Politik | 11. November 2021

„Viele kennen sich nicht aus und stellen Forderungen”

Von AgE
„Ethik in der Landwirtschaft” lautete das Thema der Herbsttagung der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG) vorige Woche in Göttingen. Die Regionalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover hat dabei eine Schieflage in der öffentlichen Debatte über Landwirtschaft kristisiert.
Auf der ASG-Herbsttsagung wurde ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen „Meinungsanmaßung und Wissen über Landwirtschaft” ausgemacht.
Es gebe ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen „Meinungsanmaßung und Wissen über Landwirtschaft”, sagte  Dr. Petra Bahr. „Viele kennen sich nicht aus und stellen Forderungen an die Landwirtschaft”, so die Theologin. Fehlendes Wissen in der Bevölkerung sei die Ursache, dass die Diskussion oft zwischen Romantisierung und Skandalisierung geführt werde und bei den Landwirtinnen und Landwirten auf Unverständnis stoße. Ethische Urteilskraft setze voraus, „dass man etwas von der Sache versteht”, so Bahr. Dies könne die Landwirtschaft zu Recht erwarten, wenn über sie diskutiert werde.
Es geht um Grundfragen des Lebens
Die Regionalbischöfin hält es gleichwohl für berechtigt, dass die Auseinandersetzung über die Zukunft der Landwirtschaft nicht nur auf den Agrarsektor begrenzt werde, weil es um Grundfragen des Lebens und Überlebens gehe.
Nach Auffassung von Professor Peter Kunzmann von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover muss Ethik künftig in der landwirtschaftlichen Ausbildung eine wichtige Rolle spielen. Berufszufriedenheit resultiere aus einem Handeln im Einklang mit den eigenen Überzeugungen.
„Ethik hilft, sich diese überhaupt erst klarzumachen”, erklärte der Professor für Angewandte Ethik in der Tiermedizin. Ethik biete zudem Orientierung über das Denken von anderen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen sei sie damit auch die Brücke, „um sich mit anderen über deren Erwartungen an eine nachhaltige und an modernen Bildern vom Tier geschulte Landwirtschaft auszutauschen”. Die ASG-Vorsitzende Dr. Juliane Rumpf unterstrich die Bedeutung des Themas „Ethik in der Landwirtschaft”, das bisher nur eine untergeordnete Rolle spiele. Die ehemalige schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerin kündigte an, dass sich die ASG künftig weiter mit diesen Fragen beschäftigen werde.
„Die zentrale und wichtigste Leistung der Landwirtschaft bleibt auch in Zukunft die Versorgung der Bevölkerung mit sicheren und hochwertigen Lebensmitteln”, erklärte der Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerium, Dr. Heinrich Bottermann. Gleichzeitig werde sich die Landwirtschaft  verändern und neuen Herausforderungen stellen müssen. Insbesondere beim Pflanzenschutz, der Stickstoffdüngung und der Nutztierhaltung stünden Landwirte vor großen Herausforderungen. Starke Treiber für einen Wandel sind laut Bottermann die gesellschaftlichen Forderungen nach mehr Klima- und Umweltschutz, mehr Biodiversität und mehr Tierwohl. Gleichzeitig brauchten die Betriebe eine belastbare Perspektive für ein dauerhaft angemessenes Einkommen. Um diese verschiedenen Zielsetzungen gemeinsam zu erreichen, bedürfe es neuer Strategien und Lösungen.
Verweis auf die Zukunftskommission
Bottermann verwies auf die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und die Borchert-Kommission. Die hätten beschrieben, wie mit neuen Politikansätzen der Wandel gelingen könne. Gesellschaftlicher Konsens sei  Voraussetzung, um die Zukunft der  Landwirtschaft nachhaltig zu gestalten.
Das Verlassen der eigenen Filterblase, der Perspektivwechsel und die Bereitschaft, voneinander zu lernen, nannte die Vorsitzende vom Bund der Deutschen Landjugend (BDL), Kathrin Muus, als Faktoren für eine „gemeinsame Vision zur Zukunft der Landwirtschaft”, die sie gemeinsam mit Myriam Rapior von der BUNDjugend im Rahmen der Zukunftskommission erarbeitet hat und die in den ZKL-Abschlussbericht eingegangen ist.
Neue Wege für die Landwirtschaft forderte der Agrarsprecher von Fridays for Future, Tilman von Samson. Benötigt werde eine breite und ehrliche Auseinandersetzung darüber, wie die Branche mit den Herausforderungen des Klimawandels umgehen sollte. „Wir brauchen einen gerechten Wandel”, betonte der Klimaaktivist. Ziel müsse es sein, die notwendigen erheblichen Anpassungen mit wirtschaftlichen Perspektiven für die Betriebe zu verbinden.