Tierhaltung | 11. Januar 2018

Wie kann man Schwanzbeißen minimieren?

Von Rudolf Wiedmann, Tübingen
Um in unkupierten Schweinebeständen dem Schwanzbeißen vorzubeugen, müssen viele Faktoren optimiert werden. Wichtige Punkte sind die Futterzusammensetzung und die Art der Futterverabreichung.
Futter- und zugleich Beschäftigungsautomat für ausgedehntes Fressen (an der Fachhochschule Nürtingen)
Geeignete und wechselnde Angebote von Beschäftigungsmaterialien können das Auftreten von Schwanzbeißen mindern. Auf lange Sicht ist Schwanzbeißen aber nur beherrschbar, wenn auch die Grundansprüche der Tiere erfüllt sind. Wer darauf zu wenig Wert legt, kann auch bei exzessivem Angebot von Beschäftigungsobjekten Schwanzbeißen nicht vermeiden.
Schweine müssen beschäftigt sein
Schweine verbringen unter natürlichen Bedingungen etwa drei Viertel ihrer Wachzeit mit der Nahrungssuche. In dieser Zeit steht das Ausleben des Wühl- und Kautriebes im Vordergrund. Falls sie daran gehindert werden, dieses Verhalten auszuleben, kann es zu Leerlaufhandlungen oder Schwanzbeißen kommen. Aus diesem Grund kann man durch die Vorlage von Strukturmaterialien das Auftreten von stereotypem Verhalten, Aggressionen und Unruhe deutlich verringern. Zur Beschäftigung sind Materialien geeignet, die zerstörbar, verformbar, kaubar und essbar sind. Da Schweine Weltmeister im Riechen und Schmecken sind, sollten diese Materialien nicht geruchsneutral sein. So verdienen frisch geschlagene Hölzer gegenüber länger gelagerten Hölzern deutlich den Vorzug.
Hilfreich bei Verhaltensanomalien: frisch geschlagenes Holz, etwa 1 m lang, in halber Widerristhöhe aufgehängt.

Organische Beschäftigungsmaterialien haben noch eine weitere Funktion: Sie sollen zugleich den Hunger stillen, wie das zum Beispiel bei Gras, Grassilage, Heu, Luzerne, usw. der Fall ist. Stroh dagegen kommt als schmackhafte Komponente weniger in Betracht: Es spielt für die Ernährung der Schweine kaum eine Rolle und löst allenfalls die Beschäftigungsfunktion mit Speichelfluss aus.
Futter und Futtertechnik müssen deshalb das Ziel haben, dem Verhalten nach Nahrungssuche und Nahrungsaufbereitung möglichst nahe zu kommen. Der Körperbau des Schweines ist darauf spezialisiert, schwer zugängliche Nahrungsbestandteile im Erdboden aufzuspüren, auszugraben, zu zerkleinern und aufzunehmen. Diese grundsätzlichen Fähigkeiten bleiben bei den gängigen Fütterungsverfahren außen vor:
  • Den Tieren wird ein in den Nährstoffen abgestimmtes, fertig zubereitetes Menu vorgesetzt, das die Tiere – vor allem bei der Flüssigfütterung – viel zu schnell hinunterschlingen.
  • Aber auch bei trockenem oder breiigem Futter beschäftigen sich die Schweine an herkömmlichen Automaten zeitlich zu kurz mit der Futteraufnahme.
  • Zusätzlicher Stress entsteht durch die meist begrenzte Zahl an Futterplätzen, wodurch es den Schweinen nicht möglich ist, gemeinsam und gleichzeitig zu fressen, was ihrem angeborenen Verhalten entspricht.
Futter ist mehr als nur Nahrungsmittel
Mastschweine bei der Bodenfütterung
Die getrennte Betrachtung der Fütterung einerseits und andererseits der Beschäftigung widerspricht den Grundzügen des Verhaltens. Schweine sind von Natur aus als besonders neugierige Tiere darauf spezialisiert, sich zu beschäftigen. Dass sie dabei mehr oder weniger  auch noch die Nahrungsaufnahme bewerkstelligen, ist aus Sicht der Schweine eher eine Nebenerscheinung. Wer also die Beschäftigung gesondert betrachtet, was bei den gängigen Fütterungsverfahren der Fall ist, nimmt als unmittelbare Folge eine nicht verhaltensgerechte Fütterung in Kauf. Ziel der Fütterungstechnik muss  vordringlich die Beschäftigung der Tiere sein.
Breifutterautomaten mit entsprechenden Rütteltechniken kommen dieser Forderung ein Stück weit entgegen. Die Wasserzufuhr in den Breifutterautomaten ist dabei auf ein Minimum einzustellen, damit die Schweine langsam fressen und das Futter genügend einspeicheln können. Voraussetzung ist aber ein maximales Tier:Fressplatz-Verhältnis von 3:1. 
Bodenfütterung hat Zukunft
Aus solchen Dosierern erfolgt der Futterabwurf für die Bodenfütterung.
Die Grundansprüche der Tiere – vor allem im Hinblick auf synchrones Fressen – erfüllt am ehesten die Bodenfütterung. Das Futter gelangt über einen Dosierbehälter drei- bis viermal  täglich auf den Boden. Bei der Dosierung ist zu beachten, dass etwa eine halbe Stunde nach der Futtergabe alles Futter aufgefressen sein muss. Die täglich dosierte Menge muss also kontrolliert und angepasst werden, denn ein zu knappes Futterangebot führt zur Unruhe bzw. eine zu reichliche Zuteilung zu Futterverschwendung. Die Bodenfütterung bietet darüber hinaus zwei nicht zu unterschätzende Vorteile: Die Tierkontrolle ist sehr einfach und kann rasch durchgeführt werden. Außerdem begünstigt die Bodenfütterung die Sauberkeit in den Buchten.
Nicht an der falschen Stelle sparen
Schweine mit hohem Wachstumspotenzial sind auf ausreichend Rohprotein mit den nötigen Aminosäuren angewiesen. Wer hier spart, kann diesen Mangel auch nicht mit einem großen Beschäftigungsangebot ausgleichen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Rohfaserversorgung der Tiere. Höhere Rohfaseranteile können zwar einerseits mit einem Verlust an Verdaulichkeit einhergehen, haben aber andererseits einen Zugewinn im Hinblick auf die Tiergesundheit. So steht zum Beispiel für die Salmonellenabwehr mehr Stärke im Kot für die Buttersäurebildung zur Verfügung.
 Das Futter ist demgemäß nicht nur Nährstofflieferant, sondern hat auch einen hohen Einfluss auf die Darmgesundheit. Diese steht wiederum im Zusammenhang mit dem Wohlgefühl der Schweine (Sättigung, Ruhe), wodurch sich das Risiko von Schwanzbeißen verringert.
Ruheverhalten fördern
Ein Risikofaktor ist auch ein Mangel an Ruhe bzw. ausgeprägtem Schlafverhalten. In der Bauernregel „Ruhe und Rast ist die halbe Mast!” kommt zum Ausdruck, dass das Schlafverhalten für die Gesunderhaltung der Tiere eine wichtige Funktion hat. So konnte beobachtet werden, dass in von Schwanzbeißen weitgehend verschonten Betrieben dies nach einer Unruhe im Stall aufgetreten ist, zum Beispiel durch den Aufenthalt fremder Personen im Stall, durch laute handwerkliche Tätigkeit im Abteil oder Nachbarabteil. Schweine sind darauf angewiesen, 13 bis 16 Stunden täglich zu schlafen. Der größte Teil der Schlafzeit wird in der Nacht verbracht. Eine zweite Phase von 2 bis 5 Stunden findet in der Mittagszeit statt. Dieser Schlaf ist bei allen Säugetieren nötig und wird meist zu wenig beachtet, weil dabei für unsere Wahrnehmung wenig passiert.
 Obwohl die Rolle des Schlafes bis heute noch nicht abschließend erforscht ist, ist man darin sicher, dass er lebenswichtig ist und Schlafentzug zu ernsten gesundheitlichen Störungen führt. Schlaf wird als „Brot der Seele” bezeichnet, weil er das Wohlbefinden beeinflusst. So berichten Schweinehalter von einem Ansteigen des Schwanzbeißens eher in Vollmondphasen. Offensichtlich kann in solchen Zeiten das Schlafen beeinträchtigt sein. 
Fazit
Ausreichend Futter mit den nötigen Aminosäuren, möglichst geringen Toxingehalten und genügend Rohfaser ist wesentlich, um Schwanzbeißen auf niedrigem Niveau zu halten. Zum Erfolg gehören auch die geeignete Futterverabreichung, eine stabile Tiergesundheit und ausreichend Ruhekomfort.