Politik | 28. September 2022

Landwirtschaft erhalten, Vielfalt stärken

Von Walter Eberenz
Mit dem Strategiedialog Landwirtschaft wurde am 23. September in Stuttgart der vierte Strategiedialog der Landesregierung gestartet. Ziel ist, gesellschaftlich relevante Akteure zusammenzubringen und Wege zu beschreiten, die die bäuerliche Landwirtschaft in Baden-Württemberg stärken.
Akteure des Strategiedialogs Landwirtschaft in Stuttgart (von links): Landwirtschaftsminister Peter Hauk, Umweltministerin Thekla Walker, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Einbezogen in den Strategiedialog sind Vertreterinnen und Vertreter aus Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel, Konsumforschung, Naturschutz, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Der BLHV gehört dazu und war bei der Auftaktveranstaltung mit einer Delegation vertreten, angeführt von Präsident Bernhard Bolkart. Bei dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Strategiedialog Landwirtschaft sollen Wege aufgezeigt und eröffnet werden, um die kleinstrukturierte bäuerliche Landwirtschaft in Baden-Württemberg zu erhalten und gleichzeitig die biologische Vielfalt in der Kulturlandschaft zu stärken. Im Zentrum stehen dabei zudem die Förderung regionaler Produkte, die Erhöhung des Bioanteils der Produkte und die Bewusstseinsschärfung der Verbraucherin und des Verbrauchers. In fünf Arbeitsgruppen sollen künftig Themenfelder des Strategiedialogs bearbeitet werden. Im Sommer 2024 sollen die Ergebnisse vorliegen.
„Ein starker Mittelstand ist Geschäftsmodell des Landes. Die Landwirtschaft ist mittelständisch geprägt. Sie zu erhalten, ist in unser aller Interesse. Wir können es uns nicht leisten, dass ein Betrieb nach dem anderen aufgeben muss”, setzte Ministerpräsident Winfried Kretschmann gleich zu Beginn der Auftaktveranstaltung  Pflöcke im Sinne der heimischen Landwirtschaft.
Kretschmann will neuen Gesellschaftsvertrag
Weiter sagte er: „Wir stehen vor der Herausforderung, genau das richtige Maß zu finden, bei dem das Land nachhaltig bewirtschaftet, Artenvielfalt erhalten, das Tierwohl beachtet und Kulturlandschaften gepflegt werden − und diejenigen dafür angemessen bezahlt werden, die das am Ende für uns alle stemmen. Nach jahrelanger Dauerkonfrontation sind hier nicht nur Innovationen und Dialog gefragt. Was wir brauchen, ist ein neuer Gesellschaftsvertrag. Weil alle betroffen sind und jeder sich ein bisschen bewegen muss, damit wir zu einem breiten Konsens kommen.” Im Rahmen der Auftaktveranstaltung des vierten Strategiedialogs der Landesregierung mit verschiedenen Talkrunden und Redebeiträgen, unter anderem von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, stellte Staatssekretär Florian Hassler die Struktur des Strategiedialogs vor.
Absichtserklärung mit dem Handel
Ministerin Walker und Minister Hauk diskutierten über Herausforderungen und Handlungsfelder im Strategiedialog und Ministerpräsident Kretschmann unterzeichnete zusammen mit Vertretern des Lebensmitteleinzelhandels eine Absichtserklärung zur Stärkung von regionalen  lokalen Erzeugnissen im Lebensmitteleinzelhandel.  Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir unterstrich in seiner Rede: „Der Strategiedialog à la Baden-Württemberg ist ein Erfolgsgarant. Daher freut es mich als Bundeslandwirtschaftsminister natürlich ganz besonders, wenn dieser Strategiedialog nun auch für mein Thema, die Landwirtschaft, hier im Ländle startet.”
Zukunftsweisende Impulse erhofft
Peter Hauk, Landwirtschaftsminister des Landes, thematisierte die Attraktivität des landwirtschaftlichen Berufs auch für kommende Genrationen als wichtige Aufgabe. Hauk: „Ich erhoffe mir vom Strategiedialog gemeinsam erarbeitete, zukunftsweisende Impulse für die Weiterentwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette unter angemessener Berücksichtigung der Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Betriebe.” Landesumweltministerin Thekla Walker betonte: „Naturschutz geht nur mit der Landwirtschaft. Wir brauchen den Schulterschluss zwischen Naturschutz, Klimaschutz und Landwirtschaft, und wir müssen die Weichen jetzt stellen. Denn mit Blick auf die Klimaveränderung und den Verlust der Artenvielfalt ist dieses Jahrzehnt entscheidend.” Kretschmann erklärte, dass der Prozess allen viel Kompromissbereitschaft und Arbeit abverlangen werde.
„Kein Kaffeekränzchen”
„So ein Strategiedialog ist kein Kaffeekränzchen”, sagte er. Gleichzeitig sei er sich aber sicher, dass die kontinuierliche Zusammenarbeit in diesem Format Lösungen bringen werde, die der Komplexität der Fragen gerecht würden: „Es wird nicht einfach werden – aber ich freue mich auf die Zusammenarbeit”, so Kretschmann. Noch am Nachmittag des
23. September kamen die Arbeitsgruppen zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammen. Im Sommer 2024 sollen die konkreten Ergebnisse vorliegen. Der Strategiedialog ist beim Staatsministerium angesiedelt. Die Gesamtsteuerung übernimmt Staatssekretär Florian Hassler. Beteiligte Fachressorts sind das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. Es wird eine Interministerielle Arbeitsgruppe unter der Leitung des Staatsministeriums eingerichtet.
Bauern- und Naturschutzverbände stellen Zukunftspapier vor
Drei Landwirtschaftsverbände und der Naturschutzverband NABU in Baden-Württemberg wollen sich gemeinsam dafür einsetzen, dass der von Ministerpräsident Kretschmann eröffnete Strategiedialog Landwirtschaft ein Erfolg wird. „Die Herausforderungen unserer Zeit können wir nur gemeinsam bewältigen”, so die Verbandsvertreter der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (AÖL), des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV), des Landesbauernverbands in Baden-Württemberg (LBV) und des NABU (Naturschutzbund) Baden-Württemberg. Die Verbände befinden sich bereits seit rund einem Jahr in einem konstruktiven Dialogprozess und wollen ihre Ergebnisse und Erfahrungen in den Strategiedialog einfließen lassen. In einem Zukunftspapier haben sich die Verbände auf zentrale Herausforderungen verständigt. Diese gilt es nun im Strategiedialog aufzugreifen und umzusetzen.
Mit dem Ziel, eine Basis für eine bessere und an gemeinsamen Zielen ausgerichtete Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Lebensmitteleinzelhandel zu schaffen, initiierten die genannten Verbände im Jahr 2021 den Veränderungsdialog, der durch die Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt finanziert wird. „Wir haben den Veränderungsdialog ins Leben gerufen, weil wir einen neuen Geist der Zusammenarbeit brauchen”, erklärt der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle. „Dafür müssen sich alle Seiten bewegen und aufeinander zugehen, denn nur gemeinsam werden wir die Probleme der Landwirtschaft lösen und den Rückgang der Artenvielfalt stoppen.”
Beide Projekte – der Strategiedialog des Ministerpräsidenten und der Veränderungsdialog der Verbände – würden ähnliche Ziele verfolgen, so der AÖL-Vorsitzende Marcus Arzt: „Wir möchten Lösungsansätze für eine zukunftsfähige Landwirtschaft sowie für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen hervorbringen. Übergeordnetes Ziel des Veränderungsdialogs sei „die Gestaltung eines Agrarökosystems, das unsere natürlichen Ressourcen schont, Landwirtinnen und Landwirten eine wirtschaftliche Perspektive bietet und für Ernährungssicherheit sorgt”, führt Arzt weiter aus. „Dabei ist der Einbezug des Handels unabdingbar.”
Krieg und Krise haben verdeutlicht, wie wichtig die heimische Lebensmittel-, aber auch die Energieproduktion ist. „Durch die Corona-Pandemie ist die Wertschätzung von regionalen Lebensmitteln gestiegen. Die Situation hat sich durch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges mit steigender Inflation und den massiv gestiegenen Preisen verändert”, erklärt LBV-Präsident Joachim Rukwied. „Die baden-württembergischen Bauernfamilien brauchen stabile Wertschöpfungsketten, auskömmliche Einkommen und verlässliche Rahmenbedingungen. Neben hochwertigen Lebensmitteln schaffen wir lebendige ländliche Räume und eine einmalige Kulturlandschaft mit großer biologischer Vielfalt.” Um Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen, muss es laut dem Bauernpräsidenten einen Schulterschluss zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, Politik und Lebensmitteleinzelhandel geben. „Das ist unser gemeinsames Ziel”, bekräftigt Rukwied. Landwirtinnen und Landwirte stünden aufgrund der aktuellen Energiekrise unter enormem finanziellem Druck, betont BLHV-Präsident Bernhard Bolkart. „Wir müssen dennoch die Herausforderungen unserer Zeit angehen und die Landwirtschaft der Zukunft gestalten. Insbesondere Klimawandel und
Biodiversitätsverlust zwingen uns zu handeln. Wir sind auf einem sehr guten Weg”, erklärt Bolkart anerkennend, „wenn wir weiterhin zusammenarbeiten und uns gegenseitig unterstützen, werden wir Lösungen finden.”

Hintergrund zum Veränderungsdialog: Mit dem Ziel, eine Basis für eine neue, bessere und an gemeinsamen Zielen ausgerichtete Zusammenarbeit der Akteure aus Landwirtschaft, Naturschutz und Lebensmittelhandel in Baden-Württemberg zu schaffen, haben die Verbände BLHV, LBV, AÖL und NABU  Baden-Württemberg gemeinsam den Veränderungsdialog angestoßen. Finanziell und ideell unterstützen das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (UM) sowie das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) des Landes Baden-Württemberg das Projekt.
Der Fokus liegt auf einer Lebensmittelproduktion, die die Umwelt schont, Ernährungssicherheit schafft und die für ihren gesellschaftlichen Beitrag honoriert wird. Eine aktive Einbindung des Lebensmitteleinzelhandels ist sehr wichtig, um tragfähige Ansätze etablieren zu können. Ziel des Projektes ist es, sich auf konkrete gemeinsame Handlungsoptionen (Maßnahmen, Projektideen) zu verständigen, mit denen in einem Folgeprozess an der Verwirklichung der gemeinsamen Zukunftsbilder gearbeitet wird.Mehr unter: www.veraenderungsdialog.de