Politik | 07. April 2016

Wissenschaftler sehen schöne, ferne Zeiten

Von AgE
Das Thünen-Institut (TI) schätzt die längerfristigen Perspektiven für die Milcherzeuger ungeachtet der aktuell schwierigen Marktlage positiv ein. Das Institut geht für die kommenden Jahre insgesamt von stabilen Betriebseinkommen in der Landwirtschaft aus.
Aufwärts: Laut den Projektionen des Thünen-Instituts liegen die Einkommen je Arbeitskraft in den kommenden zehn Jahren im Schnitt über dem mittleren Niveau des vergangenen Jahrzehnts.
Für Milchprodukte bestimmten langfristig die günstigen Absatzaussichten auf den globalen Märkten die Entwicklung, heißt es in den Projektionen der „Thünen-Baseline 2015-2025”, die die Forschungseinrichtung jetzt vorgelegt hat. Darin gehen die Wissenschaftler für das Jahr 2025 von einem mittleren Milcherzeugerpreis in Deutschland von fast 38 Cent/kg aus. Steigende Erzeugerpreise und eine starke Zunahme der durchschnittlichen betrieblichen Milcherzeugung werden sich nach den Projektionen der Braunschweiger Ökonomen in der Einkommensentwicklung der Milchviehbetriebe niederschlagen.
Demnach steigt das Einkommen der Milchviehbetriebe bis 2025 im Schnitt um 35 Prozent gegenüber dem Basisjahrzeitraum und liegt damit höher als in anderen Betriebsformen. Ebenso wie die Thünen-Wissenschaftler beurteilt auch die Bundesregierung die mittel- und langfristigen Aussichten am Milchmarkt weiterhin günstig. Diese Aussichten seien nahezu unverändert und beinhalteten moderat steigende Erzeugerpreise, so der Parlamentarische Staatssekretär vom Bundeslandwirtschaftsministerium, Peter Bleser, in seiner Antwort auf eine Schriftliche Frage des Agrarsprechers der grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff. Der warf dem Ministerium und dessen Chef Christian Schmidt daraufhin „Wirklichkeitsferne” und Untätigkeit angesichts der aktuellen Krise auf dem Milchmarkt vor.
„Misere lediglich temporär”
Für das Thünen-Institut ist die derzeitige Misere auf dem Milchmarkt lediglich temporär. In ihrem Bericht „Thünen-Baseline 2015–2025: Agrarökonomische Projektionen für Deutschland” sprechen die Wissenschaftler von einer „momentanen Konsolidierungsphase nach Auslaufen der Quotenregelung”. Langfristig kämen jedoch die günstigen Aussichten auf den internationalen Märkten zum Tragen. In Deutschland dürfte laut Thünen-Bericht die steigende Nachfrage nach Käse und Milchpulver in den nächsten Jahren anhalten. Gleichzeitig werde die Nachfrage nach Trinkmilch stagnieren, während der Verbrauch von Butter weiter zurückgehe.
Die Forschungseinrichtung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erwartet aufgrund steigender Milchpreise und des Auslaufens der Milchquotenregelung eine Ausdehnung der Milcherzeugung hierzulande in den nächsten zehn Jahren, und zwar auf rund 37 Millionen Tonnen. Dies würde gegenüber dem Referenzzeitraum 2009 bis 2011 einen Zuwachs um nahezu ein Viertel bedeuten. Fortsetzen wird sich den Modellrechnungen der Ökonomen zufolge die regionale Konzentration der Milchproduktion im Bundesgebiet. Überdurchschnittlich wachsen wird die Milchproduktion demnach in den Küstenregionen, am Niederrhein, in einigen Mittelgebirgslagen sowie im Allgäu und im Voralpenland.
Stabile Einkommen erwartet
Das Thünen-Institut geht für die kommenden Jahre insgesamt von stabilen Betriebseinkommen in der Landwirtschaft aus. Laut den Projektionen der Thünen-Baseline liegen die Einkommen je Arbeitskraft in den kommenden zehn Jahren im Schnitt über dem mittleren Niveau des vergangenen Jahrzehnts. Allerdings weisen die Modellrechnungen deutliche Unterschiede zwischen den Betriebsformen aus.
In Ackerbaubetrieben soll sich demnach das Einkommen auf dem Niveau des Basiszeitraums 2009 bis 2011 stabilisieren. Nicht ganz erreicht werde allerdings das Niveau der Wirtschaftsjahre 2012/13 und 2013/14. Der deutliche Rückgang der realen Schweinefleischpreise dämpft den Modellrechnungen zufolge die Einkommen in den Gemischt- und Veredlungsbetrieben. Allerdings profitierten diese Betriebe von steigenden Geflügelfleischpreisen, vergleichsweise preiswerter Energie und günstigen Importfuttermitteln sowie den Änderungen bei den Direktzahlungen im Rahmen der jüngsten EU-Agrarreform. Gegenüber dem Basiszeitraum weisen die Projektionen einen Einkommensanstieg um elf Prozent in den Gemischt- und um 16 Prozent in den Veredlungsbetrieben aus.
Blick auf Fleisch und Getreide
Laut Thünen-Institut wird die Produktion von Schweinefleisch in Deutschland bis 2025 um vier Prozent und die von Geflügelfleisch um 20 Prozent steigen. Aufgrund zunehmender Umweltauflagen sei jedoch davon auszugehen, dass sich der Produktionszuwachs abschwächen werde. Die Rindfleischerzeugung nehme in den kommenden Jahren leicht ab und erreiche 2025 rund  1,1 Millionen Tonnen.
Wie aus den Projektionen der Thünen-Wissenschaftler außerdem hervorgeht, dürften extensive Getreidearten in den kommenden Jahren zugunsten der Weizenproduktion an Bedeutung verlieren. Bei kaum verändertem Anbauumfang werde die Getreideerzeugung in Deutschland bis 2025 im Vergleich zum Basiszeitraum um rund 13 Prozent  steigen. Die Ölsaatenerzeugung wird dem TI zufolge aufgrund von Ertragszuwächsen trotz deutlicher Einschränkung der Anbauflächen  nahezu konstant bleiben.  Aufgrund der hohen Wettbewerbsfähigkeit von Energiemais für die Biogaserzeugung nehme dessen Anbau zu.
Die Wissenschaftler betonen, dass ihre Baseline 2015 bis 2025 keine Prognose der Zukunft darstelle. Beschrieben würden vielmehr zu erwartende Entwicklungen, die unter bestimmten politischen und ökonomischen Annahmen einträten.
Das TI geht dabei von einer Beibehaltung der derzeitigen Agrarpolitik und einer Umsetzung der bereits beschlossenen Maßnahmen insbesondere im Rahmen der jüngsten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aus.  Hinsichtlich der weltwirtschaftlichen Entwicklung liegen den Projektionen die Daten und Informationen zugrunde, die im Juli 2015 vorlagen.
Bauernverband fordert vom Handel Trendwende
Eine Trendwende bei den Milchpreisen fordert der Deutsche Bauernverband (DBV) vom Lebensmitteleinzelhandel. In der entscheidenden Verhandlungsphase über die Preise von Käse, Trinkmilch und einigen weiteren Molkereiprodukten müsse der Handel seine Verantwortung für eine nachhaltige Landwirtschaft in Deutschland wahrnehmen, erklärte der Bauernverband am 31. März in Berlin. Notwendig sei ein kurzfristig wirksamer Aktionsplan zur Unterstützung der Landwirte, der von den Handelsunternehmen gemeinsam mit den Landwirten und den Molkereien umzusetzen sei.
Erneut verwies der DBV auf die existenzbedrohende Situation vieler Milchviehbetriebe. Erzeugerpreise im Bereich von 25 Cent/kg, wie sie in etlichen Regionen Deutschlands zu verzeichnen seien, deckten die Kosten der Milchproduktion bei weitem nicht mehr. Den Vermarktern und dem Handel wirft der Bauernverband vor, sie hätten die aufgrund von globalen Marktentwicklungen und politischen Krisen entstandene Preismisere dazu genutzt, Lebensmittel zu Niedrigstpreisen anzubieten. Zudem seien die Vermarktungsspannen in den letzten Monaten deutlich zu Lasten der Milchbauern ausgeweitet worden.
Der Bauernverband wirft den Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels vor, ihr Umgang mit ihren Lieferanten widerspreche den eigenen Nachhaltigkeitszielen. Eine fortlaufende Erhöhung von Standards verlange  eine adäquate Berücksichtigung bei den Erzeugerpreisen, betonte der DBV.