt. Gefördert wird das Programm aus Mitteln von Bund und Europäischem Sozialfonds. Die Mobilitätsberater an den Handwerkskammern beraten Azubis oder Gesellen, die ins Ausland wollen. Sie helfen bei der Abstimmung mit Unternehmen, Berufsschule und Handwerkskammern oder bei der Suche nach Partnerunternehmen im Ausland. Durch Info-Abende und Werbung in Berufsschulen und Betrieben machen sie auf Austausch-Programme  aufmerksam.