Politik | 05. Dezember 2024

Südbaden versorgt sich längst nicht selbst

Von René Bossert
Wie wird sich Südbaden in Zukunft ernähren? Diese Frage wurde beim Nachtcafé zu beantworten versucht, zu dem das Bildungshaus Kloster St. Ulrich und der BLHV letzte Woche nach Freiburg eingeladen hatten.
Zur Podiumsrunde im Freiburger Haus der Bauern wurde ein Referent digital auf dem Bildschirm zugeschaltet (von links): Edeka-Vorstand Jürgen Mäder, Ministerialdirektorin Isabel Kling, Richard Riester von der LEL, Arnim Wiek von der Universität Freiburg und Bio-Großhändler Harald Rinklin.
Wie es um die Ernährungssicherheit in Südbaden bestellt ist, beleuchtete  Richard Riester von der Landesanstalt für Landwirtschaft in Schwäbisch Gmünd (LEL).  Er  nannte zunächst Selbstversorgungsgrade für den Regierungsbezirk Freiburg. Nur bei Wein (239 %), Spargel (191 %) und Getreide (181 %) liegen sie über 100 %.  Knapper sieht es hingegen bei Obst (72 %) und Rindfleisch (66 %) aus. Noch niedriger liegen die Werte bei Milchprodukten und Milch (46 %), Eiern (33 %), Schweinefleisch (22 %), Kartoffeln (24 %), Gemüse (18 %) und Zucker (9 %). Auf  Baden-Württemberg bezogen nannte Riester einen Selbstversorgungsgrad von 60 bis 70 %,  über alle Produkte hinweg gemittelt.
Die Selbstversorgungsgrade seien aber nur ein Aspekt des Themas. Zu bedenken sei, dass viele Betriebsmittel von außerhalb kämen, nicht nur Diesel, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Tierarznei, sondern auch Arbeitskräfte. Deshalb gebe es viele potenzielle und latente Risiken im System.
Nicht viel Ackerfläche pro Kopf
Die Ausstattung mit Ackerfläche pro Kopf der Bevölkerung liege  in Südbaden mit 593 Quadratmetern weit unter dem deutschen (1402 Quadratmeter) und EU-Durchschnitt (2224 Quadratmeter).
In den vergangenen 30 Jahren war die Ernährungssicherheit  nicht im Fokus. „Wir reden viel mehr über Klimaschutz und Nachhaltigkeit”, stellte Riester fest.  Es sei aber kein Luxus, sich mit dem Thema Ernährungssicherheit zu beschäftigen, und auf die Problematik hinzuweisen, sei keine Schwarzmalerei, betonte er. Sollten wir nicht mehr für die Grundversorgung anbauen, fragte er:  „Bei  Wein werden Flächen frei, ist Gemüse da eine Alternative?”
Professor Arnim Wiek von der Universität Freiburg nannte als weitere Herausforderungen mit Blick auf eine regionale Versorgung die Marktkonzentration und Abhängigkeit von Großbetrieben und die begrenzte Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für regionale Lebensmittel. Wiek sprach sich für eine möglichst große Vielfalt  aus,  um eine verlässliche Versorgung der Bevölkerung mit regionalen Lebensmitteln sicherzustellen. Es brauche dazu Strukturen mittlerer Größe und  auch die kleinstrukturierte regionale Land- und Ernährungswirtschaft – und die Unterstützung der Politik. Die Erzeuger sollten sich in Erzeugergemeinschaften zusammenschließen.
Regionale Großmärkte erhalten
Wichtig ist aus seiner Sicht, regionale Frische-Großmärkte zu erhalten, wo auch kleinere Erzeuger anliefern könnten. 23 gebe es noch im deutschsprachigen Raum, aber oft sei bei ihnen die Infrastruktur überaltert.  Vor kurzem mussten der Kölner und der Düsseldorfer Großmarkt schließen.  „Die Großen können gut mit den Großen, aber die mittleren Strukturen brechen weg”, beobachtet Wiek. Genau die brauche es aber auch.
Baden-Württemberg brauche nicht weniger Tiere, sondern mehr, sagte Isabel Kling,  Ministerialdirektorin im Stuttgarter Ministerium Ländlicher Raum. Dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung auf die Tierhalter zeige, ärgert Kling.  Die vegane Karotte brauche auch das, was aus der Kuh hinten rauskomme. Unter anderem mit  der Kantinenrichtlinie versuche man, mehr regionale und Bio-Ware in die Außer-Haus-Verpflegung zu bekommen. Landeskantinen müssen bis 2030 40 % ihrer Ware als regionale Bioprodukte beziehen. Regional bedeutet hier aus Baden-Württemberg.
Kling  nannte als Positivbeispiel einen Landwirt, der in Kürze Pommes aus seinen Kartoffeln anbieten kann, weil er in entsprechende Maschinen  zur Weiterverarbeitung investiert. „Wir brauchen die Kleinen und die Großen und wir versuchen in Baden-Württemberg auch, beides zu fördern”, sagte Kling.
Bewusstsein  zu schaffen für Ernährung und Ernährungssicherung sei in Kitas und Schulen  besonders wichtig. Eine ernüchterte Bauernhofkindergarten-Betreiberin im Publikum, die erfährt, dass  Eltern zwar Interesse an diesen Themen zeigen, aber ihr Einkaufsverhalten nicht ändern, ermunterte Kling, nicht aufzugeben.
Edeka Südwest-Vorstand Jürgen Mäder  erklärte, dass die Edeka-Kaufleute noch näher an die Landwirte heranrücken wollten. Die Frage sei dabei immer, ob ein Produkt regional zu bekommen sei und ob es auf das Thema Nachhaltigkeit einzahle. Es gehe darum, den Hofladen in den Supermarkt hineinzuholen.  Senf und Kichererbsen aus der Region seien Produkte, an denen man im Moment arbeite.
Seit Februar 2022 finde das stärkste Wachstum im Preiseinstiegsbereich statt. Nachhaltigkeit, Regional und Bio wolle jeder, aber im Einkaufskorb sehe es anders aus. Mit den rund 500 Produkten, die das Label „Unsere Heimat” tragen, mache Edeka nur knapp 5 % der Umsätze. An Weihnachten werde es wieder Spargel aus Peru geben und im Februar die ersten Erdbeeren: „Irgendjemand kauft es”, sagte Mäder. Die regionalen Erzeuger seien bei der Standardisierung vorangekommen, sagte Mäder. Dies sei aber auch nötig, weil die Verbraucher perfekte Ware wollten.
Regionales Geflügelfleisch fehlt
Mäder würde in den ehemaligen Schweineställen in der Rheinebene Geflügelfleisch produzieren. Leider fehlten in Baden-Württemberg Geflügelschlachthöfe. Ebenso gebe es leider keine Strukturen zur Wollaufbereitung mehr.
Bio-Großhändler Harald Rinklin stellt fest, dass  auch bei Öko-Lebensmitteln die Verbraucher  verstärkt zum Preiseinstiegssegment greifen. Er appellierte, mit den 140 Millionen   Euro aus dem Strategiedialog auch alternative Strukturen zu fördern und handwerkliche Strukturen zu erhalten. Metzger und Bäcker auf dem Land brechen weg, so seine Beobachtung. „Große Mengen, das machen wir nicht in Südbaden”, stellte er fest.