Land und Leute | 20. November 2014

Tansanier als Lehrmeister fürs Leben

Von Anna Sester
„Karibuni nyumbani!” – „Herzlich willkommen zu Hause!”, schallt es uns entgegen, als ich mit meinem Freund meine alte FSJ-Einsatzstelle im Norden Tansanias nach über zwei Jahren besuche. Ein breites Lächeln huscht über mein Gesicht und ich weiß: Ich bin an einem der wichtigsten Orte der Welt.
Anna beim Futtersammeln für die Kühe.
Vor gut drei Jahren sah die Sache noch ein bisschen anders aus. Nach dem Abitur war für mich klar: Ich will erst etwas von der großen weiten Welt sehen, fremde Menschen und Kulturen kennenlernen, bevor ich wieder die Schulbank drücke. Das „Wie” und „Wo” stand noch in den Sternen, aber für Afrika hatte ich schon immer eine große Begeisterung. Auf der Suche nach einer guten Entsendeorganisation traf ich im Internet auf die Caritas Hildesheim (s. Kasten) und so bewarb ich mich im Dezember 2010 für ein FSJ in Tansania, das im Juli 2011 starten sollte. Auf die schriftliche Bewerbung folgte ein Infotag Anfang Januar, dem sich ein actionreiches Auswahlwochenende mit Bewerbungsgespräch anschloss. Da ich aus einer Großfamilie komme, ist die finanzielle Seite ein wichtiger Aspekt, doch die Caritas Hildesheim arbeitet unter dem Dachverband „weltwärts”. Dieses Großprojekt wird seit mehreren Jahren vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit finanziell unterstützt. Die Vorbereitung beinhaltet einen praxisnahen Sprachkurs in Suaheli und eine Einführung in die Kultur, Geschichte und die Sitten und Gebräuche des Landes.
Um die Eingewöhnungsphase zu erleichtern, werden je zwei Freiwillige gleichen Geschlechts in den Einsatzstellen –  Krankenhäuser, Waisenhäuser, Kindergärten, Schulen –  eingesetzt. Schon zu Anfang hatte ich mich mit Conny gut verstanden und zu unserer großen Freude wurden wir gemeinsam eingesetzt. Doch bevor es für neun Monate nach Tansania ging, lag ein dreimonatiges Praktikum in einer sozialen Einrichtung vor jedem von uns, um uns auf die verschiedenen Aufgabengebiete vorzubereiten. 
Praktikum vorab
Ich arbeitete zusammen mit der Caritas Baden-Baden mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Hautnah konnte ich miterleben, wie es ist, ein Ausländer zu sein – und in wenigen Wochen würde ich ähnliche Erfahrungen machen. Im November 2011 war es dann so weit: Wir durften endlich den Flieger nach Tansania besteigen. Ich muss zugeben, ich ging in diese neun Monate mit der Einstellung, den Tansaniern etwas von unserer entwickelten Welt beizubringen. Doch was in den nächsten neun Monaten geschah, daran hätte ich nicht mal im Traum gedacht. Wie alle anderen Freiwilligen wohnten wir in einem katholischen Kloster, das fast nur von jungen Tansanierinnen bewohnt wurde. Morgens wanderten Conny und ich zu einer nahegelegenen Grundschule, um Kinder zwischen acht und zwölf in Englisch zu unterrichten. Allerdings komplett auf Suaheli, folglich konnten wir die Sprache nach kürzester Zeit fast fließend. Die Kinder waren dabei unsere besten Lehrer. Doch auch unsere deutschen Lehrmethoden, die ohne Strafe auskommen, waren gerne gesehen. 
Nachmittags durften wir uns im klostereigenen Kindergarten (Vorschule) mit Kindern des Volksstammes der Massai beschäftigen. Die Kinder leben und schlafen im Kindergarten und gehen nur in den Ferien zu ihren Familien. So waren wir  Mütter, Schwestern und Spielkameraden zugleich. In der verbleibenden Zeit half ich in der Landwirtschaft des Klosters und lernte, mit der Hand eine Kuh zu melken, zu schlachten und das Feld zu bestellen. Aber der Alltag war Abenteuer genug! So konnte es geschehen, dass ich mit zwei lebenden Hühnern in der Hand, denen die Schnabelspitze gekürzt werden sollte, durch das Maisfeld rannte. Grund war der ausgebrochene Bulle, der sicher nicht zu Spaß aufgelegt war. In  Tansania fiel neben allen neuen Erfahrungen die Entscheidung, was ich später studieren möchte. War ich vor dem FSJ noch überzeugt, Soziale Arbeit oder Lehramt zu studieren, kam ich nun zu dem Schluss, dass Landwirtschaft mich  nach all den Erfahrungen umso mehr begeistert. Heute studiere ich seit zwei Jahren an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen Agrarwirtschaft. Inzwischen kann ich mir auch vorstellen, für eine gewisse Zeit zurückzukehren und mit diesen wunderbaren Menschen  in einer herrlichen Natur zu arbeiten. 
Lachen lernen
Anna Sester mit einem Kindergartenkind. Von den Kids lernte sie, fließend Suaheli zu sprechen.
Denn was mich am meisten fasziniert hat und immernoch begeistert, sind die Menschen dort. Ich war weiß, ich war fremd, und trotzdem bin ich überall mit einem strahlenden Lächeln empfangen worden. Im Bus wird man sofort in einen Smalltalk verwickelt; fragt man nach dem Weg, wird man buchstäblich an der Hand genommen. Schnell wird man nach Hause eingeladen. Die Mengen an Essen sind zwar kaum zu bewältigen, aber es schmeckt fantastisch.
Eine Sache können wir Europäer von diesen Menschen auf jeden Fall lernen: das Lachen. Auch wenn in Tansania große Armut herrscht, sieht man fröhlich spielende Kinder, die Nachbarn unterhalten sich auf der Straße oder packen mit an, wenn Not am Mann ist. Oft wird aus dem Wenigen Unglaubliches gezaubert. So entsteht aus einem Stück alter Eisenbahnschiene eine Schulglocke, Motorräder werden zu Transportmitteln für Tiere umfunktioniert, Wasserkanister auf abenteuerliche Weise an Fahrrädern befestigt. Zu Anfang dachte ich, ich könnte den Menschen dort etwas beibringen. Doch wenn ich heute zurückblicke, waren sie meine besten Lehrmeister. Wo ich früher ängstlich und schüchtern war, komme ich heute mit vielen Menschen in den unterschiedlichsten Situationen ins Gespräch. Manche Situationen sind vielleicht schwierig – aber ich weiß, ich habe schon ganz andere Dinge geschafft. Ohne die Zeit in Tansania wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Ich habe es gewagt, aus meiner  kleinen Welt herauszutreten und darf immer mehr erfahren, wie wundervoll und voller Überraschungen das Leben ist.
FSJ in Afrika: Was, wo, wie?
Das FSJ in Tansania lief über die Caritas Hildesheim, www.freiwilligendienste-afrika.de. Alter: 18−28 Jahre. Die aktuelle Bewerbungsfrist läuft bis zum 9. Januar. Übernommen werden die Kosten für Flug, Kost und Logis, Impfungen und Krankenversicherung. Es gibt ein Taschengeld von 150 Euro im Monat. Selbst zu tragende Kosten sind die 17-tägige intensive Vorbereitung inklusive Sprachkurs, Visa und Arbeitsgenehmigung (vom Caritasverband vor Ort beantragt). Die Teilnehmer bauen im Vorfeld einen Spenderkreis in Deutschland auf, der sie   mit 150 Euro im Monat unterstützt.
FSJ in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Entsendeorganisationen, vom Staat finanziell unterstützt, gibt es unter www.weltwärts.de.
 
Warst du auch im Ausland?
Die BBZ sucht junge Leute, die wie Anna Sester nach ihrem Schulabschluss Zeit im Ausland verbracht haben. Ob Praktikum, FSJ, Work & Travel oder Wwoofen – wenn ihr eine ähnliche Erfahrung gemacht habt und diese mit unseren Lesern teilen wollt, schreibt uns: Gisela Ehret,  ehret@blv-freiburg.de oder auf Facebook. Wer ausgewählt wird, erhält ein kleines Dankeschön.