Tierhaltung | 05. Februar 2015

Selektiv entwurmen – in jeder Haltungsform?

Von Dr. Anne Becher
Da bei der konventionellen Entwurmung von Pferden mehr und mehr Resistenzen auftreten, findet eine Methode immer mehr Anklang, die auf Kotprobenuntersuchungen beruht: die Selektive Entwurmung. Tierärztin Dr. Anne Becher ist Expertin dieser Methode und erklärt die Vorgehensweise.
So geht die Kotprobennahme: Pferdeäpfel mit einer Tüte aufnehmen...
Oft wird bei einzelnen Haltungsformen die Machbarkeit der Selektiven Entwurmung bezweifelt: Können in Offenställen die Kotproben zuverlässig einzelnen Pferden zugeordnet werden? Ist in Ställen mit regelmäßigem Pferdewechsel ein sicherer Schutz vor der Einschleppung resistenter Würmer möglich? Um diese  Fragen zuverlässig zu beantworten, müssen zuerst einige grundlegende Prinzipien der Selektiven Entwurmung geklärt werden.
Kleine Strongyliden: weit verbreitet
Mit der Selektiven Entwurmung werden die sogenannten Kleinen Strongyliden bekämpft. Diese Wurmart ist im Vergleich zu den anderen Wurmarten wesentlich weiter verbreitet und kommt in fast allen Pferdebeständen in Deutschland vor. Beim erwachsenen Pferd sind Kleine Strongyliden damit die Wurmart, nach der sich das Behandlungskonzept richten sollte. 
  • Zyklus
Kleine Stongyliden sind eine Weideinfektion. Die Larve 3 wird mit dem Gras zusammen von den Pferden aufgenommen (siehe Abbildung). Im Darm wandert sie in die Darmwand ein und entwickelt sich dort zur Larve 4. Dieses Stadium kann sich abkapseln und teilweise jahrelang symptomlos im Pferd verbleiben.
Normalerweise schlüpft dieses Stadium aber wieder aus der Darmwand und entwickelt sich im Darm zum erwachsenen Wurm. Die Weibchen legen dort ihre Eier, die mit dem Kot auf die Weide ausgeschieden werden. Im Gras und der Grasnarbe entwickelt sich bei feuchten und warmen Bedingungen wiederum  die infektiöse Larve 3 über weitere Zwischenstadien. 
  • Bekämpfung
Kein Entwurmungspräparat ist in der Lage, alle Stadien der Kleinen Stongyliden im Pferd ohne Ausnahme abzutöten. Ein Teil der abgekapselten Larven 4 überlebt jede Behandlung. Deshalb hatte eine Entwurmung noch nie das Ziel, ein Pferd  komplett wurmfrei zu machen. Das Immunsystem der Tiere ist der beste Schutz gegen klinische Symptome, die von Kleinen Strongyliden verursacht werden. Das Abwehrsystem kann aber nur funktionieren, wenn es durch einen geringen konstanten Infektionsdruck angeregt wird. Das Ziel der Bekämpfung der Kleinen Strongyliden ist es deshalb, einen geringen Infektionsdruck zu erhalten. Gleichzeitig sollen aber die Pferde vor einer hochgradigen Infektion geschützt werden, die klinische Symptome verursachen kann.
Prinzip und Vorgehensweise
... Tüte umstülpen und beschriften...
Der Infektionsdruck auf der Weide ist davon abhängig, wie viele Wurmeier das jeweilige  Pferd ausscheidet. Bei den Kleinen Strongyliden verursachen einzelne wenige Pferde einen Großteil dieser Eiausscheidung. Bei der Selektiven Entwurmung werden diese Tiere mithilfe von Kotuntersuchungen identifiziert und entwurmt. Damit werden die erwachsenen Würmer im Darm getötet und können keine Eier mehr legen. Bei allen anderen Pferden wird durch die Kotuntersuchung sichergestellt, dass keine oder nur geringe Mengen an Wurmeiern ausgeschieden werden. So wird ein geringer Infektionsdruck auf der Weide erhalten, der das Immunsystem der Pferde anregen soll. Im ersten Jahr der Selektiven Entwurmung wird von jedem Pferd einer Herde viermal im Laufe der Weideperiode eine Kotprobe mit dem McMaster Verfahren oder der FLOTAC-Methode untersucht. Diese Verfahren ermitteln ein Ergebnis, das in „EpG” = Eiern pro Gramm Kot ausgedrückt wird. International ist es üblich, Pferde mit einem Strongyliden-Untersuchungsergebnis von 200 EpG oder mehr zu entwurmen.
... und bei 4 Grad Celsius kühl lagern.
Zwei bis drei Wochen nach der Entwurmung wird durch eine erneute Kotuntersuchung sichergestellt, dass die Wurmkur gewirkt hat. Am Ende des ersten Jahres werden die Pferde in Abhängigkeit von den Untersuchungsergebnissen in eine von drei Gruppen eingeteilt:  „1. Pferde mit geringer Strongylidenei-Ausscheidung”, „2. Pferde mit mittelgradiger oder schwankender Eiausscheidung”, „3. Pferde mit hoher Strongylidenei-Ausscheidung”. Die 1. Gruppe wird ab dem zweiten Jahr nur noch zweimal untersucht, die 2. Gruppe in Absprache mit dem betreuenden Tierarzt drei- bis viermal und die 3. Gruppe durchgehend entwurmt. Mittelfristig werden die meisten Pferde mit zwei Kotuntersuchungen pro Jahr auskommen und nur etwa zehn Prozent der Pferde in der 3. Gruppe verbleiben.
Unterschiede je nach Haltungsform
Je nach Haltungsform wird dieses Vorgehen modifiziert bzw. mit weiteren Maßnahmen ergänzt. Die wichtigste Maßnahme ist dabei das Quarantänemanagement von neuen Herdenmitgliedern. Am Tag der Umstallung wird von dem neuen Pferd eine Kotprobe untersucht. Gleichzeitig sollte es unabhängig vom Untersuchungsbefund mit einer Breitband-Wurmkur behandelt werden (Moxidectin und Praziquantel). Der Kot sollte danach 14 Tage lang unschädlich beseitigt werden. Je nach Untersuchungsergebnis wird nach diesen zwei Wochen die Wirksamkeit der Behandlung zusätzlich überprüft. 

  • Reine Boxenhaltung
Hengste oder Sportpferde, die keinen Zugang zur Koppel oder Weide haben, sind nur einem sehr geringen Infektionsdruck mit Strongylidenlarven ausgesetzt. Die Kotproben können sehr einfach morgens früh frisch aus der Box genommen werden. Bei dieser Haltungsform bietet sich die Selektive Entwurmung schon deshalb an, da es nur in sehr seltenen Fällen Pferde mit mittlerer bis hoher Strongylidenei-Ausscheidung gibt. Da es keine Herde oder festen Koppelpartner gibt, kann außerdem jeder Pferdehalter unabhängig von den anderen Besitzern die Entwurmungsmethode wählen.
 
  • Private Pferdehaltung mit regelmäßiger Weidehygiene
Das Absammeln von Weiden und Paddocks mindestens alle zwei Tage unterbricht den Entwicklungszyklus der Kleinen Strongyliden.
Durch regelmäßige Weidehygiene wird der Infektionsdruck unabhängig von Entwurmungen sehr effektiv gesenkt. Die Strongyliden-Larven brauchen zwei Tage, um aus den Eiern zu schlüpfen. Wenn die Weide alle zwei Tage abgemistet wird, wird der Zyklus ohne eine Entwurmung unterbrochen. Auch bei dieser Haltungsform werden erfahrungsgemäß fast alle erwachsenen Pferde der Gruppe mit „geringer Strongylidenei-Ausscheidung” zugeteilt. Da zusätzlich die Herde oft sehr stabil ist und kaum Neuzugänge hinzukommen, kann in den meisten Fällen komplett auf Entwurmungen verzichtet werden. Dies nützt auch anderen Bodenbewohnern auf der Weide, die sich nicht mit den Rückständen der Wurmkuren im Pferdekot auseinandersetzen müssen.

  • Boxenstall mit Einzelweiden
Hat jedes Pferd eine eigene Weide oder teilt diese nur mit einzelnen anderen Tieren, so werden diese Einzelpferde bzw. Kleingruppen jeweils als unabhängige Herde betrachtet. Pferdebesitzer können sich selber entscheiden, wie oft sie die eigene Weide abmisten und welches Entwurmungsmanagement sie für ihr Pferd bzw. die kleine Herde wählen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, wie die Pferde auf der Nachbarweide entwurmt werden. Im Zweifelsfall sollte ausgeschlossen werden, dass Strongylidenlarven von Pferden mit hoher Eiausscheidung unter dem Zaun durchwandern. Dann kann zusätzlich noch einen Meter jenseits des Zauns abgemistet werden, da die Larven sich im Normalfall nicht weiter von den Pferdeäpfeln wegbewegen.

  • Boxenstall mit Koppelgruppen
Alle Pferde, die sich eine Weide teilen, werden als eine Herde angesehen. Kommen Stuten und Wallache zwar getrennt auf die Weide, aber zeitlich hintereinander auf dieselbe Fläche, so werden alle Tiere einer Herde zugeordnet. In diesem Fall sollten am besten alle Pferde selektiv entwurmt werden, also regelmäßigen Kotuntersuchungen unterzogen werden. Sprechen sich einzelne Pferdebesitzer gegen die Selektive Entwurmung aus, so werden ihre Pferde behandelt, wie wenn sie konstant eine große Menge an Strongylideneiern ausscheiden würden. Diese Pferde werden dementsprechend während der Weidesaison durchgehend entwurmt. Das Intervall richtet sich dabei nach dem Wirkstoff der Wurmkur (z. B. Pyrantel alle 6 Wochen, Ivermectin alle 8 Wochen, Moxidectin alle 12 Wochen).  

  • Ausbildungsstall mit häufigem Pferdewechsel
Neue Pferde sollten unabhängig von der Entwurmungsmethode immer wie oben dargestellt einer Quarantäneentwurmung unterzogen werden. Moxidectin unterdrückt zwölf Wochen lang die Eiausscheidung der Strongyliden. Deshalb wird die erste Kotprobe im Rahmen der Selektiven Entwurmung auch erst nach dieser Zeit genommen. Verlässt das Ausbildungspferd den Stall früher, stellt es keine Gefahr für die übrige Herde dar. Bleibt es länger, wird es entweder untersucht oder kommt auf eine getrennte Weide, die nicht von der Herde des Bestands benutzt wird. Davon abgesehen sollten junge Pferde im Rahmen der Quarantäne immer einer Kotuntersuchung unterzogen werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie keine ivermectin- oder moxidectinresistenten Spulwürmer einschleppen.

  • Offenstall
Werden alle Pferde in einer Gruppe gehalten, so kann ein Kothaufen auf dem Boden nicht sicher einem individuellen Pferd zugeordnet werden. Das Einsammeln der Kotproben ist aufwendiger. Dies wird meist vom einzelnen Pferdebesitzer erledigt, wenn das Pferd während dem Putzen oder dem Reiten Kot absetzt. Alternativ können die Pferde stundenweise angebunden werden, bis sie abgeäpfelt haben. Dieser zusätzliche Aufwand wird erfahrungsge-
mäß gerne übernommen, da Pferdehalter aus Offenställen die anderen Vorteile der Selektiven Entwurmung sehr hoch bewerten.
Andere Wurmarten
Neben den Kleinen Strongyliden sind natürlich beim erwachsenen Pferd auch noch Bandwürmer, Große Strongyliden und in Ausnahmefällen Spulwürmer und Pfriemenschwänze zu beachten. Diese werden durch zusätzliche Untersuchungsmethoden in das Entwurmungsmanagement einbezogen und bei positivem Befund behandelt. In der Tabelle ist das Vorgehen für das erste Jahr zusammengefasst.
Fazit
Die Selektive Entwurmung zur Bekämpfung der Kleinen Strongyliden ist in jeder Haltungsform beim erwachsenen Pferd durchführbar. Der organisatorische Aufwand ist variabel. Je nach Herdengröße sind allerdings unterschiedlich viele Pferdebesitzer beteiligt. Deshalb sollte dieser Ansatz nur dann gewählt werden, wenn der Großteil der Besitzer einer Herde von der Methode überzeugt ist. Weitere Informationen sind abzurufen unter www.entwurmungpferd.de