Die EU-Kommission hat am Mittwoch voriger Woche ihre Zukunftsstrategie für die Landwirtschaft „From Farm to Fork” („Vom Bauer zum Teller”) als Teil ihres Green-Deal-Projektes vorgestellt. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger soll erheblich reduziert, der Ökolandbau dagegen deutlich ausgeweitet werden.
Ursula von der Leyen, Kommissionspräsidentin und Bauherrin des Green Deal, und ihr Architekt dafür, Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans.
Bei der Farm-to-Fork-Strategie handelt es sich um eines der Kernelemente des Green Deal, mit dessen Hilfe die EU bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreichen will.
Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel in der Europäischen Union soll gemäß der Farm-to-Fork-Strategie bis zum Jahr 2030 um die Hälfte reduziert werden. Wie die EU-Kommission am 20. Mai anlässlich der Vorstellung des Vorhabens erklärte, wird außerdem eine „Verringerung des Einsatzes von Düngemitteln um mindestens 20 Prozent” angestrebt. Ziel sei es, eine „Reduzierung der Nährstoffverluste bei gleichbleibender Bodenfruchtbarkeit um mindestens 50 Prozent” zu erreichen. Des Weiteren schlägt die Brüsseler Behörde vor, den Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche in der EU bis 2030 auf 25 Prozent zu erhöhen. Wie der geschäftsführende Vizepräsident der Kommission und Hauptverantwortliche für den Green Deal, Frans Timmermans, in Brüssel dazu feststellte, liegt der Anteil der Ökofläche EU-weit aktuell bei rund acht Prozent.
Darüber hinaus plant die EU-Kommission, den Anteil an verkauften antimikrobiellen Mitteln für Nutztiere und die Aquakultur um 50 Prozent bis Ende dieses Jahrzehnts zu reduzieren. Den Brüsseler Plänen nach soll so das Risiko, dass antimikrobielle Resistenzen (AMR) entstehen, deutlich reduziert werden.
Außerdem umfasst die Farm-to-Fork-Strategie auch das Ziel, allen ländlichen Gebieten bis 2025 Zugang zu schnellen Breitbandverbindungen zu verschaffen. Dadurch könnten digitale Innovationen in der Lebensmittelproduktion ermöglicht werden, erklärte die EU-Behörde.
Mehr integrierter Pflanzenschutz
Laut Kommission haben die bisherigen Erfahrungen
hinsichtlich der nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln „ganz
klar gezeigt”, dass noch mehr getan werden kann, um den Einsatz und das
damit verbundene Gesamtrisiko zu verringern. Gefördert werden müssten
Methoden des integrierten Pflanzenschutzes, um nachhaltigen,
biologischen, physikalischen und anderen nicht chemischen Methoden sowie
Wirkstoffen mit geringem Risiko beim Schutz der Kulturen den Vorzug zu
geben.
Geplante Maßnahmen
Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel in der
Europäischen Union soll gemäß der Farm-to-Fork-Strategie bis zum Jahr 2030 um die Hälfte reduziert werden.
Um den Weg für Alternativen zu ebnen und die
landwirtschaftlichen Einkommen zu sichern, plant die Kommission eigenen
Angaben zufolge die Ergreifung verschiedener Maßnahmen. Genannt werden
die Überarbeitung der Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von
Pflanzenschutzmitteln, die Verbesserung der Bestimmungen über den
integrierten Pflanzenschutz und die Förderung eines breiteren Einsatzes
alternativer Methoden zum Schutz der Ernten vor Schädlingen und
Krankheiten. Überdies plane man das Inverkehrbringen von
Pflanzenschutzmitteln, die biologische Wirkstoffe enthielten, zu
erleichtern und die Bewertung entsprechender Umweltrisiken zu
intensivieren.
Im Hinblick auf die Nährstoffbelastung und die Reduzierung des
Düngemitteleinsatzes werden die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert,
„ambitionierte und weitreichende Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung
der bestehenden Rechtsvorschriften” über die Nährstoffbelastung von
Stickstoff und Phosphat zu ergreifen. Gemeinsam, so die Kommission,
wolle man mit den Mitgliedstaaten einen „Aktionsplan für
integriertes Nährstoffmanagement” zur Vorbeugung und Reduzierung einer
weiteren Verschmutzung durch den übermäßigen Einsatz von Düngemitteln
sowie zur Förderung der Wiederverwendung von Nährstoffen aus
unterschiedlichen organischen Abfällen zur Verwendung als Düngemittel
erstellen. Hiervon verspricht sich die Behörde einen Beitrag zur
Erreichung des „Null-Schadstoff-Ziels” des Green Deal.
Öko-Nachfrage stärken
Damit ein Ökoanbauflächenanteil von 25 Prozent
erreicht werden kann, muss nach Ansicht der EU-Kommission vor allem die
Nachfrageseite gestärkt werden. Zudem sollen die Reform der Gemeinsamen
Agrarpolitik (GAP) – darunter die Eco-Schemes – sowie der Aktionsplan
für ökologische Landwirtschaft einen Beitrag zu dieser Zielerreichung
leisten. Die Kommission setzt darauf, dass die Mitgliedstaaten die
Märkte für ökogische Erzeugnisse beleben und die Nachfrage nach
Ökoprodukten ankurbeln. Helfen sollen dabei auch
Absatzförderungskampagnen und ein „umweltfreundliches öffentliches
Beschaffungswesen”. Des Weiteren bringt die Kommission im Rahmen ihrer
Farm-to-Fork-Strategie die Kohlenstoffbindung durch die Land- und
Forstwirtschaft als ein neues „grünes Geschäftsmodell” ins Spiel.
Timmermans betonte, dass die Farm-to-Fork-Strategie als Kernbestandteil
des Green Deal in Richtung „eines neuen, besseren Gleichgewichts”
zwischen Natur und Lebensmittelsystemen weise. Wichtig sei es, die
Gesundheit und das Wohlergehen der Bürger zu schützen und gleichzeitig
die Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der EU zu stärken.
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski verwies via Twitter darauf, dass
die Farm-to-Fork-Strategie den Landwirten helfen werde, ihre Produktion
regionaler auszurichten und die Zusammenarbeit mit anderen Landwirten,
den Verarbeitern und lokalen Märkten zu verbessern. Zudem verspreche er
sich davon, dass der Transportbedarf insgesamt, insbesondere der von
Lebendtieren, verringert werden könne. Die Kommission kündigt in der
Strategie an, die Tierschutzvorschriften zum Transport und zur
Schlachtung von Tieren sollen überarbeitet und mit den neuesten
wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang gebracht
werden. Neben neuen politischen Initiativen sei hier die Durchsetzung
der geltenden Tierschutzvorschriften von wesentlicher Bedeutung, betont
die Brüsseler Behörde.
Rukwied wertet „Farm to Fork” als Generalangriff
Scharfe Kritik an den Kommissionsvorhaben in der „Farm-to-Fork”-Strategie und der Biodiversitätsstrategie hat der Präsident des EU-Ausschusses der Bauernverbände (COPA) und des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, geübt. „Wir wollen den Weg hin zu einer umweltfreundlichen Landwirtschaft weitergehen und weiterentwickeln. Aber dieser Vorschlag ist der falsche Weg. Er ist ein Generalangriff auf die gesamte europäische Landwirtschaft”, erklärte Rukwied am 20. Mai in Richtung Brüssel.
Der Bauernpräsident beklagt vor allem, dass in den vorgelegten Strategiepapieren dringend notwendige Anpassungen, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, nicht berücksichtigt worden seien. Rukwied forderte die Kommission dazu auf, die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Menschen in
Europa mit heimischen Nahrungsmitteln „in den Mittelpunkt dieser Strategie” zu rücken. Um eine produktive, wettbewerbsfähige und ressourcenschonende Landwirtschaft zu erreichen, müsse statt auf neue Auflagen verstärkt auf Kooperation gesetzt werden, betonte der COPA-Präsident.
Er unterstrich, dass die europäische Landwirtschaft dazu bereit sei, ihren Teil zu einem verbesserten Umwelt- und Biodiversitätsschutz zu leisten und eine Transformation der Lebensmittelerzeugung hin zu noch mehr Nachhaltigkeit mitzugestalten.
Allerdings seien nur in Kooperation mit dem Sektor und unter Beteiligung der Verbraucher die ambitionierten Ziele des Green Deal erreichbar, gab Rukwied zu bedenken. Allgemeine politische Reduktionsziele für Pflanzenschutzmittel und andere Betriebsmittel seien „kontraproduktiv” und würden die Grundlage der guten fachlichen Praxis verlassen.
Ausgesprochen positiv bewertete dagegen der Präsident der EU-Gruppe der Internationalen Vereinigung ökologischer Landbaubewegungen (IFOAM EU), Jan Plagge, die „Farm-to-Fork”-Strategie. Der Vorschlag, bis 2030 eine Ökofläche von mindestens 25 Prozent in Europa zu erreichen, sei eine wegweisende Entscheidung, die den Ökolandbau in den Mittelpunkt eines Übergangs der europäischen Landwirtschaft zur Agrarökologie stelle. Dieser sei ein erfolgreiches Wirtschaftsmodell für Landwirte mit nachgewiesenen Vorteilen für die Umwelt.
Echo in Deutschland
Die „Farm-to-Fork”-Strategie der Europäischen Kommission ist in Deutschland auf ein durchwachsenes Echo gestoßen. Während das Maßnahmenpaket beispielsweise bei den Ökoverbänden auf nahezu einhellige Zustimmung traf, wurden die Pläne vom Industrieverband Agrar (IVA) und dem Bundesverband
Agrarhandel (BVA) sehr verhalten aufgenommen. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner betrachtet ihrerseits die Kommissionsziele als „sehr ambitionierte” Diskussionsgrundlage und pocht bei deren Umsetzung auf einen ausgewogenen Lastenausgleich.
Klöckner stellte in ihrer Reaktion auf das Papier klar, dass die Kernaufgabe der Landwirtschaft in der Produktion von Nahrungsmitteln liege. Die ausreichende Verfügbarkeit an Grundnahrungsmitteln und die Ernährungssicherung in der EU und global müssten stets im Vordergrund stehen. Die Ministerin gab gegenüber der Kommission zudem zu bedenken, dass die Landwirte die in der Strategie angestrebten Ziele nur erreichen könnten, wenn diese auch finanziell unterlegt würden. Sie hätte sich daher von Brüssel ein „klares Bekenntnis zu einem gut ausgestatteten Agrarbudget gewünscht”, so Klöckner. Zudem dürfe die Verantwortung für das Erreichen der Strategieziele nicht allein bei einer Branche abgeladen werden.
Der Umweltbeauftragte des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Eberhard Hartelt, verwieß auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Es habe sich gezeigt, dass die Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln wieder höchste Priorität genießen müsse. Diese Erkenntnis sei wohl bei manchem noch nicht angekommen.
Reaktionen aus dem EU-Parlament
Agrarpolitiker im Europaparlament reagierten ganz unterschiedlich auf die „Farm-
to-Fork”-Strategie der EU-Kommission. Überwiegend kritisch äußerten sich Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP) sowie der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Zumindest in Teilen sehen auch Abgeordnete der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) und der liberalen Fraktion Renew Europe (RE) die Vorlage kritisch. Weitgehend positive Äußerungen kamen von der Fraktion der Grünen/EFA.
Der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses, Norbert Lins, erkennt in der Vorlage „mehr Stückwerk als Strategie”. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Kommission sich mehr Zeit nimmt für entscheidende Folgenabschätzungen auf die langfristige Versorgungssicherheit”, erklärte der CDU-Politiker mit Blick auf die Ziele zum chemischen Pflanzenschutzmittel- und Düngemitteleinsatz. Die Corona-Krise zeige deutlich, wie wichtig die europäische Landwirtschaft für die Versorgungssicherheit sei.
Lins moniert zudem, dass die Verantwortung in der „Farm-to-Fork”-Strategie nicht hinreichend auf die gesamte Lebensmittelkette verteilt worden sei, sondern zu sehr auf der „Farm” laste. Das sei weder fair noch erfolgversprechend, beklagte der Landwirtschaftsausschussvorsitzende. Auch die Verbraucher würden an der Ladentheke mitentscheiden, welche Landwirtschaft sie unterstützten. Der agrarpolitische Sprecher der S&D-Fraktion, Italiens früherer Landwirtschaftsminister Paolo De Castro, bezeichnete die „Farm-to-Fork”-Strategie derweil anerkennend als „neuen Pakt” zwischen Produzenten und Verbrauchern in der Europäischen Union.