Politik | 24. Januar 2019

Sicherheitsbedürfnis in unsicheren Zeiten

Von Walter Eberenz
Zukunftsfragen mit unklaren Antworten spielten eine große Rolle bei den agrarpolitischen Diskussionen anlässlich der Internationalen Grünen Woche (IGW) in Berlin. Welchen Brexit wird es geben und wann? Wann entscheidet die EU über welches Budget für die Gemeinsame Agrarpolitik?
Akteure der Agrarpolitik auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin (von links): Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, ...
„Wir schauen nach vorne”, bekundete Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), auf der Grünen Woche demonstrativ vor der Presse. Auch wenn das jüngste Konjunkturbarometer Agrar zeige (siehe Seite 15), dass die Stimmungslage in der Landwirtschaft weiterhin gedämpft sei. Die extreme Dürre des Vorjahres habe dazu maßgeblich beigetragen.
Vor der eigenen Klientel beim Neujahrsempfang des DBV tags darauf auf der Grünen Woche legte Rukwied eine Schippe Entschlossenheit drauf: „Wir sind innovativ, wir packen es an. Wir gehen 2019 mit frischem Mut und frischem Elan an”, rief er  dem Publikum aus Bauerndelegationen, Politik und Agrarbranche zu.
Hogan: Haushalt nicht vor den Europawahlen
Auf europäischer Ebene betrachtet es Rukwied als sehr wichtig, „was für einen Brexit es gibt”. Großbritannien sei wichtiger Handelspartner. Zudem habe der Brexit Folgen für den EU-Haushalt. Rukwied erneuerte hierbei seine Forderung nach einer Entscheidung über den EU-Haushalt noch vor den Europawahlen im Mai. Wobei er dieses Ansinnen selbst als „sehr ambitioniert” einstufte. EU-Agrarkommissar Phil Hogan drückte sich in dieser Frage gegenüber Journalisten in Berlin eindeutig aus: „Vor den Europawahlen werden wir den Haushalt nicht verabschieden – das ist völlig klar.” Der Europäische Rat habe dafür die Zielmarke Ende 2019 gesetzt.
5 G an jedem Milchtank
Bei der Gestaltung der künftigen Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) sprach sich Rukwied erneut gegen Kappung und Degression aus und favorisierte dafür eine Besserstellung der ersten Hektare. Insgesamt bewertete Rukwied die GAP-Vorschläge von Hogan jedoch als „gute Basis”. Er erwähnte dabei als besonders positiv, dass das Zwei-Säulen-Modell erhalten werden soll.  Der DBV-Präsident bekundete für seinen Verband, gegenüber der Gesellschaft dialogbereit zu sein. Mehr Leistungen für Umwelt und Tierwohl müssten sich für Bauern jedoch auch rechnen, gab er zu bedenken.
Klöckner will andere Debattenkultur
Beim Thema Digitalisierung forderte Rukwied „5G an jedem Milchtank”. Die Zeit der Milchkannen sei vorbei, sagte er in Anspielung auf Äußerungen aus politischen Kreisen, „man brauche nicht 5G an jeder Milchkanne”. Für Rukwied ist die „Digitalisierung des ländlichen Raumes mit 5G ein Muss”.
... Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, ...
Das sieht auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner so, wie sie in Berlin bekundete. Für sie darf es „kein Deutschland der zwei Geschwindigkeiten geben”. „Wenn wir Precision-Farming so nutzen, dass Düngemittel nur dosiert dahin kommen, wo sie gebraucht werden, helfen wir der Umwelt und der Gesellschaft”, betonte sie gegenüber Journalisten in Berlin.
Klöckner sieht ihre Rolle offenbar darin, „eine andere Debattenkultur bei Ernährung und Landwirtschaft” zu befördern. „Sie ist sehr polarisiert – man kommt sehr schnell auf die Gesinnungsebene”, erklärte sie. Es gehe darum, mit drei Gruppen umzugehen, die  unterschiedlichen Erwartungen haben: Produzenten, Ernährungsindustrie/ Handel sowie Verbraucher.  Klöckner sprach davon, dass es darum gehe, Zielkonflikte zu überwinden. „Es wird aber nicht wirklich über die Zielkonflikte geredet”, so ihre Bewertung der aktuellen Situation. „Die Leute wollen Fleisch von Tieren essen, die nie geschlachtet worden sind”, brachte Klöckner Widersprüche in der Gesellschaft auf den Punkt.
Pflanzenschutzmittel erachtet Klöckner auch in Zukunft als  nötig, weil es nach ihrer Überzeugung „ein Recht auf Nahrung” gebe. „Und wenn ich mehr für das Tierwohl tun will, habe ich ein Problem mit dem Baugesetzbuch”,   benannte sie ein weiteres Konfliktthema.
Zum geplanten Staatlichen Tierwohllabel gab es keine  neue Nachrichtenlage von ihr: Es sei zurzeit in der Notifizierung bei der EU und in der Abstimmung mit den Beteiligten. Das dreistufige Label habe mehr Tierwohl von der Haltung bis zur Schlachtung zum Ziel. An die Verbraucher gewandt sagte Klöckner, dass auch sie gefordert seien: „Mehr Tierwohl kostet mehr.” Dabei sei die Eingangsstufe für Verbraucher mit kleinem Geldbeutel gedacht, die sich die Premiumstufe nicht leisten könnten.

Bei ASP wachsam bleiben
... EU-Agrarkommissar Phil Hogan und EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis.
Die EU-Kommission trat in Berlin mit Agrarkommissar Phil Hogan und Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis vor die Presse. Hogan betonte zum wiederholten Mal, dass er eine vereinfachte, leistungsorientierte und  ergebnisorientierte GAP anstrebe. „Es wird einfacher für die Landwirte”, verkündete er. Andriukaitis mahnte bei der Abwendung der Afrikanischen Schweinepest (ASP) die Mitgliedstaaten, „hier sehr wachsam zu bleiben”. Vor allem müsse die Verbreitung durch Menschen vermieden werden.
Thema Feinstaub schlägt in Berlin Wellen
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie (MPIC) haben die landwirtschaftliche Tierhaltung als einen der Hauptverursacher der Feinstaubbelastung in Deutschland ausgemacht. Laut einer bislang nicht veröffentlichten Studie des MPIC, über die das ARD-Magazin „Monitor” am 17. Januar berichtet hat, verbindet sich der Ammoniak aus der Gülle mit Abgasen aus der Industrie und dem Straßenverkehr und bildet so Feinstaub. Insgesamt sei die Landwirtschaft für 45 Prozent der gesamten Feinstaubbelastung in Deutschland verantwortlich, die hierzulande jedes Jahr zu 120000 vorzeitigen Todesfällen bei Menschen führe. Aus ihren Ergebnissen schlussfolgern die Forscher, dass alleine aufgrund der Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft jedes Jahr rund 50000 Menschen in Deutschland vorzeitig sterben. Das Thema, punktgenau zur Grünen Woche in Berlin platziert, erreichte dort auch die politischen Akteure: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner räumte ein, dass es auf einigen landwirtschaftlichen Betrieben Probleme mit Ammoniakemissionen gebe. Die Minderung des Ausstoßes durch technische Maßnahmen wie zum Beispiel die Vergärung von Gülle in Biogasanlagen brauche aber Zeit. Von den Grünen im Bundestag kamen indes Rufe nach neuen Vorgaben für die Abluftreinigung in der Tierhaltung und auch nach einem „Ende der Massentierhaltung”.
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, kritisierte die Studie und die von den Autoren gezogenen Schlussfolgerungen hinsichtlich möglicher Todesopfer als „hochgradig unseriös, geradezu unmoralisch”. Rukwied wies darauf  hin, dass es bereits eine Reduktionsstrategie für Ammoniak aus der Tierhaltung gebe. Der DBV-Umweltbeauftragte Eberhard Hartelt hält es für „hoch spekulativ und auch nicht für gerechtfertigt”, die Landwirtschaft „als Mörder hinzustellen”.
Der dargestellte Zusammenhang zwischen Feinstaub und vorzeitigen Todesfällen beruhe auf Modellrechnungen, „die in der Fachwelt auf erhebliche Zweifel stoßen”, stellte der DBV fest. Beanstandet wird vom Bauernverband insbesondere der Eindruck monokausaler Zusammenhänge zwischen Feinstaub und vorzeitigen Todesfällen.
Der DBV betont, dass die deutschen Bauern seit Jahren am Thema Luftreinhaltung und Emissionsminderung arbeiteten. Nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) sei die Landwirtschaft für rund zwölf Prozent der direkten Feinstaubemissionen verantwortlich, beispielsweise durch Bodenbearbeitung und Ernte.
Die Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft, aus denen sich indirekt Feinstaub bilden könnten, hätten seit 1990 bereits um elf Prozent reduziert werden können. Nach Prognosen werde das auf EU-Ebene für das Jahr 2020 für Deutschland vorgesehene Reduktionsziel für Ammoniak von fünf Prozent gegenüber 2005 mit den bereits verabschiedeten Regelungen des neuen Düngerechts erreicht.