Einige EU-Staaten wollen wegen Sorgen um ihre eigene Agrarproduktion kein schnelles Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Deutschland gehört zu den Ländern, die aufs Tempo drücken, wegen Vorteilen für eigene Industrieprodukte.
Zuletzt wurde ein erfolgreicher Abschluss der Freihandelsgespräche zwischen der EU-Kommission und den Mercosur-Staaten für wahrscheinlich gehalten. Das hat erneut deutliche Unstimmigkeiten zwischen Mitgliedstaaten der EU ausgelöst. So hatten sich zunächst zu Beginn der vergangenen Woche Frankreich, Polen, Irland und Belgien gegen weitere Zugeständnisse bei den Freihandelsquoten für sensible Agrarerzeugnisse in einem Abkommen ausgesprochen.
Die Staats- und Regierungschefs dieser vier Länder hatten
in einem gemeinsamen Brief
an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gefordert, vor allem die Sektoren Rindfleisch und Ethanol sowie Zucker und Geflügelfleisch besser zu schützen. Daraufhin hatten sieben weitere EU-Mitgliedstaaten, ebenfalls in einem Brief an Juncker, auf einen schnellen Abschluss der Handelsgespräche mit den Mercosur-Staaten gepocht; dazu gehörte auch Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte zusammen mit sechs weiteren Regierungschefs, unter anderem aus Spanien sowie den Niederlanden und Tschechien, das sich jetzt bietende Zeitfenster für einen erfolgreichen Abschluss „schnell” zu nutzen. Merkel und ihre Mitunterzeichner verwiesen in dem Schreiben auf die Vorteile eines Mercosur-Abkommens für den Export von Produkten aus „strategisch wichtigen Sektoren” der Europäischen Union. Dazu gehörten Autos, Autoteile, Maschinen, Chemikalien sowie Pharmazeutika. Auf Anfrage bestätigte ein Sprecher des Bundeskanzleramtes die Unterstützung der Bundesregierung für einen baldigen Handelsabschluss.
Doppelmoral vorgeworfen
Der Generalsekretär der EU-Ausschüsse der Bauernverbände
(COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA), Pekka Pesonen, warf der
Europäischen Kommission unterdessen Doppelmoral vor. In einem Schreiben
an Juncker, Hogan und Malmström verwies der Finne auf die enorme Kluft,
die zwischen den Anforderungen an die europäischen Landwirte und die
Mercosur-Bauern herrsche. Gerade in der momentan besonders unsicheren
Lage der EU-Landwirtschaft, die sich aus der Hängepartie um den Brexit,
der anstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sowie einer
Reihe von internationalen Handelsstreitigkeiten ergebe, sei dies
besonders fatal. Konkret beklagten die Dachverbände die Doppelstandards
im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit. In Brasilien, einem
Mercosur-Mitglied, seien beispielsweise seit dem vor wenigen Monaten
erfolgten Amtsantritt von Präsident Jair Bolsonaro mehr als 150 neue
Pflanzenschutzmittelwirkstoffe zugelassen worden. Zugleich seien in der
Europäischen Union wichtige Wirkstoffe, beispielsweise für den
Zuckerrübenanbau, verboten worden. Außerdem gebe es große Differenzen
bei den Themen Tierschutz, Antibiotikaeinsatz und dem Einsatz von
Wachstumsförderern, so Pesonen.
Unterschiedlicher Umgang mit Klimaschutz
Ein weiteres Problem sei der unterschiedliche
Umgang mit dem Thema Klimaschutz, beklagte Pesonen. Während sich die
EU-Landwirtschaft dazu bekenne, die Ziele des Pariser
Klimaübereinkommens zu erfüllen und auch entsprechend hohe Standards
einzuhalten, sei das Thema Entwaldung in den Mercosur-Gebieten nach wie
vor ein großes Problem, monierte der Generalsekretär.
Sollte es tatsächlich zu einem Abschluss des Mercosur-Abkommens kommen
und Brüssel bei Produkten wie Rindfleisch, Zucker, Ethanol,
Geflügelfleisch, Reis und Orangensaft zu viele Zugeständnisse machen,
sieht Pesonen für die nächsten Jahrzehnte die Gefahr einer Schwächung
der ländlichen Räume in der EU.