Betrieb und Wirtschaft | 08. Oktober 2020

Abgeordnete machten sich schlau

Von René Bossert
Agri-Photovoltaik biete gerade für Baden-Württemberg gute Perspektiven, allerdings hemmen die Rahmenbedingungen in Deutschland bislang ihre Entwicklung. Das war das Fazit einer Anhörung, die vergangene Woche im Stuttgarter Landtag stattfand.
Experten erklärten vor dem Landtagsausschuss für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, wie auf geeigneten Flächen gleichzeitig Nahrungsmittel und  Strom erzeugt werden können. Die öffentliche Anhörung konnte per Livestream mitverfolgt werden. Der Grünen-Abgeordnete und Ausschussvorsitzende Martin Hahn zeigte sich  davon überzeugt, dass  die hybride Landnutzung Agri-Photovoltaik (APV) dringend gebraucht werde, und sicherte die Unterstützung des Parlaments für den Ausbau in Baden-Württemberg zu. 
Die Agri-Photovoltaik in Baden-Württemberg steckt noch in den Kinderschuhen, aber es gibt schon erste Anlagen. Hier im Bild eine Anlage mit vertikalen Modulen, zwischen denen Grünland-Nutzung stattfindet. Sie wurde von der Firma Next2Sun in Donaueschingen-Aasen gebaut und wird kommende Woche in Betrieb genommen.

Ein Tag vor der Anhörung hatten sich das Stuttgarter Landwirtschafts- und Umweltministerium   darauf verständigt, eine Durchführungsstudie für den Ausbau von APV-Anlagen  zu fördern. Dabei soll es um  zehn
Anlagen gehen, sagte  Max Trommsdorff vom damit beauftragten Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Das Projekt trägt den Titel „APV 5+5”, weil fünf Praxissstandorte und fünf Forschungsstandorte untersucht werden sollen.  
Baden-Württemberg gut geeignet
Baden-Württemberg ist nach Trommsdorffs  Auffassung sehr gut für die APV  geeignet. Das Land habe hohe Bodenpreise, wodurch sich eine Doppelnutzung von Flächen  aufdränge. Zudem sei die Sonneneinstrahlung so hoch wie in keinem anderen Bundesland und zugleich gebe es einen hohen Sonderkultur-Anteil in der Landwirtschaft. Auch im Weinbau sieht er gute Perspektiven. Synergieeffekte könnte es dabei beispielsweise durch Heizdrähte unter den Modulen geben, die Frostschäden verhindern könnten.
   Landwirtschaftsminister Peter Hauk sieht bei der APV große Potenziale im Sinne der Energiewende. Bei allen Überlegungen müssten aber die Belange der Landwirte  und die landwirtschaftliche Nutzung im Zentrum  stehen. Hauk dämpfte vor dem Ausschuss die Hoffnung auf schnelle Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen. Ziel müsse eine baurechtliche Privilegierung für APV im Außenbereich sein. Allerdings sei das Bundesbaugesetz im Moment gerade nicht in der Überarbeitung.
Hennen unter dem Solardach
Hilfreich wäre auch, dass für   APV-Flächen auch Direktzahlungen gewährt werden, was bisher in Deutschland  nicht der Fall sei.  Eine Klage eines Landwirts aus Bayern in dieser Sache sei noch anhängig. Im Vergleich zu den Erlösen aus Strom und der landwirtschaftlichen Produktion bei Sonderkulturen sei jedoch die Flächenprämie von untergeordneter Bedeutung.
Wichtig seien Synergieeffekte, die sich bei Sonderkulturen beispielsweise beim Hagelschutz ergeben. Auch bei der Freilandhaltung von Hühnern – Stichwort Vogelschutz – sieht Hauk mögliche Synergieeffekte. Dazu müsste allerdings eine EU-Vermarktungsnorm für Eier geändert werden. Die EU-Kommission habe dieses Thema auf der Agenda.
 Eine  Änderung der Ökokonto-Verordnung des Landes dergestalt, dass  APV-Anlagen als  Kompensationsmaßnahmen anerkannt werden, sieht Hauk als möglich an. Allerdings gebe es dazu noch unterschiedliche Ansichten  im Landwirtschafts- und im Umweltministerium.
 Ein eigenes Fördersegment für APV im EEG habe Baden-Württemberg in einem Brief an die zuständigen Berliner Ministerien angeregt. Aber  eine rasche Änderung des EEG sehe er nicht, so Hauk. 
Der Landwirt Florian Reyer von der Hofgemeinschaft Heggelbach am Bodensee zeigte sich  überzeugt vom Potenzial der APV. Er betreibt seit 2016 in einem Pilotprojekt die erste Anlage in Baden-Württemberg. Unter den auf einer Trägerkonstruktion angebrachten Solarzellen  wachsen Kartoffeln, Sellerie und Weizen. Reyer berichtete von leichten Mindererträgen, mit denen er aber dank der Erzeugung umweltfreundlichen Stroms gut leben könne.
Reyer mahnte, angesichts des Potenzials der Technologie die Belange der bäuerlichen Erzeuger nicht zu vergessen. Es dürfe nicht sein, dass am Ende vor allem Verpächter von landwirtschaftlichen Flächen zum Zuge kommen, aktive Landwirte dagegen kaum.
 Stephan Schindele von der BayWa r.e  kritisierte  die  Hürden, denen sich die Agrophotovoltaik in Deutschland gegenübersehe. Japan, Frankreich und die Niederlande dagegen hätten deren Potenzial längst erkannt und unterstützten die Technologie.
 
Synergieeffekte
Besonders unverständlich sei, dass das EEG ein Fördersegment für APV  bisher nicht vorsehe. Dies müsse die Politik über den Weg einer Verordnungsermächtigung im Rahmen der laufenden EEG-Novelle rasch abstellen.
 Schindele, dessen Unternehmen komplette APV-Anlagen liefert, berichtete von  Synergieeffekten für Landwirte, deren Kulturen vor Regen, Hagel und Sonneneinstrahlung geschützt werden müssen. Überall dort, wo Folien oder Netze angebracht würden, könnten auch Solarzellen installiert werden. 
Solarmodule in der APV können nicht nur horizontal, sondern auch vertikal aufgebaut werden. Darauf hat sich das Unternehmen Next2Sun in Merzig spezialisiert, für das Heiko Hildebrandt  sprach. Eine kommerzielle Anlage von Next2Sun geht nächste Woche in Donaueschingen-Aasen in Betrieb. Die Module arbeiten bifazial, können das Sonnenlicht also beidseitig verwerten. Zudem erlaubten
variable Zwischenräume von sechs bis 20  Metern zahlreiche landwirtschaftliche Nutzungskonzepte, in Donaueschingen sei das Grünland. Würden die Module konsequent nach Ost-West errichtet, seien Lastspitzen in den Morgen- und Abendstunden zu erreichen, antizyklisch zu den vorherrschenden Südanlagen. Das könne zur Netzstabilität beitragen.