Tierhaltung | 11. September 2014

Verfettung erhöht das Risiko erheblich

Von Dr. Jakob Groenewold, LWK Niedersachsen
Die Kälbersterblichkeit bei der Geburt hängt nicht zuletzt von der Körperkondition der Kühe ab. Daher sollte man schon im letzten Laktationsdrittel hierauf besonders achten. Um diesen Aspekt geht es im Folgenden ebenso wie um weitere Punkte, die die Kälbersterblichkeit beeinflussen.
Im Rahmen einer Untersuchung an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover wurden in einem großen Milchviehbetrieb mit Holstein-Frisian-Tieren insgesamt 463 Kalbungen über einen Zeitraum von 3,5 Monaten kontinuierlich beobachtet und zusätzlich verschiedene Daten zu den Muttertieren erfasst. In dieser Zeit wurden  9,3 Prozent Totgeburten registriert, wobei der Zeitraum bis 24 Stunden nach dem Kalben mit einbezogen wurde. Bei den Erstkalbinnen war der Anteil mit 18,5 Prozent deutlich höher als bei Mehrkalbskühen, bei denen lediglich 4,5 Prozent der Kälber verendeten. Zwar ist nach Praxiserfahrungen bei erstkalbenden Tieren immer mit höheren Kälberverlusten zu rechnen, der in diesem Betrieb ungewöhnlich hohe Wert war aber augenscheinlich auf ein zu „üppige” Körperkondition zur Kalbung zurückzuführen.
Einen gesicherten Einfluss auf die Totgeburtenrate bei Kühen hatte erwartungsgemäß das Geschlecht der Kälber. Während bei den Bullenkälbern 12,2 Prozent Verluste zu verzeichnen waren, lagen diese bei den Kuhkälbern lediglich bei 7,1 Prozent. Ein Aspekt, der sicherlich auch im Hinblick auf den Einsatz von gesextem Sperma eine Rolle spielen könnte. Interessanterweise beeinflussten das Gewicht und die Skelettmaße der Neugeborenen die Verlustrate nur unwesentlich.
Eine optimale Körperkondition zur Kalbung und großzügige Abkalbebuchten sind eine gute Voraussetzung für problemlose Geburten.

BCS-Wert sollte nicht über 3,25–3,50 liegen
Als weiterer Einflussfaktor auf die Totgeburtenrate wurde die Körperkondition der Tiere zur Kalbung ermittelt, wobei insbesondere bei einem BCS-Wert (Body Condition Score) über 3,75 signifikant mehr Kälber tot geboren wurden. Die stärkere Verfettung der inneren Geburtswege führte zu verzögerten Geburten (verlängerte Aufweitungsphase), was das Verlustrisiko deutlich erhöhte. Einmal mehr bestätigte sich damit, dass verfettet abkalbende Tiere – und dies gilt für Erstkalbinnen wie auch für Mehrkalbskühe – deutlich mehr Kalbeprobleme haben. Die BCS-Bewertung sollte zur Kalbung möglichst den  Bereich von 3,25 bis 3,50 nicht überschreiten. Eine optimale Körperkondition zur Kalbung würde nicht nur die Verluste  bei der Geburt deutlich reduzieren, sondern auch das Risiko von Stoffwechselproblemen (Ketose) zum Laktationsbeginn mindern.
Um dieses Ziel zu erreichen, sollte man  bereits im letzten Laktaktionsdrittel gezielt die Körperkonditionsentwicklung der Kühe beobachten. Lässt sich  bei den spätlaktierenden Tieren ein zunehmendes „Anfleischen” feststellen, ist davon auszugehen, dass sie energetisch überversorgt werden. Ein deutliches Zeichen hierfür ist in dieser Laktationsphase auch ein auffallend hoher Milcheiweißgehalt.
Um dem entgegenzuwirken, sollte die Kraftfuttermenge in Betrieben mit einer Transponderfütterung bei betroffenen Kühen langsam um 1 bis 1,5 kg reduziert werden. Dadurch reduziert sich die Energiedichte der Ration, so dass eine übermäßige Verfettung meist verhindert wird. Problematisch sind hier natürlich Betriebe mit Teilmischrationen, die beim Energiegehalt deutlich über dem Leistungsniveau spätlaktierender Tiere liegen. Gerade bei Tieren, die erst nach mehreren Versuchen  wieder tragend geworden sind und deshalb auch später wieder kalben, kann es sinnvoll sein, sie vorzeitig trocken zu stellen und von der Fütterung her dann energetisch eher knapp zu versorgen (z. B. energiearme Grassilagen oder Weide, Heu). Hier kann man besser auf den letzten Liter Milch verzichten, um Folgeprobleme wegen einer starken Verfettung in der nächsten Laktation möglichst zu vermeiden.
Zu Beginn der Trockenstehzeit sollten sich die Tiere in der gewünschten Körperkondition befinden. Bis etwa zwei bis drei Wochen vor der Kalbung sollte die Energiedichte der Ration dann auf maximal 5,6 MJ NEL je kg Trockenmasse (TM) begrenzt werden, da ansonsten mit einer zunehmenden Einlagerung unerwünschter Körperfettreserven zu rechnen ist. Die Grundration sollte mit Stroh energetisch verdünnt werden oder es müssen energieärmere Futterkomponenten (spätere Silageschnitte, Heu) zum Einsatz kommen.
In der Transitphase zwei bis drei Wochen vor dem Kalben erfolgt die Anpassung der Fütterung an die spätere Laktationsration. Hierbei wird die Energiedichte auf 6,4 bis 6,6 MJ NEL je kg TM erhöht, um bei der vor dem Kalben deutlich zurückgehenden Futteraufnahme eine ausreichende Energieversorgung der Tiere sicherzustellen.
Die Ration der hochtragenden Rinder sollte bis etwa zwei bis drei  Wochen vor dem errechneten Kalbetermin auf ein mittleres Niveau von etwa 5,8 MJ NEL je kg TM eingestellt werden (Rationsberechnung). Dabei ist der Einsatz von Maissilage wegen der Gefahr einer Überkonditionierung sehr kritisch zu beurteilen. 
Beckenneigung hat deutlichen Einfluss
Einen gesicherten Einfluss auf den Geburtsverlauf hatte in der Untersuchung auch die Neigung des Beckens bei den Muttertieren. Während bei geneigter Lage des Beckens 7,1 Prozent der Kälber innerhalb von 24 Stunden nach der Kalbung verendeten, waren es bei waagerechter oder sogar ansteigender Beckenlage mit 15,7 Prozent mehr als doppelt soviel tote Tiere. Dies verdeutlicht sehr anschaulich, dass es auch ökonomisch gesehen für Milchviehhalter sehr sinnvoll ist, bei der Auswahl von Anpaarungsbullen für ihre Kühe gezielt auf die Vererbung der Beckenneigung zu achten.
Interessant war, dass die Aufweitungsphase bei den lebend geborenen Kälbern in dieser Untersuchung nie länger als zwei Stunden dauerte. Daher sollte bei normaler Lage des Kalbes (Vorderendlage, obere Stellung, gestreckte Haltung) nicht vor zwei Stunden nach dem Sprung der ersten Fruchtblase in den Geburtsvorgang eingegriffen werden.
In der Tabelle wird dargestellt, wie hoch die Verluste bei unterschiedlichen Maßnahmen zur Geburtshilfe waren. Ziel sollte es sein, dass möglichst viele Kälber spontan ohne Geburtshilfe auf die Welt kommen. Die Kälber sind dann wesentlich vitaler und weisen mit einer Verlustrate von lediglich 2,4 Prozent einen sehr günstigen Wert auf. Hierzu wird vor der Kalbung ein ruhiger und sauberer Abkalbebereich mit Sichtkontakt zur Herde benötigt, um stressbedingte Geburtsstörungen möglichst zu vermeiden

In der Ruhe liegt die Kraft



Fast noch wichtiger ist es, dass die Tierhalter selbst die Ruhe bewahren und erst dann eine dosierte Zughilfe leisten, wenn nach längerer Presswehentätigkeit kein Fortschritt in der Geburt zu erkennen ist. Wird bereits kurz nach dem Blasensprung (wenn die Klauen sichtbar werden) mit einer meist unnötigen Zughilfe in die Geburt eingegriffen, ist dies mit einem deutlich höheren Risiko für Muttertier und Kalb verbunden. Die meisten Kühe kalben ohne Hilfe, eine gute Beobachtung des Geburtsverlaufs reicht daher in der Regel völlig aus. Erst bei wirklichen Kalbeproblemen sollte mit einer dosierten Geburtshilfe unterstützend eingegriffen werden.
Was rund um die Abkalbung zu beachten ist
  • Kühe und Färsen sollten in optimaler Körperkondition zur Kalbung kommen (Zielwert BCS: 3,5)
  • Eine ausreichend große, saubere Abkalbebucht (Einzelbucht mindestens 15 m2) schafft die Voraussetzung für eine reibungslose Geburt.
  • Stress und Unruhe in der Zeit um die Geburt müssen vermieden werden.
  • Wichtig ist eine gute Geburtshygiene bei Muttertier, Geburtshelfer und den verwendeten Hilfsmitteln.
  • Bei einer normalen Lage des Kalbes keinesfalls voreilig in die Geburt eingreifen. Erst wenn kein Fortschritt bei der Geburt zu erkennen ist, sollte mit dosierter Zughilfe unterstützt werden. Ein unnötig hoher Kraftaufwand (mechanische Geburtshelfer) ist in jedem Fall zu vermeiden.
  • Geburtshilfe möglichst nur am liegenden Tier durchführen. Zug und Zugpausen müssen synchron zur Wehentätigkeit laufen.
  • Die Zughilfe muss geradeaus nach hinten erfolgen. Nach Auszug des Brustkorbes muss die Zugrichtung nach unten, das heißt beim liegenden Tier in Richtung des Euters geändert werden. 
  • Zeichnet sich ein schwerer Geburtsverlauf ab, muss ein Tierarzt hinzugezogen werden.