Politik | 10. Juni 2020

Umstrittene Öko-Zielmarke

Von AgE
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat die Zielmarke der Farm-to-Fork-Strategie von mindestens 25 Prozent Ökoflächenanteil in der Europäischen Union bis 2030 verteidigt: gegen Kritik unter anderem aus seinem Heimatland Polen, aus Italien und Ungarn.
Toll oder gefahrvoll? Die Ziele der „Farm-to-Fork”-Strategie der EU-Kommission lösen bei den Landwirtschaftsministern der Europäischen Union unterschiedliche Sichtweisen aus.
Bei der Videokonferenz der EU-Agrarminister am Montag dieser Woche  äußerten mehrere Minister die Befürchtung, dass bei einem solch hohen Ökoanteil eine unzureichende Versorgung mit Nahrungsmitteln drohe. Dieses Argument parierte der Brüsseler Agrarchef mit dem Hinweis, dass auch in Mitgliedstaaten, die dieses Ziel bereits jetzt annähernd erreicht hätten, keine Probleme bei der Bereitstellung eines ausreichenden Lebensmittelangebotes aufträten.
Kommissar sieht Nachholbedarf
Die Gefahr eines Überangebots an Ökoprodukten verneinte Wojciechowski ebenfalls. Das Absatzpotenzial sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft und würde zudem weiter gestärkt.  Bedenken hatte unter anderem Irland vorgebracht.  Vom Agrarkommissar wurde eingeräumt, dass einige Mitgliedstaaten bisher nur einen Ökoflächenanteil von wenigen Prozentpunkten aufwiesen. Hier bestehe „Nachholbedarf”.
Auch was die angepeilte Verringerung des chemischen Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatzes gemäß der Farm-to-Fork-Strategie angeht, räumte Wojciechowski „große Unterschiede” zwischen den Mitgliedstaaten ein. Zufrieden zeigte sich der Brüsseler Agrarchef darüber, dass gemäß dem geänderten Vorschlag zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) sowie zum Wiederaufbaufonds der Landwirtschaft zusätzlich 26,5 Milliarden (Mrd.) Euro zum Preisniveau von 2018 bereitgestellt werden sollen. Die Mitgliedstaaten rief er dazu auf, diesen Vorschlägen schnell zuzustimmen.
Auch die für die Farm-to-Fork-Strategie federführende Gesundheitskommissarin  Stella Kyriakides rechtfertigte die aufgestellten Ziele zum Ökolandbau sowie die angestrebte Verringerung des chemischen Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatzes um
50 Prozent beziehungsweise 20 Prozent bis 2030.
„Ambitioniert, aber erreichbar”
Auch mit Verweis auf den Plan, den Anteil an verkauften antimikrobiellen Mittel für Nutztiere und die Aquakultur bis Ende dieses Jahrzehnts ebenfalls zu halbieren, stellte Kyriakides fest, dass diese Zielmarken „ambitioniert, aber erreichbar” seien. Der Forderung der Mitgliedstaaten nach Folgenabschätzungen zu diesen Maßnahmen werde die Kommission nachkommen, sicherte die Gesundheitskommissarin zu. Sie erläuterte, dass die Umsetzung der Maßnahmen schwerpunktmäßig über die von den Mitgliedstaaten aufzustellenden Strategiepläne im Rahmen der zukünftigen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu erfolgen habe. Überdies kündigte die Zypriotin für das Jahr 2023 die Vorlage von überarbeiteten EU-Regeln für Tiertransporte an.
Betriebe nicht aus den Augen verlieren
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner betonte indessen, bei der Umsetzung des Green Deal – dazu gehören die Farm-to-Fork-Strategie sowie die Biodiversitätsstrategie – die ökonomische Situation der Betriebe nicht aus den Augen zu verlieren. „Umwelt-, Arten- und Klimaschutz müssen wirtschaftlich tragfähig sein für die europäische Landwirtschaft”, erklärte die Ministerin. Die Landwirte müssten von ihrer Arbeit leben können; dabei gehe es vor allem auch um die kleinen Betriebe. Um eine flächendeckende regionale Produktion zu halten, müsse verhindert werden, dass diese als erstes aufgäben. Umso wichtiger ist es nach Klöckners Worten, auch die wissenschaftlichen Grundlagen und die Folgen der skizzierten Maßnahmen in den Blick zu nehmen.
Die quantitative Beschreibung von Reduktionszielen müsse einhergehen mit der Benennung von Anreizen und Instrumenten, um diese zu erreichen − auch um zu verhindern, dass sich Produktion ins außereuropäische Ausland verlagere und Europa dann keinen Einfluss auf Umwelt- oder Tierschutzstandards habe. Die Ministerin machte zudem deutlich, dass die GAP und die Strategien des Green Deal nicht für sich allein stehen könnten. Entscheidend sei, die Ansätze zusammenzubringen; dafür stelle die GAP einen adäquaten Rahmen. Die Vorschläge der Kommission, für den Agraretat im kommenden MFR mehr Geld bereitzustellen als zuvor beabsichtigt und einen mit 750 Mrd. Euro ausgestatteten Wiederaufbaufonds einzurichten, begrüßte Klöckner. Das gehe in die „richtige Richtung”.
Frankreichs Landwirtschaftsminister Didier Guillaume begrüßte die Farm-to-Fork- und die Biodiversitätsstrategie. Insgesamt gingen die Ziele in die richtige Richtung und seien „eine Notwendigkeit”. Dabei sieht der Pariser Minister mit Blick auf die Reduktionsziele beim chemischen Pflanzenschutz auch den Verbraucherwillen abgebildet. Allerdings gab auch der Franzose zu bedenken, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft weiter leiden könnte. Er forderte die Kommission daher auf, bei Freihandelsgesprächen mit Drittstaaten für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.
Scharfe Kritik an den Reduktionszielen übte  Polens Landwirtschaftsminister Jan Krzysztof Ardanowski. Dadurch laufe man massiv Gefahr, die Landwirtschaft „zu zerstören”. Ohnehin sei unklar, auf welcher Basis eine Halbierung des Mitteleinsatzes erfolgen solle. Gleiches gelte für die geplante Ausweitung der Ökoanbauflächen auf 25 Prozent. Der Pole stellte  klar, dass sein Land einen Einkommenseinbruch der Landwirte, der mit der Farm-to-Fork-Strategie zu erwarten sei, nicht akzeptieren werde.
Lebensmittelversorgung gefährdet?
Äußerst kritisch beurteilt auch Italien die Farm-to-Fork-Strategie und die Biodiversitätsstrategie. Der römische Delegationsleiter forderte die EU-Kommission auf, die Vorschläge im Sinne der Landwirtschaft besser auszubalancieren. Auch für Italien erscheint es rätselhaft, wie ein Ausbau des Ökolandbaus auf einen Flächenanteil von 25 Prozent  gelingen soll. Ungarn kritisierte die Brüsseler Pläne  vehement. Eine Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes und eine Ausweitung der Ökofläche auf 25 Prozent gefährdeten die Lebensmittelversorgung in der Union.
Lob vor allem für die Biodiversitätsstrategie äußerten die Niederlande. Dessen Delegationsleiterin unterstrich mit Nachdruck, dass der Verlust an Biodiversität und der Insektenschwund für eine Reihe von landwirtschaftlichen Produktionsfaktoren, wie beispielsweise die Bodenfruchtbarkeit, sowie für die allgemeine Gesundheit negative Auswirkungen hätten.