Tierhaltung | 02. Oktober 2014

Lässt sich Schwanzbeißen vermeiden?

Von Dr. Michael Götz, Eggersriet/Schweiz
Ziel der neuen Initiative für mehr Tierwohl des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist unter anderem der Verzicht auf das Kupieren der Schweineschwänze. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Blick in die Schweiz: Dort dürfen seit 2008 die Schwänze der Ferkel nicht mehr vorbeugend kupiert werden.
Schwanzbeißen kann die verschiedensten Ursachen haben.
„In den 80er-Jahren zählte das Schwanzkupieren noch als Qualitätsmerkmal”, berichtet Alois Estermann, der Leiter des Schweinegesundheitsdienstes (SGD) der Region Sempach-Zentralschweiz. Ab dem Jahr 2003 war es nur noch unter Schmerzausschaltung erlaubt. Schon zuvor hatten tierfreundliche Labels der Großverteiler von ihren Lieferanten verlangt, auf das Schwanzkupieren zu verzichten. Als sich zeigte, dass bei einer tierfreundlichen Haltung Schwanzbeißen deutlich weniger auftrat, fand das Kupierverbot im Jahre 2008 Eingang in die Schweizer Tierschutz-Verordnung. Tierfreundlich bedeutet gut belüftete Mehrflächenställe mit Einstreu und permanentem Auslauf sowie das Angebot von Beschäftigungsmaterial wie Stroh, Heu und Presswürfeln.
„Schwanzbeißen kommt und geht”
„Im Großen und Ganzen haben wir wenig Probleme mit dem Schwanzbeißen”, sagt Felix Grob, Geschäftsführer der Suisseporcs, der Interessenvertretung der schweizerischen Schweinehalter. Das heiße aber nicht, dass Schwanzbeißen nicht auftrete. Die Schweinehalter hätten gelernt, damit umzugehen.
Die Tierärzte Alois Estermann und Xaver Sidler von der Veterinärklinik an der Universität Zürich haben in den letzten drei Jahren allerdings beobachtet, dass Schwanzbeißen wieder zugenommen hat. Die Ursache dieses Phänomens ist aber unklar. Das Schwanzbeißen selbst ist  eine multifaktoriell bedingte Verhaltensstörung. Risikofaktoren sind insbesondere ein Mangel an Beschäftigung, Überbelegung, Fehler im Stallklima und in der Fütterung sowie ein unterschwelliger Krankheitsdruck. Lange Zeit tritt in einem Stall kein Schwanzbeißen auf und dann gibt es plötzlich wieder Tiere, die damit anfangen. „Das Schwanzbeißen kommt und geht”, sagt Alois Estermann.
Schnell handeln und Beißer separieren
CO2-Messung und Luftfeuchtigkeitsmessung sind sehr wichtig bei der Diagnose Kannibalismus.
Wenn einzelne Schweine beginnen, in die Schwänze zu beißen, dann sollte man diese möglichst schnell aus der Bucht entfernen. Es braucht allerdings Zeit, die Beißer ausfindig zu machen. Estermann empfiehlt, mit einem sogenannten Anti-Aggressionsspray die unverletzten Schwänze zu besprühen. Das Mittel schmeckt sehr bitter und schreckt die Beißer ab. Das Spray eignet sich nur für unverletzte Schwänze, da es die Wunde reizen würde. Eine andere Methode ist das Anbringen von Holzteer auf verletzte und unverletzte Schwänze. Holzteer schmeckt ebenfalls bitter, aber wirkt desinfizierend und abschwellend. Nachteile sind, dass Holzteer die Buchtenwände verschmiert und problematisch hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit ist. Die Tiere mit angebissenen Schwänzen behandelt der Tierarzt vorbeugend mit einem Antibiotikum, um zu verhindern, dass Abszesse im Wirbelkanal entstehen.
Anstatt einen Beißer vorübergehend in „Einzelhaft” zu halten, kann man ihn auch in eine Bucht mit älteren Tieren bringen, die sich gegenüber dem Beißer behaupten können, empfiehlt Sybille Kauer von der Label-Kontrollstelle des Schweizer Tierschutz STS. Das Schwanzbeißen selbst ist keine Krankheit, sondern nur ein Symptom dafür, dass es dem Tier nicht wohl ist. Indem man den Schwanz kupiert, löst man das Problem nicht, vielmehr gilt es, den eigentlichen Ursachen auf den Grund zu gehen. „In der Regel findet man die Ursachen”, sagt Alois Estermann.
Dem SGD angeschlossene Betriebe können dabei auf die Hilfe von speziell ausgebildeten Beratern zurückgreifen. Der Veterinärdienst des Kantons Luzern erstellte sogar eine Checkliste für die Ursachenfindung. Nicht immer liegen die Ursachen im eigenen Stall, auch die Haltung im Herkunftsstall der Ferkel spielt eine Rolle. Vor allem gilt es zu überlegen, welche Veränderungen in letzter Zeit bei Fütterung, Haltung und Stallklima vorkamen. „In etwa der Hälfte der Fälle sind Klimafehler die Ursache für Schwanzbeißen”, hält Estermann fest. Die SGD-Berater führen fachkompetente und neutrale Klimamessungen durch.
„Kälte fördert den Kannibalismus enorm”
Ammoniakmessung in einem Stall mit Kannibalismus
Besonders nützlich für die Überprüfung des Stallklimas sei ein Infrarotthermometer. Es misst zwar nicht direkt die Lufttemperatur, sondern die Oberflächentemperatur des Bodens oder der Wände. Jedoch lassen sich damit Rückschlüsse auf die Lufttemperatur und die Abstrahlung ziehen und die Messung im Tierbereich lässt sich einfach und schnell durchführen. Estermann empfiehlt Schweinehaltern, sich selbst ein Infrarotthermometer anzuschaffen; dieses kostet zwischen 60 und 120 Euro. „Kälte ist enorm ‚kannibalismusfördernd‘”, sagt der Tierarzt.
Zum Prüfen der Wärmedämmung des Stalles bietet sich die Wärmebildanalyse mit einer Wärmebildkamera an. Die Bilder zeigen mittels Farben, wo im Sommer Wärme eindringt oder im Winter verlorengeht. Auch hohe Konzentrationen von Schadgasen wie Ammoniak, Kohlendioxid oder Kohlenmonoxid können Kannibalismus auslösen. Letzteres ist bei defekten Gasstrahlern möglich. Instrumente für Gasmessungen und Wärmebildanalysen sind teuer; die Messungen werden von Fachleuten durchgeführt.
Zwei  weitere Beiträge, die darüber informieren, wie Schweizer Landwirte dem Schwanzbeißen vorbeugen oder darauf reagieren, folgen in den  nächsten BBZ-Ausgaben.