Die Landesversammlung des BLHV war geprägt von einem angespannten Verhältnis der Bauern zu politischen Entscheidungen und Vorhaben, die ihnen das Wirtschaften zunehmend erschweren. Hauptredner Günther Oettinger bereicherte die Veranstaltung mit einer Standortbestimmung für Europa.
Günther Oettingers messerscharfer und pointierter Exkurs zu Zukunftsfragen für die heimische Wirtschaft, Landwirtschaft und für Europa wurde im Saal und auf dem Podium mit hoher Aufmerksamkeit verfolgt. Sitzend von links: BLHV-Hauptgeschäftsführer Benjamin Fiebig und Präsident Werner Räpple, die Vizepräsidenten Karl Rombach, Franz Käppeler und Karl Silberer sowie Rosa Karcher, Präsidentin des Landfrauenverbandes Südbaden.
„Die Landesversammlung ist eine Standortbestimmung, bei der wir uns deutlich politisch positionieren”, leitete BLHV-Präsident Werner Räpple am 5. März in der Osterberghalle in Bad Dürrheim-Öfingen die Landesversammlung 2015 des BLHV ein. Der BLHV erfüllte im Verlauf der Veranstaltung den selbstgewählten Auftrag und Anspruch.
Deutlich kam zur Sprache, dass vor allem Bürokratie und Auflagen für die Landwirte mittlerweile ein nicht mehr zu tolerierendes Ausmaß angenommen haben. „Wir lehnen unnötige, überbordende Bürokratie ab – das wirkt wie ein Betriebsschließungsprogramm. Wir merken das gerade schmerzlich bei der Schweinehaltung”, betonte Räpple. „Dabei”, so der Präsident, „braucht moderne und nachhaltige Landwirtschaft motivierte und auch junge Betriebsleiter”. Dazu seien neben auskömmlichen Preisen mehr Entwicklungsmöglichkeiten und unternehmerische Freiheiten nötig, aber weniger Bürokratie, betonte Räpple unter dem Beifall des Publikums in der Halle. Unterstützung erhielt er in dieser Frage von Rosa Karcher, der Präsidentin des Landfrauenverbandes Südbaden, die in ihrem Grußwort von einer „Bürokratiewelle” sprach, die wegen des Mindestlohns besonders auf die Sonderkulturbetriebe zurolle.
Zwei Resolutionen
Rosa Karcher unterstrich zudem die wichtige Rolle der
Bäuerinnen auf den Betrieben und die Bedeutung der Landfrauen als
„Brücke zwischen den Bauern und der nicht bäuerlichen Bevölkerung”.
Nachhaltigkeit und Produktivität sind für BLHV-Präsident Werner Räpple keine Gegensätze, sondern Grundbedingungen für eine zukunftsfähige
Landwirtschaft. Das gehe nicht nur „mit Idyll und Streichelzoo”, wie
Räpple bei mehrfacher Gelegenheit betonte (siehe Kasten).
Gleichwohl bekannte sich der BLHV-Präsident zur berufsständischen
Initiative Tierwohl: „Es wird spannend, wie das funktioniert.”
Volle Osterberghalle in Bad Dürrheim-Öfingen: 550 Bäuerinnen, Bauern sowie Vertreter aus der heimischen Agrarwirtschaft, der Politik und der Verwaltung folgten der Einladung des BLHV zu seiner Landesversammlung. Vor den Reden sorgte das Seniorenblasorchester Schwarzwald-Baar-Kreis für musikalische Kurzweil. Für die Bewirtung sorgten die örtlichen Landfrauen.
Zu den brennenden Bürokratie- und Auflagen-Themen Mindestlohn und
Novelle der Düngeverordnung verabschiedete die Landesversammlung mit
einstimmiger Handzeichenbekundung jeweils eine Resolution – mehr zu
diesen Resolutionen unter www.blhv.de.
Dank dem Gastredner Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale
Wirtschaft und ehemaliger Ministerpräsident Baden-Württembergs, erlebten
die rund 550 Besucher im vollen Saal eine weitere, sehr engagierte
Standortbestimmung: die für Europa in der Welt.
Europa als Wurmfortsatz Asiens?
„Europa muss eine ernstzunehmende Größe in der Welt
bleiben”, ist für Oettinger klar, um gleich hinterherzuschieben: „Wenn
es Europa nicht schafft, werden wir Wurmfortsatz Asiens.” Europa droht
jedoch Oettinger zufolge auch von den USA abgehängt zu werden.
Beispielhaft führte er einen Vergleich mit Deutschland als
wirtschaftsstarkem EU-Mitglied an: Amerika habe eine durchschnittlich
jüngere Bevölkerung, sei energieautark, habe eine höhere Kapitalkraft
und sei in der digitalen Entwicklung gegenüber Deutschland und Europa
überlegen.
„Wir brauchen eine digitale Europäische Union”, folgerte der
EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft. Bezogen auf das bäuerliche
Publikum in der
Halle ergänzte er: „Wenn das schnelle Internet nicht in jedes Dorf und
auf jeden Hof kommt, steht es um die Zukunft der Landwirtschaft
schlecht.”
Oettinger griff auch die Frage mangelnder gesellschaftlicher
Anerkennung der Bauern auf und beantwortete sie gleich selbst. „Wie
Wahlen stets zeigen, sind Bauern in der Kommunalpolitik hoch anerkannt
und werden gerne gewählt. Gehen Sie mit gesundem Selbstvertrauen – nicht
Arroganz – in Ihre Gemeinden zurück”, ermutigte er die
Versammlungsteilnehmer.
Grundvertrauen statt Grundmisstrauen
Der Politik
und ausführenden Behörden riet er, bei Entscheidungen und Verordnungen
ein Grundvertrauen an den Tag zu legen statt ein Grundmisstrauen. Man
dürfe dieses Prinzip wegen einzelner schwarzer Schafe, die es überall
gebe, nicht über Bord werfen.
Bürokratische Anforderungen sind für ihn auch eine Frage der
Unternehmensgröße. Man könne dem kleinen Handwerksbetrieb nicht das
Gleiche zumuten wie Daimler oder Bosch. Bezugnehmend auf das umstrittene
Mindestlohngesetz bezeichnete er Andrea Nahles, die Bundesministerin
für Arbeit und Soziales, als kluge Frau, deren Denkweise allerdings von
der Großindustrie geprägt sei.
Europa sei auch eine Wertegemeinschaft, die es zu erhalten und zu
schützen gelte, betonte Oettinger und schwenkte so zum weltpolitischen
Geschehen über, das nicht überall von freiheitlich-demokratischer
Grundordnung bestimmt ist. Oettinger sieht die Europäische Union derzeit
aufgrund von beunruhigenden Entwicklungen wie dem Ukraine-Konflikt und
dem IS-Terror im Nahen Osten „von Unsicherheit und Instabilität
umzingelt”.
Werte exportieren
Sein Rat: „Wir sollten nicht nur
S-Klasse exportieren, sondern auch Werte.”
Ministerialdirektor Wolfgang Reimer, der Amtschef im Stuttgarter
Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR),
bescheinigte in seinem Grußwort der Region Südbaden, dass sie die
gesamte Landwirtschaft der EU abbildet, „und damit auch alle Probleme”.
Beispielhaft nannte er die Landwirtschaft in Berggebieten. Nachdem er
die Leistungen des Landes und seines Hauses bei der Reform der
Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hervorgehoben hatte („Wir haben für
Baden-Württemberg das Bestmögliche herausgeholt”), ging er auf einzelne
aktuelle Politikbereiche ein, mit Schwerpunkt Novelle der
Düngeverordnung.
Hauptinteresse Bayerns und Baden-Württembergs sei, die Vorgaben der
Düngeverordnung möglichst niedrig zu halten. Die Bundesländer, die
Probleme haben, sollen nach den Vorstellungen Reimers schärfere
Maßnahmen ergreifen. „Wir wollen nicht die gleichen Vorgaben haben, wie
sie in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen notwendig sind”,
unterstrich er.
Reimer machte die Zuhörerinnen und Zuhörer jedoch auch darauf
aufmerksam, dass regionale Differenzierungen schwierig durchzusetzen
seien.
Zur Freude des Veranstalters war auch der neue Landtagspräsident
Wilfried Klenk (CDU) zum Antrittsbesuch bei den südbadischen Bauern nach
Bad Dürrheim-Öfingen gekommen.
In einer Linie mit Handwerkern
Nachdem Klenk über seine bäuerliche Herkunft informiert
hatte („Ich bin Bauernsohn und spreche daher Ihre Sprache”),
unterstrich er, dass er Landwirte als verantwortungsbewusste Unternehmer
einstuft – in einer Linie mit Handwerkern. „Niemand ist damit gedient,
wenn Landwirte aufhören, und es ist weder ökonomisch noch ökologisch,
wenn sie kapitulieren vor der Bürokratie”, betonte Klenk.
Stimmen: Projekt Schweinehaltung
In der Nähe des Tagungsortes des BLHV ist das umstrittene Schweinehaltungsprojekt im Großformat der Familie Messner geplant. In seinem Grußwort als Standort-Gastgeber der Landesversammlung kam Bad Dürrheims Bürgermeister Walter Klumpp darauf zu sprechen. Er bekannte sich zur Entwicklung einer „nachhaltigen Landwirtschaft”, jedoch auch „zum Schutz der Kur- und Bäderstadt Bad Dürrheim”. Klumpp verwies auf jährlich 600000 Übernachtungen und ebenso viele Besucher des Bades Solemar, um zum deutlichen Schluss zu kommen: „Es kann nicht sein, dass wir uns diese Entwicklung durch einen Massentierhaltungsbetrieb zerstören lassen. Wir müssen auch darauf achten, dass die Landwirtschaft in ihrer gewachsenen Struktur erhalten bleibt.” BLHV-Präsident Werner Räpple gab zu bedenken: „Wenn man sieht, wie sich die Landwirtschaft außerhalb von Baden-Württemberg aufstellt, muss man sagen, dass eine Idylle- und Streichelzoo-Landwirtschaft keine Zukunft hat.” Räpple machte darauf aufmerksam, dass im Südwesten die Schweinehaltung wegbreche, weil es in jedem Ort eine Bürgerinitiative gebe.